Im Rahmen unserer kleinen Predigtreihe „Ich – Du – Wir“ zu unserer Aktion Sommerkirche habe ich folgende Predigt gehalten:
Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
„Immer ich; immer, immer ich; immer, immer ich!“ – so heißt es in einem Kinderlied, das bei den Kirchenkids vor einigen Jahren ganz beliebt war, denn – so ist meine Vermutung – es traf die Lebenswelt der Kinder auf den Kopf: Immer bin ich es, der oder die „auf dem Stöpsel sitzen und bei Mathe schwitzen muss oder der oder die mit der Suppe kleckern wird oder am Fahrrad Platten kriegt; der oder die den Müll wegbringen muss oder die Vase fallen lässt“ und vieles mehr. Bei dieser Aufzählung wird deutlich: Außer bei dem „Früh-Schlafen-Gehen“, das auch noch aufgezählt wird, werden auch die Großen bei diesem und vielem, vielem anderen ganz schnell sagen: „Ja, warum eigentlich immer, immer ich?“
Alle, die das so empfinden, haben eine entscheidende Entwicklung in ihrem Leben durchgemacht: Sie haben gelernt, was es heißt, Ich zu sagen. In dem Kinderlied mit der Verbindung zu dem, was Menschen nicht so gerne machen oder was ihnen unangenehm ist. Das Ich des Menschen wird aber auch ganz anders erlebt: als ein Mensch, der absolut von sich überzeugt ist und nur an sich und seinen Vorteil denken kann: das ist der Egoist; als Mensch, der in seinem Leben nur Schwierigkeiten und das eigene Ungenügen sieht: als Mensch mit Depressionen; als ein Mensch, dem alles gelingt und der voller Freude das Leben genießen kann: das strahlende Ich des Lebensfrohen. Die Liste ließe sich um ein Vielfaches erweitern.
Es gehört zu den ganz grundlegenden Dingen in der Entwicklung, dass ein Mensch lernt, Ich zu sagen. Ich möchte aber einen Schritt zurücktreten und danach fragen: Wer ist dieser Mensch, der von sich ganz bewusst Ich sagen kann und damit in unserer Welt als Einzelner einen ganz besonderen Platz einnimmt?
In einem Abschnitt aus der Bibel wird die Frage nach dem, was der Mensch ist und woher er kommt, in erzählerischer Weise beantwortet: im 1. Buch Mose. Der erste Schöpfungsbericht sieht den Menschen in der Entstehung des ganzen Kosmos. Im zweiten Schöpfungsbericht wird der Mensch ins Zentrum von Gottes Schaffen gestellt. Dieser Abschnitt aus dem 2. Kapitel ist der Predigttext für den heutigen Sonntag als Auftakt unserer Predigtreihe über „Ich – Du – Wir“:
4b Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. 5 Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen; denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute; 6 aber ein Nebel stieg auf von der Erde und feuchtete alles Land. 7 Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.
8 Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. 9 Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. 15 Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.
16 Und Gott der HERR gebot dem Menschen und sprach: Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, 17 aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben. (aus: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart)
Liebe Gemeinde!
Drei Momente des Menschseins und damit für unser aller Ich werden uns hier vor Augen geführt. Zuerst unser Geschaffensein durch Gott, indem er uns aus Erde macht und den Odem des Lebens, den Lebensatem in unsere Nase bläst; dann unser Lebensumfeld, das die Bibel mit dem Bild des Gartens beschreibt, zusammen mit unserer Lebensaufgabe, diesen Garten zu bebauen und zu bewahren; und schließlich drittens unsere Begrenzung, die wir als Menschen erfahren, durch Gottes Gebot und durch den Tod.
Jeder Mensch kommt nicht irgendwo her. Davon erzählt uns die Bibel in diesem so schönen und anschaulichen Abschnitt. Dass es diese Geschichte nicht mit unseren heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Herkunft des Menschen aufnehmen kann, ist nicht verwunderlich – wer wollte den Menschen vor über 3000 Jahren vorwerfen, dass sie unsere heutigen Forschungsergebnisse noch nicht kannten. Aber der Bericht von der Erschaffung des Menschen enthält tiefe Einsichten über das Menschsein und damit das Ich-Sein, Einsichten, die wir durchaus auch als Wahrheiten ansehen können, auch wenn sie nicht im naturwissenschaftlichen und historisch kritischen Sinn wahr sind.
Wir sind, so erzählt es die Bibel, von Gott geformt, also handgemacht. Was in jedem Kunsthandwerk als Wert an sich angesehen wird, das gilt auch für den Menschen, für uns: handgemacht und damit in jeder Weise ein Unikat, das je für sich unverwechselbar ist. Trotzdem sind wir nicht nur ein bloßer Erdklumpen. So wie ein geschnitztes Stück Holz oder ein schön bearbeiteter Stein mit seiner Maserung zwar auch ein Unikat ist, aber eben doch nur Holz und Stein. Der Mensch wurde zum lebendigen Wesen – durch den Odem des Lebens, den lebenspendenden Atem, den Geist Gottes. Das ist es, was uns als Menschen aus Sicht der Bibel so besonders macht, das uns über den Rest der Schöpfung hinaushebt. – Ohne dass es uns allerdings überheblich machen sollte: Jedes Ich hat Anteil am Geist Gottes.
Mit dem Garten, den Gott als Lebensumfeld für den Menschen anlegt, so das Bild der alten Schöpfungsgeschichte, kommt der zweite Aspekt unseres Menschseins dazu. Wir sind als Ich nie alleine Ich im luftleeren Raum. Vielleicht wären wir das ja gerne: frei und unbegrenzt, absolut autonom; damit wären wir aber zugleich ohne Orientierung und Bodenhaftung, ohne Raum. Es gehört eben zu unserem Menschsein dazu: Wir werden in eine, in diese eine Welt hineingesetzt, hineingeboren: eine Welt mit Sträuchern, Kraut und Bäumen, mit Flüssen, die den Garten umfließen und schließlich mit den Tieren, von denen wir allerdings erst nächste Woche hören werden.
Gott setzt uns also in den Garten, lässt uns hinein geboren werden in diese Welt – eine Welt, die uns erst einmal alles bietet, was wir brauchen. Und Gott lässt uns nicht ohne Perspektive in dieser Welt sein. Er gibt dem Menschen eine Aufgabe und damit ein Lebensziel und einen Lebenssinn: Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.
Auch das gehört zu dem Besonderen des Menschen: den Raum der Schöpfung bewusst zu nutzen und verantwortlich zu behandeln. Denn es gäbe ja auch durchaus Tiere, die in dieser Welt bauen: Ameisenhaufen und Termitenhügel, Spinnennetze und Bienenwaben sind wunderbare Zeugnisse tierischer Baukunst. Aber die Erde, also das Land zu bebauen in dem Sinn, dass Ackerbau getrieben wird, dass gesät und geerntet wird, das gehört zu den menschlichen Eigenarten.
Im Schöpfungsbericht wird im gleichen Atemzug aber auch deutlich gemacht, dass das Bebauen auch übertrieben werden kann und dann zerstörerische Züge annimmt. Und so wird der Mensch als solcher mit dem Bebauen und dem Bewahren beauftragt. Wie wichtig das mit dem Bewahren ist, fängt an, in unserer Gegenwart besonders deutlich zu werden. Die Auswirkungen unseres Tuns im Bebauen der Erde, also im Nutzen ihrer Ressourcen, werden oft erst im Nachhinein sichtbar. Und das gilt im kleinen Garten unseres je eigenen Lebens ebenso wie im globalen Wirtschaftsgarten mit seiner Industrie und seiner Zerstörung durch Krieg und Verantwortungslosigkeit.
So ist der segnende Auftrag Gottes, den Garten zu bebauen und zu bewahren, zugleich Mahnung und Warnung. Der Schlüsselbegriff für das Leben des Ich in der Schöpfung Gottes ist das Verständnis des Wortes „bewahren“. Es meint nicht einfach: „Ich sorge dafür, dass sich nichts verändert“ oder „Ich sorge dafür, dass es hinterher wieder ordentlich ist“. Denn Gott ist kein Reaktionär und auch kein Elternteil, das pubertierende Jugendliche zum Aufräumen anhalten will. Das Wort „bewahren“ als die Aufgabe des Menschen meint, dass der Mensch den Garten, die Schöpfung Gottes hüten, also behüten soll; und das ist – gegen jede kalte Gewinn- und Verlust-Rechnung – eine Angelegenheit des Herzens.
Spätestens im segnenden Auftrag Gottes, den Garten zu bebauen und zu bewahren, wird deutlich, dass jedes Ich begrenzt ist. Nicht nur durch die häuslichen Pflichten wie Müll wegbringen oder durch die Scherbe auf der Straße, die für den Platten verantwortlich ist und mich nicht weiterfahren lässt. Dem Menschen sind Grenzen gesetzt: Im Bild des Gartens sind es die vier Flüsse, die den Garten umgeben; in den Worten Gottes sind es seine Gebote und die Verheißung des Todes, die zeigen: Jedes Ich hat seine Grenzen, braucht seinen Rahmen.
Wie immer im Leben sind die Grenzen aber auch etwas, an denen sich Menschen abarbeiten: Sie wollen nicht akzeptieren, dass ihr Ich eingeschränkt ist; sie wollen die Grenzen austesten, ausreizen und überwinden; und sie müssen sie doch immer wieder anerkennen. Bei den Olympischen Spielen in diesen Tagen wird das auf sportlichem Gebiet besonders deutlich: die Sehnsucht danach, die Grenze des bisherigen Rekords zu knacken, ist dabei oft sogar so groß, dass zu unfairen Mitteln gegriffen wird.
Besonders schwierig für die Menschen ist die Begrenztheit des Lebens durch den Tod, denn der zerstört endgültig Lebensbezüge innerhalb des Lebens. Durch den Tod bekommt das Leben allerdings auch seinen unwiederbringlichen Wert.
Aber auch in der Sorge um das eigene Leben kommt die Schwierigkeit des begrenzten Ichs zum Vorschein: Was wollen wir nicht alles planen und absichern und können es doch nicht. So vieles bleibt für das Ich in seiner Begrenzung unverfügbar. Die Worte Jesu, die wir als Schriftlesung gehört haben, eröffnen uns eine Lebensperspektive: In der Suche nach Gott, von dem wir unser Leben und den Sinn dieses Lebens erhalten haben, empfangen wir auch das Lebensnotwendige. „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so Euch solches alles zufallen!“ Das Evangelium für diesen Gottesdienst zeigt uns die Verantwortung des Schöpfers für seine Schöpfung, der in Jesus Christus sogar die Begrenzung des Lebens durch den Tod aufgehoben hat.
Jedes Ich ist ein handgefertigtes Unikat Gottes, das mit Gottes Geist belebt und mit seinem Segen in diese Welt gestellt ist. Mit seinem Wort und seiner Weisung gibt Gott jedem Ich einen Rahmen für sein Leben, so sehr uns dieser Rahmen auch manchmal stören mag. Und Gott hält alles in seiner segnenden Hand.
„Immer ich; immer, immer ich; immer, immer ich?“ Ja – auch du. Auch dir gilt der lebenschaffende und lebenerhaltende Atem und Geist Gottes. Amen.