Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Gemeinde am 4. Advent!
Es ist schon etwas länger her, dass ich einmal durch einen der Flure im Kreiskirchenamt in Bad Oeynhausen ging. Als ich an meinem Ziel angekommen war, wurde ich von freundlichem Gelächter empfangen; und es war klar, irgendwie hatte es mit mir zu tun. Auf meine Frage erklärten mir die Mitarbeiterinnen, dass sie meine Schritte gehört und spontan gesagt hätten: Das ist Pastor Willimczik. Ich weiß nicht, was meine Schritte so eindeutig macht, vielleicht bin ich ja ein ganz besonderes Trampeltier. Aber viele andere Menschen werde es bestätigen können: Einen Menschen an seinen Schritten zu erkennen, ist gar nicht so schwer. Und immer wieder gibt es auch Situationen, in denen wir an den Schritten der Kommenden hören können, wie es demjenigen geht: Ob da einer ganz fröhlich fast über den Boden schwebt oder ob jemand anderes mit vom Gram schweren Schritten sich durch‘s Leben quält.
Und wo wir gerade beim ‚hören‘ sind: Eigentlich müsste man sie zwei Tage vor dem Heiligen Abend doch schon hören, oder? Ich meine, sie müssten doch jetzt schon so nahe herangekommen sein, dass man sie an ihren Schritten erkennen müsste – die, die nach Bethlehem wollen. – Also mal ganz leise …
Da, da hört man es: Die Schritte von lumpigen Sandalen. Das müssen die Hirten sein, von den Feldern. Und wenn die Schafe nicht andauernd Mäh machen würden, könnte man auch ihr Getrippel hören, und die Pfoten von dem Hirtenhund. Und da, dieses Stapfen hört sich an, wie der Gang eines Mannes mit einer schweren Last, der schon lange unterwegs ist. Dazu der langsame Gang einer hochschwangeren Frau. Maria und der Esel haben eine Pause vereinbart. Der Esel darf mal ein paar Meter ohne seine besondere Last gehen und Maria muss sich mal eben die Füße vertreten. Den ganzen Weg auf einem Eselsrücken – das ist bestimmt nicht durchzuhalten. Und das, was man noch hören kann – nein, das sind keine Schritte, das klingt wohl eher wie das Rauschen von Flügelschlag.
So sind sie unterwegs – diejenigen, die an Weihnachten eine besondere Rolle spielen sollen. Müde und matt nach einem schon langen Weg von Nazareth in Richtung Bethlehem und frustriert und deprimiert rund um die Herden von Bethlehem. Nur von dem Rauschen der Flügel ist kaum zu sagen, wie und woher es kommt.
Für uns heute – mit so vorbereiteten Ohren gibt es aber noch etwas anderes zu hören; die Schritte kommen von noch weiter weg, sie liegen noch weiter zurück und sie haben einen ganz anderen Klang. Vor allem für einen hatten sie diesen ganz besonderen Klang, er konnte alleine aus dem Klang der Schritte heraushören, welche Botschaft der Verursacher der Schritte bringen würde: eine Botschaft vom Frieden, vom Guten und vom Heil, von Gott.
Dieser eine, der schon an der Art der Schritte die Botschaft des Kommenden heraushören konnte – dieser eine war der Prophet Jesaja; genauer: der zweite Prophet dieses Namens, der seinem Volk in der Zeit der Gefangenschaft in Babylon neuen Mut gegeben hatte. Er verkündet seinem Volk eine ganz besondere Botschaft, die uns heute – über 2500 Jahre später – als Predigttext für den vierten Advent aufgegeben ist. Noch ist das Volk Israel in Babylon, noch fehlt es an ganz konkreten Zeichen dafür, dass das Elend des Gottesvolkes wirklich zuende gehen sollte – noch nicht. Aber schon öfter hatte Jesaja tröstliche Worte für die Heimatlosen gefunden, Hoffnungsworte für die, die meinten, keine Zukunft mehr sehen zu können. Und auch jetzt spricht er zu seinem Volk, eröffnet ihnen einen weiten Raum der Hoffnung. Im 52. Kapitel bei Jesaja heißt es:
Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König! Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt. Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.
Liebe Gemeinde!
Über Berge hinweg kommen die Boten in Richtung Babylon, wo das Volk Israel immer noch auf Erlösung wartet. Und sie bringen eine wunderbare Botschaft. Ich stelle mir Jesaja vor, wie er den Boten entgegen hört und sieht. Das Bild überzeugt sofort: Wie anmutig, wie lieblich, sind die Boten, die den Frieden verkündigen. Doch halt! Wer genau hingehört hat, wird feststellen, dass es gar nicht die Boten sind, die lieblich auf den Bergen die Botschaft vom Frieden bringen. Wie lieblich sind – so heißt es – die Füße der Boten. Sicher kann man sich streiten, ob Füße lieblich sind, wenn mit lieblich so etwas wie schön gemeint ist. Martin Buber, der große jüdische Theologe des 20. Jahrhunderts, übersetzt: „Wie anmutig sind auf den Bergen die Füße der Märebringer.“ Und auch hier können wir fragen, ob Füße selbst anmutig sind. Ich würde doch eher erwarten, dass die Bewegungen der Füße und der daran hängenden Beine anmutig sind. Wie dem auch sei:
Liebliche und anmutige Füße alleine sagen aber schon unendlich viel über die Botschaft derer, die da überbracht werden soll. Denn: Andere Botschaften kommen nicht lieblich und anmutig daher. Jeder Krieg ist von Füßen in Stiefeln begleitet, die stampfend und dröhnend alles platt machen. Manche Feindseligkeit mag nicht offen und laut sondern leise daherkommen, aber anmutig oder leiblich ist sie nicht. Hier – bei Jesaja regiert die Anmut der Schritte, ein geradezu ballettartiges und tänzerisches Vorbringen von Gottes Zusage an sein Volk.
Da sind wir wieder beim Hören – beim Hören auf die Botschaft der Boten in Schritten und Worten: Frieden, welch elektrisierendes Wort voller Sehnsucht in einer Welt, in der höchsten nicht Krieg ist. Gutes und Heil und vor allem: Gott hat seine Königsherrschaft angetreten. Er wird es nicht irgendwann, nein, es ist schon geschehen: Gott herrscht schon in Zion. Damals war damit Jerusalem gemeint, der Tempel.
Für uns Christen heute ist der Tempel nicht mehr ein ganz bestimmter Ort mit geografischen Koordinaten. Wenn Jesaja sagt: Gott herrscht schon in Zion, in seiner Stadt und in seinem Tempel dann wird das für uns anders klingen – holen wir uns Hilfe bei Paulus, der uns zuruft: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ Gott herrscht in uns, die wir uns zu ihm bekennen, die wir uns von ihm in Dienst nehmen lassen. Das scheint so nahe, aber manchmal ist es auch sehr weit weg – so weit, wie Jerusalem von Babylon – dann, wenn wir unser Herz verschließen.
Aber Jesaja sieht und hört keine dumpfen Töne von verschlossenen Türen und Herzen. Jesaja hört den frohen Klang der Beobachter, die Augenzeugen davon werden, wie Gott seinen heiligen Berg, seine Stadt und seinen Tempel wieder in Besitz nimmt. Vielleicht sind auch wir in diesen Tagen oder in der zurückliegenden Zeit zu solchen Beobachtern geworden; vielleicht werden wir aber auch in den kommenden Tagen zu solchen Spähern von Gottes Thronbesteigung, wenn wir wahrnehmen, wie die Botschaft von der Liebe Gottes zu uns Menschen genau diese Menschen erreicht, sie bewegt und verändert. Und ich sehe vor mir die freudig-dankbaren Augen, mit denen wir solche Momente wahrnehmen dürfen. Welch ein Grund zu Freude!
Trotzdem müssen wir eines festhalten. Es ist bestimmt nicht immer nur einfach: damals gewesen in Babylon und heute bei uns. Damals hatten die Menschen mit den Trümmern Jerusalems zu kämpfen gehabt, die es ja immer noch gab. Diese Trümmer sind Folge eigener Verirrung gewesen. Auch dies gilt es, festzuhalten. Das Volk Gottes hatte sich ja selbst in die Situation gebracht, weil es von Gottes Weg mit ihm abgewichen war. Zerstörte Hoffnung, zerstörte Sicherheit, zerstörte Zukunft – für alles das stehen diese Trümmer. Aber selbst diese Trümmer sollen jubeln und sich freuen. Freude in den Trümmern, Freude aus den Trümmern heraus zu einem neuen Leben, weil Gott die Seinen nicht bei ihren Irrwegen behaftet, sondern neu mit ihnen anfängt. Gottes Gericht über sein Volk wurde durch seine himmlische Heilszusage aufgehoben, auch wenn das zunächst viele nicht so wahrhaben wollten und es nicht akzeptieren konnten.
Auch heute wird es an vielen Orten viele solcher Trümmer geben – Trümmer des Lebens aus ganz unterschiedlichen Gründen: selbst verschuldet oder durch andere verursacht. Immer wieder haben Menschen für sich aber erfahren, dass sie aus den Trümmern ihres Lebens neue Wege zum Leben gefunden haben, sogar aus den selbstverschuldeten Trümmern ihres Lebens. Wie wäre eine Predigt über diesen Text wohl gepredigt und gehört worden in den Jahren direkt nach dem zweiten Weltkrieg, als Deutschland in selbstverschuldeten Trümmern lag? Einfach nur als positive Verheißung oder auch mit dem Bewusstsein und dem Eingeständnis der Schuld, wie es das Volk Gottes nach seinem Weg in die Babylonische Gefangenschaft irgendwann gekonnt hatte?
Jesaja verkündet den Frieden, der ausgeht, sobald Gott die Macht und die Herrschaft ergreift: Im Kind und König, auf dessen Advent – auf dessen Ankunft – wir warten. Jesaja verkündet den Frieden, der ausgeht, wenn Gott die Macht und die Herrschaft ergreift und Menschen von dieser Herrschaft ergriffen werden: Wir spüren und sehen es vielleicht nicht immer, aber hoffentlich immer öfter, dass das geschieht. Die Botschaft von diesem Frieden haben wir aber schon überbracht bekommen: lieblich und anmutig – ohne dabei kitschig zu werden, sondern immer mit der ernsten und beschwingten Freude und dem freudigen und tanzenden Ernst der Kinder Gottes. Hören auch wir auf die lieblichen Füße, die uns die Botschaft bringen: Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe! Amen.
Vielen Dank an Nioco Szameitat für die Gedanken zu dem Hören auf die Schritte der biblischen Firguren, die ich in seiner Predigt-Preview gefunden und etwas abgewandelt übernommen habe. Das war eine tolle Ergänzung zu meinem eigenen Erlebnis im Kreiskirchenamt.