Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Evangelium nach Markus, im 13. Kapitel:
Unser Herr Jesus Christus spricht zu seinen Jüngern:
Markus 13,31-37
Großer Gott, dein Heiliger Geist ist Herr über Reden und Hören. Segne unser Bemühen durch Christus, unseren Bruder und Herrn. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
„Ich will, dass etwas bleibt!“ In einer Zeit, in der sich Dinge immer schneller ändern – besonders in einer Zeit wie heute, in der das Alte nicht einfach nur zur Seite gelegt und danach immer wieder liebevoll-erinnernd angesehen wird, sondern in Vergessenheit gerät und völlig verschwindet, ist der uralte Wunsch der Menschen lebendig: „Ich will, dass etwas bleibt!“ Oft genug gerade wegen der immer rasanter werdenden Vergänglichkeit der Gebrauchsgegenstände im alltäglichen Lebens wünschen sich Menschen, dass etwas in ihrem Leben bleibt, damit sie sich selbst daran festhalten können: festhalten an Menschen, die sie in durch ihr Leben begleiten, festhalten aber auch an bestimmten Verhältnissen. Menschen wünschen sich aber auch, dass von ihrem Leben etwas bleibt; etwas, das der allgemeinen Vergänglichkeit widersteht und die Zeit überdauert und auch noch später von etwas von diesen Menschen erzählt.
„Ich will, dass etwas bleibt!“ Dieser Urwunsch der Menschen wird von Jesus in einen großen Horizont gestellt: „Himmel und Erde werden vergehen.“ Himmel und Erde – die Welt also wird vergehen. Wir leben heute in einer Zeit, in der es möglich geworden ist, solches Werden und Vergehen von Welten zumindest in Ausschnitten mitzuerleben: Riesige und mit feinster Technik ausgestattete Teleskope erlauben es uns, in bisher nicht gekannter Weise den Himmel zu betrachten und dem Sterben von Sternen zuzusehen. Da ist dann die Rede von den Schwarzen Löchern, die alles – sogar das Licht – in sich hineinsaugen. Und in den Trickstudios der großen Filmhersteller werden die Fantasien weiter beflügelt: Das Entdecken und Erforschen ferner Welten ist durch Filme wie Star-Treck schon längst zu einer Menschheitsaufgabe geworden, bevor die technischen Möglichkeiten dazu überhaupt existieren. Und mit dem Entdecken und dem Erforschen einher geht dann auch der Wille um Bewahrung dieser Welten – Bewahrung vor der Zerstörung durch wen oder was auch immer, Bewahrung vor der Zerstörung durch das Böse.
Dieses Schicksal ferner Welten – ob erdacht oder wirklich – steht auch unserer Welt auch bevor. Die Zerstörung des uns vertrauten Himmels und der uns vertrauten Erde schreitet immer weiter voran, nicht nur durch Einflüsse, die wir nicht zu verantworten haben, sondern auch durch unsere, der Menschen eigene Schuld.
„Ich will, dass etwas bleibt!“ Dieser Urwunsch der Menschen wird von Jesus in einen großen Horizont gestellt. Der Ausblick, den Jesus verheißt, ist jedoch zunächst einmal nicht der erwünschte: Himmel und Erde werden vergehen. Himmel und Erde – die Welt wird vergehen. Es wäre aber wohl falsch, in den vergehenden Welten nur die großen, kosmischen Ereignisse zu sehen oder auch nur das globale, erdumfassende Geschehen. Denn: Es geschieht immerwährend. Das Vergehen von Himmel und Erde, das Vergehen der Welt ist nicht an einen plötzlichen Zeitpunkt gebunden, sondern ist etwas, was uns tagtäglich begleitet: Jeder Augenblick vergeht, ist unwiederbringlich verloren.
Durch besondere Ereignisse wird dies besonders deutlich: Mit dem 11. September 2001 ist für viele Menschen die selbstverständliche Sicherheit einer politischen Weltordnung zerstört worden, mit der Bankenkrise die Sicherheit einer finanziellen Weltordnung.
Manches trifft einzelne Menschen jedoch besonders. Nicht umsonst sprechen wir davon, dass für Menschen eine Welt zusammenbricht: Wenn die bisherigen Grundordnungen des eigenen Lebens – dessen, was sich zwischen Himmel und Erde abspielt – nicht mehr gelten: Der Verlust des Arbeitsplatzes, das Ende einer Freundschaft oder einer Partnerschaft, ein schlimmer Unfall oder eine Krankheit mit weitreichenden Folgen. Vieles ließe sich anfügen, größere und kleinere persönliche Weltuntergänge.
Heute, wenn wir derer gedenken, die im zuende gehenden Kirchenjahr verstorben sind, hat dies seine besondere Bedeutung. Denn es ist ganz gleich, ob ein Mensch sehr plötzlich gestorben und nun nicht mehr da ist, oder ob ein Mensch nach einer langen Zeit des Leidens und der Pflege endlich hat sterben können: Wenn ein Mensch stirbt, ist alles anders; die Welt, wie sie einmal gewesen ist, ist vergangen, es gibt sie dann nicht mehr. Auch da ist dann die Rede von den Schwarzen Löchern, die alles – sogar das Licht – in sich hineinsaugen.
Allem, was zu dieser Vergänglichkeit der Welt gehört, setzt Jesus ein Wort entgegen, das wir als ein einziges großes „ABER“ verstehen können: „Meine Worte aber werden nicht vergehen!“
Jesu Worte werden nicht vergehen. Ich möchte das zunächst einmal ganz direkt auf das beziehen, was Jesus in dieser Situation dann sagt: „Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. Wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit, und gebot dem Türhüter, er solle wachen: so wacht nun; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen, damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt. Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!“
Zu allererst bleibt Jesu Auftrag bestehen, auch wenn um einen rings herum die Welt vergeht: „Wachet.“ Ganz eindringlich steht dieses Wort im Mittelpunkt des Predigttextes. Zuerst ist es nur auf einige Jünger bezogen, dann aber auf alle. Und es erinnert an die Eindringlichkeit, mit der Jesus kurze Zeit später seine Jünger im Garten Gethsemane zu wachen auffordern wird. Da ist es dann nur Jesus, der wacht; da ist es auch nur Jesus, der in seinem Wachen gestärkt wird. Denn sein Wachen ist anders als die Wachversuche der Jünger. Jesu Wachen ist kein leeres „wach bleiben“, bei dem man krampfhaft gegen den Schlaf kämpft. Der Blick auf das Geschehen von Gethsemane zeigt: Jesus meint ein gefülltes Wachen, ein betendes Wachen.
Mit dem Gleichnis einer Hausgemeinschaft macht Jesus deutlich, was er meint. Wie Türhütern ist es den Jüngern – also Einzelnen – aufgetragen, zu wachen. Den Jüngern damit aber auch aufgetragen, zu beten. Für manche Nächte könnte ich mir auch in unserer Gemeinde ein solches betendes und fürbittendes Wachen vorstellen, vielleicht in der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag, der Nacht von Gethsemane.
Wie Türhüter sollen die Jünger wachen und beten, damit die anderen tun können, was ihnen je aufgetragen ist. Und diese Aufgaben für die anderen Bewohner sind so vielfältig, wie es ein Haus erfordert. Diese so verschiedenen Aufgaben haben aber ein Gemeinsames: Sie dienen dem Haus und seinem Herren. Im Gleichnis Jesu ist der Hausherr nicht da, die Seinen erwarten ihn aber zurück. So ist das Haus, in dem die Menschen leben und auf die Rückkehr warten, von einer eigentümlichen Gegenwart des Hausherrn geprägt. Das Haus atmet den Geist des Hausherrn, sonst würden die Knechte nicht wachen und arbeiten.
Auch uns geht es immer wieder so, wenn ein Mensch, der uns nahestand, nicht mehr da ist. Wie oft meinen wir, die Gegenwart diese Menschen zu spüren, manchmal sogar noch nach vielen Jahren. Und die Orte, an denen wir diesem Menschen begegnet sind, bleiben uns in einer ganz eigentümlichen Weise in Erinnerung: eben geprägt von der Gegenwart dieses Menschen. So verbinden sich Orte und Menschen zu einer wundersamen Einheit.
Uns geht es aber auch in unserem Glauben so, auch wenn Jesus nicht leiblich unter uns ist. Denn wir kennen und spüren immer wieder einmal die eigentümliche Anwesenheit des abwesenden Herrn. Ja, auch unsere Welt atmet den Geist des Herrn, vor allem wenn wir im Abendmahl, in Brot und Wein, leibhaftige Zeichen der Nähe Jesu empfangen. In der Gemeinschaft derer, die sich je neu in seinem Namen und als sein Haus versammeln, ist er, Jesus, der Hausherr, gegenwärtig, auch wenn er nicht fassbar anwesend ist. Dies kann und soll uns Vergewisserung sein für ein Leben im Hier und Jetzt, damit wir uns nicht in einer diffusen Vergangenheitssehnsucht verlieren, die keine Zukunft mehr kennen würde. Jesus ruft uns mit seinem „Wachet!“ in die Gegenwart, denn nur in der Gegenwart können wir ihm begegnen. So wie am Ostermorgen Maria Magdalena Jesus erst wahrnehmen konnte, nachdem sie sich vom Grab abgewandt hatte.
„Ich will, dass etwas bleibt!“ – In allem Werden und in allem Vergehen in unserer Welt – auch und besonders in allem Abschiednehmen – dürfen wir uns auf die bleibende Gegenwart Jesu in dieser Welt verlassen, die er uns zugesagt hat: „Siehe, ich bin bei Euch bis an das Ende der Welt.“ Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.