Predigt am 3. Advent 2021 über 1. Korinther 4,1-5

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Gemeinde am 3. Advent!

„Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“ So beginnt in der Lutherübersetzung unser Predigttext, den Ute Baumann eben gelesen hat. Der erste Gedanke, der mir dabei durch den Kopf ging, war ein alter Schlager: Jemand eine Idee?

Genau: Johanna von Koczians Lied aus dem Jahr 1977: „Das bisschen Haushalt macht sich von allein, sagt mein Mann! Das bisschen Haushalt kann so schwer nicht sein.“ Nur durch Ironie stellt die Sängerin die alten Rollenzuschreibungen in Frage. Bis dahin entsprach die Aufgabenverteilung zwischen Ehepartnern auch im Bürgerlichen Gesetzbuch dem Stand des Jahres 1900, wonach die Frau nur dann berufstätig sein durfte, wenn dies nicht mit ihren häuslichen Pflichten in Ehe und Familie kollidierte. 1977, im Erscheinungsjahr des Liedes trat in Deutschland dann endlich das „Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts“ in Kraft.

Einen Haushalt in Ordnung zu halten, ist aber mitnichten nur ein unbedeutendes Anhängsel im Leben von Menschen. Und dabei ist es ganz gleich, ob es sich um eine kleine Wohnung handelt, wo alles im Weg liegt, was man nicht sofort wegräumt; oder ob es sich um eine große Wohnung mit unendlich vielen Zimmern handelt, wo man in diesem oder jenem mal schnell etwas verstecken kann.

Noch deutlicher wird es, wenn wir aus dem Haushalt einer Wohnung in den Finanzbereich wechseln: Da hat ein Haushalt schnell einen Millionen- oder Milliarden-Umfang und alle, die dafür verantwortlich sind, müssen genau Rechenschaft darüber ablegen, wie sie mit dem Geld umgegangen sind. Bei staatliche Haushalten entscheidet dann auch die Frage, wie gut eine Regierung mit den Finanzen umgegangen ist, darüber, ob sie wiedergewählt wird oder nicht. Aber alle, die in einem Verein oder auch hier in unserer Kirchengemeinde schon einmal Verantwortung für Geld übernommen haben, wissen, wovon ich rede.

Paulus geht es bei seiner Haushalterschaft aber nicht um Geld, es geht ihm auch nicht darum, ob im Gemeindehaus alle Töpfe abgewaschen sind oder ob in der Kirche Staub gewischt ist und die liturgischen Gewänder gereinigt und ordentlich aufgehängt sind. Die Geheimnisse Gottes, die ihm und anderen anvertraut sind, das sind andere Dinge. Oder besser: Es sind keine Dinge, keine materiellen Güter, sondern geistliche Schätze, und sie haben für Paulus einen unschätzbaren Wert.

Ich weiß nicht genau, wie Paulus es in ganz wenigen Worten oder Sätzen gesagt oder aufgeschrieben hätte. Neben den Antworten auf die Probleme der von ihm gegründeten Gemeinden nehmen seine grundsätzlichen Aussagen über den christlichen Glauben in seinen Briefen ja einen ganz großen Raum ein. Darum will ich es mit meinen Worten zu sagen versuchen.

Die Geheimnisse Gottes sind das glaubende Wissen, das vertrauende Glauben, dass in Jesus Christus Gott für alle Menschen zum Heil in diese Welt gekommen ist: Niemand braucht abseits zu stehen, der sich diesem Jesus Christus anvertrauen möchte. Gottes Geist verbindet alle, die an Christus glauben, und führt sie in der Gemeinschaft der einen Kirche zusammen. Und hier werden die beiden konkreten Geheimnisse wichtig, die das Leben der Kirche ausmachen: die Taufe, mit der Menschen in diese Gemeinschaft aufgenommen werden; und das Abendmahl, in dem Christinnen und Christen immer wieder neu Anteil an Jesus Christus bekommen und so für ihren Weg als Glaubende gestärkt und ermutigt werden.

Zu diesen Geheimnissen gehört dann auch, dass diejenigen, die von diesem Weg abgekommen sind, immer wieder neu zu Gott zurückkommen können, dass Gott diejenigen mit offenen Armen empfängt, die wie der zuvor verlorene Sohn sich ihm von Neuem anvertrauen wollen.

In Gottes Gemeinschaft eingeladen zu sein – als seine geliebten Kinder; an seinem Tisch willkommen zu sein – nicht als Gäste und Fremdlinge, sondern als seine Hausgenossen; und zu ihm zurückkommen zu dürfen – weil Gottes Liebe und Güte jeden Morgen neu sind: Das sind die Geheimnisse dieses Gottes, für die es gilt, gute Haushalterinnen und Haushalter zu sein.

Wer ist ein Haushalter der Geheimnisse Gottes? Klar, Paulus sieht sich selbst als ein solcher und mit ihm viele andere, die in Korinth und an vielen anderen Orten wirken. Aber auch schon vorher gab es sie. Gehen wir von Paulus gesehen zunächst einmal in der Zeit rückwärts:
Über Jesus müssen wir an dieser Stelle nicht sprechen. Denn Jesus ist als Sohn Gottes zuallererst Teil dieses Geheimnisses. Während seiner irdischen Zeit hat er dann aber auch wie kein anderer die Zuwendung Gottes zu den Menschen gelebt.

Aber da ist Johannes der Täufer, dem dieser 3. Sonntag im Advent gewidmet ist. Er war so ein Haushalter – ganz sicher. Ihm lag – in seiner ja etwas ruppigen Art: „Ihr Schlangebrut, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?“ – doch sehr daran, die Menschen durch seine Taufe der Umkehr wieder zu einer lebendigen Beziehung zu Gott zurückzuführen.

Vor ihm waren es die Propheten – wie Elia und Amos, Jesaja, Jeremia und so viele andere, die sich immer wieder eingesetzt haben, dass die Weisungen Gottes für ein Leben im gelobten Land und in Freiheit vom Volk Israel auch eingehalten wurden. Diese Weisungen, die Tora, war in gewisser Weise über Jahrhunderte das Geheimnis von Gottes Bund mit Israel. Und diese Weisungen hatte der erste und einer der größten Haushalter der Geheimnisse Gottes in großer Treue und mit einer unglaublichen Kraftanstrengung über 40 Jahre auf der Wüstenwanderung dem Volk Israel gebracht und für sie bewahrt: Das war Mose.

Und seit Paulus? Immer wieder hat es diese treuen Haushalterinnen und Haushalter gegeben. Denn ohne die würden wir heute nicht hier in der Kirche sitzen und an die Liebe Gottes glauben, die in Jesus Christus erschienen ist. Da gibt es welche mit großen Namen: Augustinus und Gregor der Große, dem wir den gregorianischen Choral und damit unsere Kirchenmusik verdanken, Hildegard von Bingen und Hildburg, die hier bei uns so viele Kirchen gegründet hat, Martin und Katharina Luther, Dietrich Bonhoeffer und Marie Schmalenbach. Mindestens genauso wichtig sind aber auch die ohne die großen Namen: die Lehrerinnen und Pastoren und die unzähligen Väter und Mütter, die ihren Kindern den Glauben in all den Jahrhunderten treu und zuverlässig weiter gegeben haben.

Da wird deutlich: Haushalterinnen und Haushalter der Geheimnisse Gottes – das sind nicht irgendwelche andere Leute, zu denen man aufblicken muss. Haushalterinnen und Haushalter der Geheimnisse Gottes – das sind wir alle! Wir, die wir durch unsere Taufe zu Kindern Gottes und damit zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Reich Gottes berufen sind.

Und wer ist nun das, was Paulus einen guten Haushalter nennt? Paulus wagt es nicht, sich selbst einzuschätzen. Er war nach seiner Bekehrung vor Damaskus ein großer Eiferer, der mit einer ungeheuren Energie für den Glauben an Jesus Christus und damit für die Geheimnisse Gottes gearbeitet hat. Aber er ist sich nicht sicher, wie Gott urteilt. Und den Korinthern rät Paulus dringend, niemanden zu beurteilen oder gar zu verurteilen, was dessen Glauben und damit auch die Qualität seiner Haushalterschaft betrifft. Er ist sich sicher: Gottes Maßstäbe sind oft ganz anders als unsere.

Paulus weiß nur ein Doppeltes: Am Ziel der Welt wird zuerst alles vom Licht Jesu Christi beschienen sein: von dem Licht, das alles aufdeckt und offensichtlich macht. Aber Gott wird das alles mit seinem liebenden Blick ansehen. Und deshalb wird als Zweites Gott alle Menschen nach ihrem Verdienst loben. Das macht mich für uns alle unendlich zuversichtlich: Gottes Lob wird auch am Ziel unseres Lebens stehen.

Das sollte uns mutig und getrost machen, unsere Aufgabe als Haushalterinnen und Haushalter von Gottes Geheimnissen aktiv zu gestalten: unseren Glauben als lebendige Glieder der Kirche Jesu Christi zu leben. Amen.

Predigt am 3. Advent 2020 (13. Dezember)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Gemeinde am 3. Advent!

Zacharias – sein Lobgesang steht im Mittelpunkt und damit er selbst. Zacharias, der Vater von Johannes dem Täufer, der der entscheidende Wegbereiter für Jesus werden sollte. Zacharias, dem der Engel Gabriel im Tempel von Jerusalem erschien, um ihm seinen Sohn Johannes anzukündigen, obwohl Zacharias und Elisabeth für Kinder doch schon viel zu alt waren. Zacharias, der als Priester am Tempel in Jerusalem seinen Dienst tat und als Vater des Johannes zu einer entscheidenden Übergangsgestalt vom Alten zum Neuen wurde.

In den Evangelien sind diese Übergänge vom Alten zum Neuen ganz wichtig. Bei Matthäus und Lukas gibt es die Geburts- und Kindheitsgeschichten zu Beginn und die Auferstehungs-, Himmelfahrts- und Aussendungsgeschichten als Nachklang. Geprägt sind diese Abschnitte durch Menschen wie Zacharias. Sie sind – um es in ein Bild zu fassen – wie Fährleute, die die Leserinnen und Leser vom einen auf das andere Ufer der Zeit geleiten.

Für den Übergang von der Zeit mit dem irdischen Jesus in die nachösterliche Zeit des „Nicht-Schauens“ ist Thomas, der Zweifler, die klassische Übergangsgestalt: für die Zeit nach Ostern, wenn Jesus nicht mehr greifbar ist.

Diesem Zweifler Thomas entspricht am Anfang des Evangeliums der alte Zacharias bei Lukas. Zacharias ist der Thomas des Advents – angesichts der kommenden Zeit des irdischen Jesus. Wie Thomas fordert er ein Zeichen und bekommt es – aber ganz anders als er es erwartet. So wird er zur Übergangsgestalt zwischen Altem Testament und dem Beginn der Christusgeschichte.

Schon sein Name Zacharias ist dabei Programm, denn der bedeutet „Der Herr gedenkt“ und was der Erzengel Gabriel ihm im Jerusalemer Tempel sagt, enthält die letzten Worte der griechischen Fassung des Alten Testamentes als Brücke zwischen dem Alten und dem Neuen. Ja, mit dem Engel Gabriel bei Zacharias erfüllt sich die Verheißung des Boten Gottes im Tempel in Jerusalem aus dem Propheten Maleachi. Das Kommen Jesu ist das Gedenken Gottes an sein Volk.

Zacharias reagiert auf die Ankündigung des Neuen in drei Schritten: mit Zweifeln, mit Schweigen und schließlich mit Singen. Und er ist damit zum Vorbild geworden für alle, die das Evangelium als etwas immer wieder neu Irritierendes erfahren.

Am Anfang steht der Zweifel. Zacharias ist zusammen mit Thomas auch beileibe nicht der Einzige, dem es so ergeht. Ob Ostern und Weihnachten – das Neue, das Wunderbare, das Evangelium löst bei den Menschen zuerst Skepsis, Vorbehalte und Missverstehen aus. Denn der Glaube an das Evangelium ist eine unmögliche Möglichkeit. Mit Martin Luther im Kleinen Katechismus gesprochen: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann.“ Und weil das für Ostern wie für Weihnachten gilt, braucht es jeweils eine entsprechende Vorbereitungszeit: Advent und Passion – als Kopfwüsten des Glaubens. Zweifel, Vorbehalte und Skepsis sind notwendig um das Neue vorzubereiten. Kein Glaube ohne Zweifel, kein Ostern ohne Thomas, kein Advent ohne Zacharias. Thomas Latzel, Leiter der Ev. Akademie in Frankfurt, sagt es so: „Zweifel sind die notwendigen kreativen Wehen von Wahrheit und Wundern.“

Im zweiten Schritt wird Zacharias selbst zu dem Zeichen, das er sich wünscht: Er kann nicht mehr reden, denn das, was ihm geschehen ist, das lässt sich nicht in Worte fassen. Ganz ähnlich wie das Zweifeln hilft das Schweigen, das Geschehen werden zu lassen – es ist vielleicht so etwas wie der Dienst einer Hebamme bei der Geburt. So wie Zacharias neun Monate nicht redet, so schweigt und fastet Jesus 40 Tage in der Wüste, bevor er zu wirken beginnt; und in der Passionsgeschichte schweigt Jesus ab einem bestimmten Zeitpunkt vor Pilatus.

Zacharias verschlägt es durch die unglaubliche Anrede des Engels die Sprache und dadurch hat diese Anrede in Zacharias den Raum, den sie braucht: zur inneren wie äußeren Vorbereitung auf das Neue, das kommt. Vielleicht wäre das auch für heute etwas sehr Heilsames: Ein „Wörter-Fasten“ in der Kirche des Wortes. Ja, in Zeiten von medialer Dauerbeschallung mit Wort und Bild möchte ich manchmal auch still und stumm und so zum Zeichen werden: „Und sagt kein einziges Wort.“ – als Predigt, als Verkündigung, die statt auf die Stimme, auf die Beredtheit der Stille traut.

Für Zacharias ist die Stille nicht selbst gewählt; sie widerfährt ihm von außen. Und so führt diese Stille auch wieder aus ihm heraus in einen aus der Stille geborenen Gesang – nach dem Zweifel und dem Schweigen das Singen als dritter Schritt. Was die Träume der Weisen und Josephs in den Vorgeschichten bei Matthäus sind, das sind die Lieder bei Lukas: die Lobgesänge von Maria, Zacharias und Simeon. Sowohl durch die Träume bei Matthäus als auch durch die Lieder bei Lukas wird die göttliche Wirklichkeit für die Menschen erfahrbar.

Diese göttliche Wirklichkeit ist nicht einfach so zu sagen und zu erzählen, sie ist unsagbar. Wovon man aber nicht sprechen kann, davon muss man schweigen oder singen. Denn das Singen macht den ganzen Leib zum Klangkörper; die Menschen werden beim Singen selbst zum Resonanzraum. Ich erfahre so an mir selbst, was ich sage; ich bin, was ich singe. Auf diese Weise gewinnt das Neue, die Frohe Botschaft, durch mein Lied an und in mir selbst Gestalt, wird das Erhoffte zur anbrechenden Wirklichkeit. Deswegen, wegen seiner vorwegnehmenden Wirkung, ist das Singen von so zentraler Bedeutung im Advent: Es wird schon zeichenhaft Wirklichkeit, wovon es verheißungsvoll spricht. Nicht von ungefähr galt Johannes, der Täufer, deshalb früher einmal als Patron der Kirchenmusik, weil seine Geburt die Lippen seines Vaters gelöst hatte.

Das „Benedictus“, der Lobgesang des Zacharias, ist zusammen mit dem „Magnificat“, dem Lobgesang der Maria, und dem „Nunc dimittis“ des greisen Simeon fester Bestandteil im gesungenen Stundengebet in der katholischen und in der evangelischen Kirche. Gesungen wird das Benedictus in der Laudes, also im Morgengebet und spiegelt damit das Nachdenken über den neuen kommenden Tag mit einer „morgendlichen Theologie“: voller träumender Erinnerung und hoffnungsvollem Neuanfang, die sich in den zwei Teile des Gesangs verbinden.

Der erste Teil von Zacharias Lobgesang erinnert an und bewahrt den Zusammenhalt mit dem Vergangenen. Er erinnert an David, an die Väter und den Heiligen Bund, den Eid, den Gott Abraham geschworen hat. Das Evangelium, das Lukas in den folgenden Kapiteln erzählt, ist also ganz tief und fest in der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel verankert. Hier spricht der Priester Israels, der Zacharias war.

Im zweiten Teil geht es dann um das Kind Johannes und damit um den Blick nach vorne in die Zukunft. Johannes ist der Wegbereiter Christi; er ist der vorausweisende Prophet und vermittelt das so sehnlich erwartete Licht. Er setzt alle, die sich darauf einlassen, auf den richtigen Weg, auf den neuen Weg des Friedens. In einem Film könnte das ganze folgende Evangelium so etwas wie ein Roadmovie über diesen Friedensweg sein.

Die „morgendliche Theologie“ blüht in den letzten Versen besonders auf: das Licht aus der Höhe, das aufgeht und es denen hell macht, die vorher noch in Finsternis und Todesschatten gesessen haben; das aufgehende Licht, das die Füße der Menschen auf den Weg des Friedens ausrichtet. Anbrechendes Licht – Vergehen der Nacht – Aufbruch auf einen neuen Weg. Das meint Advent.

Und der zweifelnde, schweigende und zum Schluss singende Zacharias kann auch für uns heute ein Wegbereiter für Christus sein. Zusammen mit dem zweifelnden Thomas am Ende umfasst er am Anfang das eigentlich unsagbare Evangelium von der Liebe Gottes zu den Menschen. Damit eröffnet Zacharias auch uns heutigen Menschen mit unseren Fragen und Zwiespälten den Raum, den wir brauchen. So wird er für uns zur Übergangsfigur in die Zeiten des anbrechenden Lichtes aus der Höhe.
Amen.

Die Predigt basiert auf den Gedanken von Thorsten Latzel in den Göttinger Predigtmeditationen, die ich gerne aufgenommen und an einigen wenigen Stellen (fast) wörtlich zitiert habe (Gött. Predigtmed. 75, S. 37-43).

Predigt am 3. Advent 2019 über Lukas 3,1-20

Vorbemerkung: Der Predigttext Lukas 3,1-20 ist in den Erzählfaden der Predigt eingewoben. Wo der Bibeltext (fast) wörtlich erscheint, ist er kursiv beziehungsweise in Großbuchstaben gesetzt. Die beiden Abschnitte in Großbuchstaben wurden von einer anderen Stimme gelesen. Der Bibeltext folgt der 2017er Revision der Lutherbibel (© 2016 Deutsche Bibelanstalt).

(Ort: Vor dem Altar)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Der heutige Predigttext steht im Evangelium nach Lukas, im 3. Kapitel. Ich werde den Text jedoch nicht als ganzen vorlesen und dann auslegen, sondern in erzählender Form kommentieren. Stellen Sie sich einfach vor, dass es wie beim Heute-Journal oder bei den Tagesthemen eine Live-Schaltung an den Ort des Geschehens gibt; die Schaltung heute überwindet aber nicht nur die Entfernung, sondern auch die Zeit. Der Korrespondent spricht von damals in unsere Zeit heute im 21. Jahrhundert hinein.
Die Regie blendet jetzt also von dem Moderator zu dem Korrespondenten über:
(Ortswechsel: auf der Kanzel)

Ich melde mich aus Palästina. Wir befinden uns [1] im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war und Herodes Landesfürst von Galiläa und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Landesfürst von Abilene, [2] als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren. In dieser Zeit gibt es noch keine weltumfassenden und allgemeingültigen Jahreszahlen. Um ein Geschehen in seinen geschichtlichen Zusammenhang einordnen zu können, werden die Regierungsdaten bekannter Herrscher mit Ereignissen und Daten aus der näheren Umgebung verbunden, die allen bekannt sind. So könnte bei Ihnen das Jahr 2019 als „im 15. Jahr der Regierung von Angela Merkel, als Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und Berndt Hedtmann Bürgermeister von Porta Westfalica war“ beschrieben werden. So wissen alle: Das Geschehen ist wirklich passiert.

Im Mittelpunkt meines Berichtes steht ein gewisser Johannes, der in der letzten Zeit hier in Palästina viel Aufsehen erregt hat. Schon die Umstände seiner Geburt waren sehr besonders, weil die Eltern für Kinder eigentlich schon zu alt waren und die Namensgebung allen Gepflogenheiten widersprach. Schon damals – so wurde mir erzählt – fragten sich die Leute, was wohl aus diesem Kind werden würde. Auch sein Vater Zacharias, ein Priester, muss so eine Ahnung von der Zukunft seines Sohnes gehabt haben, denn er hat seine Sicht auf die Situation und das Kind in einem besonderen Lied festgehalten, das im Bericht eben zu hören war.

Vor einiger Zeit nun hat dieser Johannes wohl von seinem Gott einen Auftrag bekommen, als er sich in der Wüste befand. [3] Und er kam wenig später in die Gegend am Jordan und predigte.

Als er auf sein Selbstverständnis hin angesprochen wurde, hat dieser Johannes keine lange Rede gehalten, sondern nur auf eine Stelle in den alten Schriften seiner Religion verwiesen, die er sich zu eigen gemacht hat. [4] Da heißt es im Buch eines gewissen Propheten Jesaja: »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige eben! [5] Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden, [6] und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen.« Mehr bräuchte man über seinen Auftrag nicht zu wissen. Nach allem, was man zu dieser Schriftstelle finden kann, geht es um eine sehr intensive und hoffnungsvolle Erwartungshaltung: Denn mit seiner Ankunft soll das universale Heil dieses Gottes verwirklicht werden. Die Jahrhunderte alte Sehnsucht der Menschen nach Frieden und Gerechtigkeit soll erfüllt werden, weil die Ankunft Gottes ganz nahe bevorstehe.

Nötig für dieses universale Heil ist für Johannes, dass sich die Menschen von ihrem bisherigen Lebensstil abwenden. Dieser bisherige Lebensstil wird von Johannes als Sünde bezeichnet und besteht in einem Leben, das nicht den Geboten Gottes entspricht. Das Ziel des Johannes ist es, die Menschen dazu zu bringen, sich wieder neu seinem Gott zuzuwenden. Um diese Neuausrichtung sichtbar zu machen, – damit es also nicht nur bei einem Lippenbekenntnis bleibt – verbindet Johannes seine Predigt mit einer Zeichenhandlung: Diejenigen, denen es mit der Neuausrichtung auf Gott ernst ist, lassen sich von Johannes im Wasser des Jordan untertauchen. So sollen die bisherigen Sünden abgewaschen werden. Johannes nennt diesen Akt die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden.

Von einigen Theologen bin ich allerdings darauf aufmerksam gemacht worden, dass diese landläufige Bezeichnung Taufe der Buße missverständlich sein könne. Denn in vielen Sprachen wird mit Buße eine Strafe verbunden. So wie Bußgelder für irgendwelche Vergehen zu zahlen sind. Für die lateinisch sprechenden Römer hier im Land mag das so sein. Die griechisch sprechenden Menschen können mit dem Aspekt „Strafe“ dagegen überhaupt nichts anfangen. Denn in ihrer Übersetzung bedeutet das, was Johannes sagt und tut, Taufe der Umkehr, also Taufe mit radikaler Neuausrichtung durch eine 180-Grad-Wende im Leben. Vielleicht ist das, was er fordert, bei Ihnen im Jahr 2019 mit einer 180-Grad-Wende bezüglich des Klimaschutzes zu vergleichen.

Das Interesse an der Predigt des Johannes jedenfalls ist riesig. Jeden Tag ist er von einer Menschenmenge umlagert, die ihm zuhört und nicht wenige lassen sich dann auch wirklich von ihm in den Jordan tauchen. Allerdings geht er nicht gerade zimperlich mit den Leuten um. Ganz im Gegenteil. Fast möchte man meinen, er will sie sogar von dieser Taufe abhalten, denn er schnauzt sie geradezu an. Hören Sie sich das einmal an: [7b] Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? [8] Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. [9] Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.

Wer möchte schon gerne so unter Generalverdacht gestellt werden, es nicht ehrlich zu meinen: Otterngezücht oder Schlangenbrut – das ist nicht wirklich nett. Aber das Geraderichten beim Kommen Gottes, das Johannes mit den Worten des Propheten Jesaja ankündigt, wird wohl nicht so ganz einfach sein – eher schmerzhaft. Wer würde sich da, um dem zu entgehen, nicht gerne ein Hintertürchen offenlassen? Wenn man hier und da ein paar gute Beziehungen hat, wird es dank dieser Beziehungen doch nicht so schlimm werden? Und das Vitamin „B“ zu Abraham, dem Stammvater des jüdischen Volkes, könnte da ja eine wichtige Rolle spielen. Solche Gedanken sieht Johannes bei der Menge vor ihm wohl sehr deutlich.

Aber sich in solcher falschen Sicherheit zu wiegen, das ist nicht nur für die Menschen ein Problem, die zu Johannes kommen. Auch bei Ihnen in Deutschland und der übrigen westlichen Welt meinen viele Menschen, es könnte einfach so weitergehen wie in den letzten sechzig, siebzig Jahren, man könne sich so durchlavieren. So schlimm werde es schon nicht werden. Dass die Weltgeschichte einen ganz anderen Verlauf nehmen kann, als gedacht, und dass ganz sicher geglaubte Privilegien plötzlich nicht mehr gelten, kann womöglich schneller Wirklichkeit werden, als es sich viele Menschen träumen lassen. Deshalb fordert Johannes einen echten Wandel.

Was allerdings die rechtschaffenen Früchte der Umkehr sein sollen, von denen dieser Prophet spricht, ist der Menge hier vor Ort auch nicht klar. Immer wieder habe ich gehört, wie [10] Johannes aus der Menge heraus gefragt wurde: Was sollen wir nun tun? Die Antworten kamen aber immer prompt und ließen an Klarheit nichts zu wünschen übrig: [11b] Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso. Teilhabe an einem Leben in Würde für alle. So ließe sich sein Programm wohl am besten umschreiben: Hunger und seine Blöße nicht bedecken zu können ist mit der Würde eines Menschen nicht vereinbar. Dass alle Menschen zumindest das Nötigste für ihr Leben haben, ist für Johannes aber wohl noch zu wenig.

Die Gerechtigkeit, die zwischen Menschen entsteht, wenn beide Seiten sich wirklich auf Augenhöhe begegnen können, ist für ihn wohl die vorweggenommene Gerechtigkeit, die dieser Prophet Jesaja vor Augen hat. Und Johannes ist auch hier unbequem deutlich. „Entweder ganz oder gar nicht!“, scheint er zu sagen: Nur den Ärmel eines Hemdes abzugeben, ist genau so sinnlos, wie eine knappe Handvoll Reis zu geben, die zum Überleben auch nicht reicht.

Immer wieder kommen auch Fragen aus der Menge, in denen es um spezielle Gruppen geht. [12] Es kam kürzlich eine Gruppe Zöllner, um sich taufen zu lassen. Im Leben der Menschen hier nehmen sie eine besonders schwierige Stellung ein: korrupt und mit den herrschenden Römern im Bunde. Auch deren Frage war: Meister, was sollen denn wir tun? [13] Auch hier eine klar und deutliche Antwort: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! Wer die Verhältnisse hier kennt, weiß allerdings, dass das für diese Menschen eine Forderung ist, die an Radikalität nicht zu überbieten ist. [14] Dies gilt auch für eine weitere Gruppe, die sich an den Täufer gewandt hat: Soldaten. Die Antwort des Johannes war eine Absage an jede Gewalt und Habsucht: Tut niemandem Gewalt noch Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!

Liebe Zuschauer in Deutschland, der Auftritt des Täufers hat weite Kreise gezogen. [15] Bei vielen, die sich den Traditionen und Verheißungen der Propheten verbunden fühlen, lässt sich eine unterschwellige Erregung wahrnehmen: Es gibt immer wieder Spekulationen, ob Johannes der Täufer vielleicht der „Christus“ wäre, der als der entscheidende Heilsbringer von diesen Leuten erwartet wird. Damit würde vor allem die – in den Augen vieler so verhasste – Römerherrschaft zu Ende sein.

Johannes hat allen diesen Spekulationen aber eine Absage erteilt. Da zeigen sich sein Realismus und seine charakterliche Größe. Denn auf diese Fragen [16] antwortete er allen: Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber der, der stärker ist als ich; ich bin nicht wert, dass ich ihm die Riemen seiner Schuhe löse; der wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. [17] In seiner Hand ist die Worfschaufel, und er wird die Spreu vom Weizen trennen und den Weizen in seine Scheune sammeln, die Spreu aber wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen.

Mit diesen Worten, so scheint mir, hat Johannes zwar die Aufmerksamkeit von seiner Person etwas ablenken können. Was die Erwartungen an den kommenden Erlöser betrifft, da hat er wahrscheinlich eher Öl ins Feuer gegossen. Die Spannung hat sich noch einmal gesteigert. Und sehr deutlich bin ich in der letzten Zeit auf die Ereignisse hingewiesen worden, die sich fast parallel zu der Geburt des Täufers zugetragen haben: Die lassen das Geschehen jetzt in einem besonderen Licht erscheinen.

Denn nach den allgemein zugänglichen Informationen haben sich damals vor etwa dreißig Jahren in der Verwandtschaft des Johannes sehr bemerkenswerte Dinge zugetragen: Ein halbes Jahr nach Johannes wurde in Bethlehem, der Heimatstadt des unvergessenen Königs David, ein gewisser Jesus geboren. Dessen Eltern stammten aus Nazareth und waren beide mit David verwandt.

Noch sind sich Johannes und dieser Jesus, der damals unter so bemerkenswerten Umständen geboren wurde, nicht begegnet; aber vieles – auch mache Äußerungen des Täufers – deuten darauf hin, dass dieser Jesus mit den Verheißungen des Propheten Jesaja noch in viel stärkerem Maße verbunden ist.

Die Erwartungen hier jedenfalls sind hoch und die Atmosphäre ist angespannt, denn [18] mit vielem andern mehr ermahnte Johannes das Volk und predigte. Hier am Jordan ist es jetzt allerdings ruhig geworden. Der Täufer ist zunächst weiter gezogen. Die Menge hat sich verlaufen. Und dann haben wir kurz vor dieser Schaltung eine Nachricht erhalten, die die Situation noch schwieriger machen wird: [19] Herodes, der Landesfürst, der von Johannes zurechtgewiesen wurde wegen seines Verhältnisses mit Herodias, der Frau seines Bruders, und wegen all des Bösen, das er getan hatte, [20] fügte zu dem allen noch dies hinzu: Er warf Johannes ins Gefängnis.

Ich bin gespannt wie es mit dem Täufer und der ganzen Situation hier weiter geht. Und damit gebe ich zurück nach Deutschland ins 21. Jahrhundert.
(kurze Pause) Damit blendet die Regie wieder zurück.

(Ortswechsel: vor dem Altar)
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Bruder und Herrn. Amen.

Gottesdienst am 3. Advent 2019 (15. Dez.)

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Am Sonntag ist der 3. Sonntag im Advent. Im Mittelpunkt steht an diesem Sonntag Johannes der Täufer: Ohne ihn wäre die Verkündigung Jesu wohl nur schwer vorstellbar. Johannes selbst sah sich in einer Linie mit dem Propheten Jesaja, dessen Worte er programmatisch übernommen hat: „Bereitet dem HERRN den Weg; denn siehe, der HERR kommt gewaltig.“ (Jesaja 40,3.10). Jesaja durfte dem Volk Gottes in der Verbannung in Babylon neuen Mut zusprechen, Johannes wollte die Menschen wieder auf einen Weg bringen, der im Einklang mit Gott steht.

Wie zum Beispiel Lukas in seinem Evangelium berichtet, war Johannes bei seiner Wortwahl nicht zimperlich. Er hatte genaue Vorstellungen, wie die Menschen sich verhalten sollten. Lukas berichtet davon im 3. Kapitel seines Evangeliums: Lukas 3,1-18: die eigene Sicherheit nicht selbstverständlich nehmen, weil man ja schon immer dazu gehört hat; von dem, was man doppelt hat, die Hälfte abgeben; nicht mehr fordern als vorgeschrieben ist; keine Gewalt anwenden und sich genügen lassen an seinem Sold. – Aktueller geht es kaum.

Entscheidend aber bei allem ist, dass es bei dem, was Johannes verkündigt, nicht um Strafe geht. Das werden viele Menschen wahrscheinlich denken, wenn sie das Wort Buße hören, die Johannes verkündigt. So wie eine Geldbuße ja in unserer heutigen Zeit eine Strafe ist. Aber im griechischen Original steht da nichts von Strafe, sondern von Umkehr, denn „Umkehren“ das meint das Wort das im griechischen Neuen Testament an dieser Stelle steht. Folgenlos darf die Umkehr, also die Hinwendung zu Gott, aber auch nicht bleiben. Und so fordert Johannes „rechtschaffene Früchte der Umkehr“. Allerdings und eben nicht als Voraussetzung für ein erneuertes Verhältnis zu Gott, sondern als dessen Folge! Das ist entscheidend wichtig.

Mehr zu diesem Text am Sonntag (15.12.2019) in der Predigt.

Herzliche Einladung zum Gottesdienst:

  • in der Möllberger Kirche
  • um 10.00 Uhr
  • anschließend: Kirchenkaffee
  • anschließend: Büchertisch und Eine-Welt-Tisch

Nach dem gemeinsamen Beginn in der Kirche ist im Gemeindehaus Kindergottesdienst.