Predigt am 4. Advent 2021 über Lukas 1,26-38

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Gemeinde am 4. Advent!

Es könnte vielleicht eine nette, aber knifflige Frage in einem Kreuzworträtsel sein: „Zusammenfassung des christlichen Weihnachtsfestkreises mit 2 Buchstaben“. Es ist noch keiner der beiden Buchstaben bekannt. Was könnte da wohl hinkommen? „Zusammenfassung des christlichen Weihnachtsfestkreises mit 2 Buchstaben“? Es gibt ja nur wenige Worte mit 2 Buchstaben und und alle, die auf JA getippt haben, hatten den richtigen Riecher. Ja, mit dem so kleinen Wörtchen JA wird alles auf den Punkt gebracht, was den Weihnachtsfestkreis mit Advent und den Weihnachtstagen, mit Epiphanias und den Sonntagen danach ausmacht.

Zuallererst zeigt dieses JA, dass Gott zu seinen Verheißungen steht, die er durch seine Propheten hat verkündigen lassen und die wir als Christinnen und Christen auf Jesus als den Christus, den Messias Gottes beziehen: Vom Reis, das aus Isais Stamm aufwächst über die junge Frau, die schwanger wird, und dem Licht, das in der Finsternis scheint bis hin zu dem kleinen Bethlehem, das Maleachi als den kleinen und doch so großen Ort der Geburt des Erlösers preist; vom König, der auf einem Esel einzieht, über die Füße der Freudenboten, die den Frieden verkünden, bis zum Vorläufer Johannes, der dem Messias den Weg bereitet. Gott steht zu seinem Wort und sagt JA!

Mit diesem JA zu seinen Verheißungen sagt Gott auch JA zu denen, die seine Verheißung bekommen und von ihm Hilfe und Trost, Zukunft und Hoffnung erwarten: die Menschen, die bis heute in vielen Finsternissen im Persönlichen und in dieser Welt unterwegs sind, die von Gott eine hoffnungsvolle Zukunft, Hilfe und Rettung erwarten. Zu diesen Menschen sagt Gott sein JA.

Als die Hirten auf dem Feld von Bethlehem aufbrechen, um die Geschichte anzusehen, die ihnen der Engel kundgetan hat, sagen sie durch ihre Tat ebenfalls JA und bekennen sich so zu der frohen Botschaft, die sie erfahren haben: Euch ist heute der Heiland geboren.

Ebenfalls in einem JA lässt sich die Erleichterung des greisen Simeon zusammenfassen, der sich am Ende seines Lebens am Ziel seines Wartens wissen darf, als die Eltern mit dem Jesuskind in den Tempel von Jerusalem kommen: „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“ Und ebenso wird es mit der Witwe Hannah gewesen sein.

Nicht vergessen werden dürfen die Weisen aus dem Osten, dem Morgenland, die sich auf das Erscheinen des großen Sternes hin aufmachen, um den neugeborenen König der Juden zu suchen und ihn anzubeten.

Ausgehend von den Menschen, die direkt mit der Geburt des Jesus-Kindes zu tun hatten, haben seitdem unendlich viele Menschen zu Weihnachten und dem, was daraus mit Jesu Wirken und mit seinem Kreuz und seiner Auferstehung erwuchs, JA gesagt. Sie haben sich zu diesem Jesus von Nazareth als dem Messias und Gottessohn bekannt. Bis zu uns heute, denn sonst wären wir am 4. Advent 2021 nicht hier versammelt, sonst würden wir uns nicht darauf vorzubereiten, dass auch in diesem Jahr mit der Feier der Geburt Jesu das Geschehen von damals neu Gestalt annimmt und uns zu Leuten macht, in denen Gottes großes JA zu den Menschen Wirklichkeit wird.

Aber was wären all diese JAs, wenn nicht die eine JA gesagt hätte, deren Geschichte wir eben gehört haben und ohne deren JA das Kind Jesus nicht geboren worden wäre? Was wären die JAs wert gewesen ohne das JA der Maria, das in diese berührenden Worte: „Mir geschehe, wie du gesagt hast!“, gefasst ist? Ohne Maria und ihre Zustimmung zu der Zumutung, die Gott ihr durch seinen Engel abverlangt hat, wäre es mit allem, was folgen sollte, wohl schwierig geworden.

Versetzen wir uns in den Moment hinein, als der Engel zu Maria kommt und ihr diese ungeheuerliche Botschaft eröffnet: eine junge Frau: das hebräische Wort in der Jesajaverheißung bedeutet, dass sie gerade im damals heiratsfähigen Alter war, also etwa 13 oder 14; als junge Frau schwanger – ohne Mann, verlobt oder nicht, womit alle Tradition und Konvention über den Haufen geworfen werden, was ihr Leben komplett verändern würde. Und nicht irgendein Kind! Die Botschaft des Engels stellt alles Vorstellbare in den Schatten: Den König von Israel auf dem Thron Davids, den Sohn des Höchsten, den Sohn Gottes soll sie zur Welt bringen!

Dies ist die Maria, die ihr JA sagt. Aber wie lange hat es wohl gedauert: zwischen dem Ende der Engelrede: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich.“, und ihrem: „Siehe, ich bin des Herren Magd, mir geschehe, wie du gesagt hat.“? Minutenlanges schweigendes Überlegen? Spontane Zustimmung? Wenn ich an mich denke und meine allgemein bekannte Vorliebe, spontane Aktionen vorher gut zu durchdenken, könnte schon etwas Zeit vergangen sein. Aber vielleicht war Maria ja auch ganz anders. Und es war Lukas wohl auch gar nicht so wichtig, sonst hätte er es vielleicht wie in einem Bibliodrama ausgemalt.

Wir können Maria in diesem Moment vor uns sehen:
Maria, bei deren Namen wir uns wohl alle auch an Moses‘ Schwester Miriam erinnern, die mit ihrem Befreiungslied die Rettung des Gottesvolkes vor den Verfolgern am Schilfmeer besungen hat.
Maria, die vom Geist Gottes überschattet wird: also von jener Wolke, die nach dem Bericht aus dem 2. Buch Mose am Berg Sinai als Zeichen von Gottes Gegenwart das Zelt der Begegnung überschattete; von jener Wolke, die später bei der Verklärung Jesu auch die drei auserwählten Jünger überschatten sollte.
Maria, die sich wie Hannah, die Mutter des Propheten Samuel als Magd, genauer als Sklavin Gottes bezeichnet, was nach biblischer Tradition nur freie Menschen getan haben.
Maria, die so schon an dieser Stelle vorwegnimmt, was sie in ihrem großen Lobgesang wie eine Prophetin singen wird: das Lob des Gottes, der um der Gerechtigkeit und seiner Verheißungen willen die ungerechten Ordnungen dieser Welt in ihr Gegenteil verkehren wird, um der Barmherzigkeit zu ihrem Recht zu verhelfen.
Maria – die beispielhaft Glaubende, die in einer Linie mit Königen und Prophetinnen, mit Evangelisten und Apostelinnen steht.

Deshalb ist Marias „Mir geschehe, wie du gesagt hast!“ kein passives Erdulden dessen, was Gott ihr durch den Engel anträgt; es ist kein „Über sich ergehen lassen“. Maria geht los auf ihrem Weg, der ihr Leben verändern wird, so wie sie nach der Begegnung mit dem Engel wirklich losgegangen ist, um ihre Verwandte Elisabeth zu besuchen.

„Mir geschehe, wie du gesagt hast!“ – Dieser Satz ist das große JA der Maria und damit der Auftakt zu ihrem aktiven Weg des Glaubens, der der Gerechtigkeit Gottes dient, wie es Maria dann singt.
„Mir geschehe, wie du gesagt hast!“ Mit diesem Satz könnten wir bei Taufe oder Konfirmation auf die Verheißung Gottes mit seinem Zuspruch und seinem Anspruch antworten. Es wäre unser JA, also unsere Antwort auf unsere Berufung: die Frohe Botschaft von der Liebe Gottes, die Botschaft von seiner Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in Wort und Tat an denen zu bezeugen, die Gott zu unseren Nächsten macht.

„Mir geschehe, wie du gesagt hast!“ Machen auch wir uns auf und gehen wir mit Maria los; machen wir uns die Worte der Dienerin Gottes Maria zu eigen und sagen auch wir immer wieder neu zu Gott und seinem Glaubensweg mit uns: JA.
JA. Amen.

Gottesdienst am 4. Advent (22.12.2019)

Am Sonntag ist den 4. Advent. Dieser Sonntag ist thematisch der Mutter Jesu, Maria, gewidmet. Sie bekommt vom Engel Gabriel die Verheißung der Geburt Jesu, die die Verheißungen der Propheten zum Ziel bringt. Maria gibt Jesus Raum in sich und sie wird so auch ein besonderes Vorbild für uns: auch wir sollen Jesus in uns, in unserem herzen Raum geben. Die Szene der Ankündigung von Jesu Geburt durch den Engel Gabriel und mit Marias Fragen ist in diesem Jahr als Schriftlesung dran: Lukas 1,26-38. Der Predigt liegt ein Abschnitt aus dem 2. Korintherbrief zugrunde (2. Kor 1, 18-22), der unser menschliches ‚Amen‘ (analog zu Marias „Mir geschehe, wie du gesagt hast.“) auf das ‚Ja‘ Gottes in Jesus Christus thematisiert. Marias Lobgesang – das Magnificat – machen wir uns als neutestamentlichen Psalm in Verbindung mit dem Magnificat-Kanon aus Taizé (EG 588) zueigen.

„Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!“ (Wochenspruch aus Philipper 4,4.5b) – So dürfen wir uns mit dem Apostel Paulus freuen: auf die Feier der Geburt Jesu.

Neben die Vorfreude auf das Weihnachtsfest tritt in diesem Gottesdienst aber auch das Abschiednehmen, denn nach fast neuneinhalb Jahren verlässt uns unsere Gemeindepädagogin Ingrid Wilmsmeier zum Jahresende. Wir werden sie am Sonntag mit großem Dank für ihren Einsatz und für viele Anregungen und Anstöße in der Gemeinde verabschieden.

Herzliche Einladung zum Gottesdienst:

  • Gemeinsamer Gottesdienst unserer drei Gemeindebezirke
  • in der Holtruper Kirche
  • um 10.00 Uhr
  • mit Verabschiedung von Ingrid Wilmsmeier
  • mit Heiligem Abendmahl
  • mit dem Posaunenchor Holzhausen
  • anschließend: Kirchenkaffee
  • anschließend: Eine-Welt- und Büchertisch
Kirche_mit_Kindern

Nach dem gemeinsamen Beginn in der Kirche ist im Gemeindehaus Kindergottesdienst.

Gottesdienste Weihnachten 2018

4. Advent 2018

  • 10.00 Uhr    Gemeinsamer Gottesdienst mit Abendmahl und Feier des Goldenen Ordinationsjubiläums von Pfr. Peithmann

Heiliger Abend 2018

  • 14.30 Uhr    Gottesdienst in Haus Anima
  • 15.00 Uhr    Familien-Gottesdienst mit Krippenspiel in Holtrup
  • 15.30 Uhr    Familien-Gottesdienst mit Krippenspiel in Möllbergen
  • 16.00 Uhr    Familien-Gottesdienst mit Krippenspiel in Holzhausen
  • 17.00 Uhr    Christvesper in Holtrup
  • 17.30 Uhr    Christvesper in Holzhausen
  • 17.30 Uhr    Christvesper in Möllbergen
  • 23.00 Uhr    Christmette in Holzhausen

1. Weihnachtstag (25. Dezember)

  • 07.00 Uhr    Uchte: Gottesdienst am Weihnachts-Morgen in Möllbergen mit ausführlicher Liturgie und Abendmahl in der besonders erleuchteten Kirche, anschließend Frühstück im Gemeindehaus
  • 10.00 Uhr    Gemeinsamer Gottesdienst mit Abendmahl in Holtrup

2. Weihnachtstag (26. Dezember)

  • 10.00 Uhr    Gemeinsamer Gottesdienst mit Abendmahl am 2. Weihnachtstag in Holzhausen

Und wer in ganz Deutschland auf der Suche ist, wird hier bestimmt fündig:
http://www.wegweiser-gottesdienst.de/index.html

Wegweiser Gottesdienst (Screenshot 17.12.2016)

Wegweiser Gottesdienst (Screenshot 17.12.2016)

Predigt am 4. Advent 2016 (18.12.)

Predigt-Icon5Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Der Predigttext für den heutigen 4. Sonntag im Advent steht im Evangelium nach Lukas, im 1. Kapitel:

Lukas 1,26-38

Großer Gott, dein Heiliger Geist ist Herr über Reden und Hören. Segne unser Bemühen durch Christus, unseren Bruder und Herrn. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

„Ich wollte dir ein Liebeslied schreiben, / Eines, das nur von Dir erzählt, / In dem nicht die „Triebe“ die „Liebe“ vertrieben / Und das nicht unter die „Schnulzen“ fällt. / Es sollte Dir einfach: „Ich liebe Dich“ sagen, / Mit ein paar Worten und Tönen dazu. / Doch ist‘s gar nicht so einfach, es einfach zu sagen, / Mir fehlen ganz einfach die Worte dazu.“ So singt Reinhard Mey, um mit der letzten, unabgeschlossenen Strophe zu enden: „Hab‘ Lieder von weltbewegenden Dingen, / Nur, das, was mir am nächsten liegt, / Ganz einfach: „Ich liebe Dich“ zu singen, / Das hab‘ ich bis heut‘ noch nicht fertiggekriegt.“ (von der LP „Ich wollte wie Orpheus singen“)

Und in diesem Lied geht es nur um Liebe, für das er, Reinhard Mey, keine Worte und – das gehört immer auch mit dazu – für das er nicht den richtigen Ton findet. Und so mag dieser Poet Reinhard Mey das Paradebeispiel sein für die vielen, vielen anderen Dinge und Momente, Erlebnisse und Erfahrungen in unserem Leben, für das wir eben keine Worte finden; oder für das wir uns zwar Worte suchen, die in unseren Augen aber gar nicht dem entsprechen, was wir sagen wollen. Sie sind immer nur Annäherungen, die im besten Fall einmal mehr und – in unseren Augen und Ohren– oft genug weniger deutlich und nur unzureichend sagen, was wir meinen.

Ich wiederhole es gerne noch einmal: In seinem Lied geht es Reinhard Mey nur um die Liebe. Natürlich weiß ich, dass es in dieser Welt nichts Größeres und Schöneres gibt als diese so tief empfundene Zuneigung zu einem anderen Menschen, die dann hoffentlich sogar noch erwidert wird. Daneben – neben der Liebe – gibt es, so glaube ich, nur noch eines, mit dem wir uns schwer tun, es in Worte zu fassen, und ich meine nicht die spezielle oder die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein.

Ich meine die Schwierigkeiten, die wir haben, wenn wir von Gott reden und von dem, was er sagt und tut; von dem, wie wir ihn sehen und wie er sich uns zeigt. Denn Gott ist und bleibt der „ganz andere“. Er lässt sich nicht komplett in Worte oder in Gedanken fassen, wir können immer wieder neue Seiten an ihm entdecken, er kann uns in immer neuen Weisen entgegenkommen.

Und das heißt: keine Beschreibung, die wir versuchen, kein Bild, das wir von Gott machen – auch kein sprachliches, schafft es auch nur annähernd, Gott gerecht zu werden: Es ist immer unvollständig und zu klein. Das ist der Grund, warum wir uns kein Gottesbild machen sollen, wie es in den 10 Geboten heißt: damit wir Gott nicht klein machen, damit wir ihn nicht einengen und auf das beschränken, was unser oft so kleiner Verstand denken kann.

Trotzdem wollen wir natürlich über Gott reden, trotzdem müssen wir von Gott reden. Und zwar wir alle, nicht nur ich als Pastor, denn wir sind alle durch unsere Taufe zur Verkündigung der frohen Botschaft aufgerufen. Wir sollen, wollen, müssen von diesem größten Geheimnis, das wir Gott nennen, reden: weil er der Ursprung und die Grundlage unseres Lebens ist, weil wir von ihm gesagt bekommen, wie unser Leben gelingen kann, weil er sich uns in Liebe zuwendet – besonders dadurch, dass er sich in seinem Sohn Jesus Christus ein menschliches Gesicht gibt.

Was tut nun so jemand wie Reinhard Mey, wenn er das mit dem „Ich liebe dich“ nicht in der angemessenen Art und Weise in Worte fassen kann? Er – und nicht nur er – macht aus seinem Problem ein Lied, er dichtet, er verdichtet das, um was es geht, und – o Wunder – wir verstehen auf eine viel tiefere Weise, was Reinhard Mey hat sagen wollen. Mit Poesie, mit gedichteter, also verdichteter Sprache kommen wir viel weiter, wenn es darum geht, das Unsagbare sagbar zu machen.

Und so ist es auch, wenn wir von Gott reden; vor allem dann, wenn wir davon reden, wie dieser unfassbare und unaussprechliche Gott Mensch wird und sich ein Gesicht gibt. Die Geburt als solche ist eine ganz normale; anders als bei den Göttern der griechischen Mythologie: keine Kopfgeburt wie Pallas Athene, die dem Zeus aus dem väterlichen Kopf entspringt, und keine Meergeburt wie Aphrodite, die aus dem Schaum des Meeres geboren wird. Die Geburt als solche ist eine ganz normale; aber trotzdem geschieht mit der Inkarnation, der Fleischwerdung Gottes das größte Drama aller Zeiten, wie die berühmte Kriminalschriftstellerin Dorothy Sayers es bezeichnet und in einem Essay geschrieben hat.
Wie also sollen wir davon sprechen, wie sollen wir in Worte fassen, dass Gott, das größte Geheimnis, Mensch wird. Um die Liebe zu einem Menschen einigermaßen angemessen in Worte zu fassen, braucht es Poesie. Um wieviel mehr braucht es Poesie, wenn wir davon reden wollen, dass Gott Mensch wird. „In dieser Perspektive ist die Jungfrauengeburt“ – so schreibt der Theologieprofessor Martin Nicol – „kein Problem von Weltbild, modernem Denken und zeitgemäßem Verstehen. Sie gehört vielmehr zu der poetischen Hülle, die die Bibel um ein Geschehen legt, das sich dem Verstehen entzieht.“ [1]

Lukas und seine Maria sehen die Situation nach dem Gruß des Engels und der Ankündigung ganz klar, nüchtern und – so möchte ich fast sagen – naturwissenschaftlich. Es brauchte nicht das aufgeklärte 20. Jahrhundert, um festzustellen, dass das mit der Jungfrauengeburt nicht so einfach wäre. Auch die dreizehn- bis vierzehn-jährige Maria wusste das: „Wie soll das zugehen, da ich von keinem Mann weiß?“ Die Antwort des Engels ist Bildsprache, ist Poesie, die deutlich macht, dass an dem, was da geschehen soll, eben nichts normal ist: Wenn die Macht des Höchsten Maria überschatten soll, dann geschieht das, was in der Geschichte von der Verklärung geschieht: Jesus wird mit den drei Jüngern, die ihn begleiten von einer lichten Wolke überschattet: Gott ist da. Wenn die Macht des Höchsten Maria überschatten soll, dann geschieht das, was Lukas in der Apostelgeschichte beschreibt: Der Schatten des Petrus soll auf die Kranken fallen, damit sie gesund werden: Gott ist da.

So auch hier in der Szene von Maria mit Gabriel. Ich möchte dem Poetischen in dieser Szene nachgehen, das in so zarten Bildern gezeichnet ist. Diese Zartheit jener Begegnung hat in der Kunst immer wieder Staunen und neue Zartheit in Farben und Bildern, Tönen und Worten hervorgerufen. [1]

Ich erinnere dazu an das große Filmepos „Jesus von Nazareth“ des italienischen Regisseurs Franco Zeffirelli aus dem Jahr 1977. Gezeigt wird Maria, schön wie von Fra Angelico oder Botticelli gemalt. Licht fällt in den Raum, die Luft bewegt sich. Woher das rührt, weiß man nicht. Marias Mutter, unbemerkt von der Tochter, sieht zu. Ihr geht es wie uns heute: Da geschieht Wundersames, aber wir nehmen ausschließlich wahr, was vor Augen ist. Der Engel bleibt für uns unsichtbar, die Szene irdisch, das Geschehen geheimnisvoll. Zu hören sind nur Marias Antworten aus einem mutmaßlichen Gespräch.

Zeffirelli schreibt die zarten Andeutungen der Bibel mit der Bildsprache des Films fort. Die Frage nach der Jungfrauengeburt wirkt plötzlich unangemessen. Die bohrende Frage nach einem Problem weicht der staunenden Frage, wie so viel Schönheit in der Welt sein kann. Wo doch Gott in die Welt kam, um Sünde, Tod und Teufel zu besiegen. Wo doch schon binnen weniger Monate viele Kinder ihr Leben durch Gewalt verlieren müssen, damit das eine Kind gerettet werde. Wo doch nicht nur Frieden, sondern auch das Schwert zur Sendung des Sohnes gehören werde, wie Jesus es später selber sagen wird. (Mt 10,35; vgl. Lk 2,35). Nein, so viel Schönheit, wie sie in dieser leisen, zarten Szene angedeutet wird, ist selbst in der großen Geschichte vom Handeln Gottes mit den Menschen und der Welt selten.

Gott kommt gewissermaßen pianissimo. Nicht immer, aber immer wieder. Im Jahr 1975 hat der Pianist Wilhelm Kempff, um solche leisen Momente im Erleben von Musik zu markieren, auf eine Epiphanie, eine Gotteserscheinung von vergleichbarer Zartheit verwiesen: „Irgendwo in der Heiligen Schrift steht geschrieben, dass der Heilige Geist nicht in Sturmesbrausen, sondern im sanften Wehen daherkomme. […] In der Musik eines Bach, in einem Largo von Beethoven dürfen wir Menschen in dieser apokalyptischen Zeit die verlorengeglaubte Stimme Gottes vernehmen.“

Angespielt wird auf die Geschichte, wie der Prophet Elia am Berg Horeb Gott begegnet (1. Kön 19,9-21): „Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam von dem Herrn her; der Herr aber war nicht im Winde.“ Ein Erdbeben kam und danach ein Feuer. Aber Gott war auch darin nicht. Nach dem Feuer aber kam ein, wie es in der Lutherbibel heißt, „stilles, sanftes Sausen.“ Jetzt erst ertönte Gottes Stimme. Nicht im erwartbaren Pathos von Naturgewalten erschien Gott dem Propheten, sondern unerwartet im „stillen, sanften Sausen“ oder, wie Kempff sagte, „im sanften Wehen“. Möglicherweise rührt die kaum merkliche Luftbewegung bei Zeffirelli aus einer biblischen Tradition, für die die Stelle aus dem 1. Königebuch 19 den bekanntesten Beleg darstellt.
Gott kommt pianissimo, mit zarten Bildern von großer Schönheit, die viel tiefer gehen als vordergründiges Gepolter. Dorothy Sayers hat recht mit ihrer Hochschätzung der Inkarnation. Wer hören will, wie sie klingt, kann sich zum Beispiel Johann Sebastian Bach und seiner Vertonung des „et incarnatus est“ in der h-Moll-Messe überlassen. Wo die „Jungfrauengeburt“ so klingt, könnte sie sich als Problem modernen Denkens auch einmal erledigt haben. [1]

Es geht also nicht darum, mit irgendwelchen abstrusen Erklärungen einen Weg zu finden, um die Jungfrauengeburt biologisch möglich zu machen oder sie historisch zu verifizieren. Es geht auch nicht darum, unseren Verstand am Eingang zum Glauben abzugeben. Es geht darum, in poetischer Sprache Worte zu finden, die das Unsagbare sagbar machen. Es geht darum, das mit Worten zu bekennen und davon zu singen, was neben dem naturwissenschaftlich Beweisbaren auch Wirklichkeit ist. So wie die Liebe zwischen zwei Menschen nicht naturwissenschaftlich beweisbar, und trotzdem Wirklichkeit ist und in der Poesie des Liebesliedes besungen werden kann.

Und Maria sagt Ja; ja, mir geschehe, wie du gesagt hast. Was ihr Ja ausgelöst hat, wissen wir nicht. Aber wenig später singt sie von ihrem glaubenden Vertrauen. Wir können dieses Ja auch sagen: zu dem, wozu uns Gott beruft: dieses ja, mir geschehe, wie du gesagt hast. Und auch wir können von unserem Glauben, von unserem Vertrauen in Gottes Macht singen. Heute soll Maria dazu den Ton angeben und uns ihre Worte in den Mund legen: Es erhebt meine Seele den Herrn. Amen.

Es folgt nach einer weiteren Textlesung mit der Begegnung von Maria und Elisabeth (Lukas 1,39-45) das Magnificat, wie es in Taizé  als „Magnificat 3“ mit den Soloversen gesungen wird.

[1] Diesen Satz wie auch den Abschnitt über den Film von Zeffirelli und über die Musik verdanke ich Martin Nicol: Fanfaren der Freude und Ankunft im Pianissimo, in: Pastoraltheologie 2016/11 = Göttinger Predigtmeditationen 71/1, S. 36-42.