Predigt am Heiligen Abend 2021

Liebe Gemeinde am Heiligen Abend!
Nun ist es Weihnachten geworden – ich denke, bei vielen war es in diesem Jahr nicht so überraschend wie sonst. Denn die Frage, wie wir angesichts steigender Coronazahlen in diesem Jahr Weihnachten würden feiern können, hat ganz viele in den letzten Wochen beschäftigt.

Wie gut: Dass es Weihnachten wird, das hängt nicht von uns ab. Mit der Geburt des Kindes im Stall vor gut 2000 Jahren ist es Weihnachten geworden. Und wir dürfen uns in jedem Jahr neu daran erinnern, dürfen uns jedes Jahr neu in dieses Geschehen hinein nehmen lassen, mit dem sich Himmel und Erde verbinden.

Aber wie geschieht das? Reichen auf dem Weg dahin die Gefühle, die der Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, Weihnachtshits wie „Last Christmas“ oder „Coming home for Christmas“ oder ein Haus voller Lichterketten hervorrufen? Schon das Weihnachten im letzten Jahr mit all seinen Einschränkungen hat uns deutlich gemacht, dass es nicht nur um liebgewordene Rituale gehen kann, die den Zauber von Weihnachten aus der Kindheit jedes Jahr neu heraufbeschwören; dann wäre das Weihnachtsgeschehen und damit Gott in unserer kleinen Welt gefangen, dann hätten wir Gott sehr klein gemacht.

Wie aber werden wir hineingenommen in das Weihnachtsgeschehen? Es ist sicherlich etwas sehr Persönliches, um das es an Weihnachten geht. Angelus Silesius, der schlesische Bote Johannes Scheffler hat es in seinem kurzen Gedicht so wunderbar auf den Punkt gebracht. Er schreibt: „Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, doch nicht in dir, du gingest ewiglich verloren!“ Weihnachten geschieht: in mir und in dir – in jeder und jedem von uns – unabhängig von allen äußeren Vorbereitungen und Bemühungen, die wir selber machen können. Weil es schon einmal geschehen ist, kann Weihnachten auch heute wieder neu erfahren werden.

Aber es wäre viel zu kurz gegriffen, wollten wir Weihnachten auf einen kurzen, wenn auch heiligen Moment am Heiligen Abend 2021 beschränken, weil irgendwann irgendwo ein Kind geboren wurde. Die Nachricht von der Geburt des Heilandes, also dessen, von dem das Heil und Leben her kommt, hat Menschen schon immer verwandelt: angefangen von den Hirten auf dem Feld über die Weisen aus dem Morgenland bis hin zu denjenigen, die heute voller Sehnsucht auf Kraft und Zuversicht hoffen, um ihr eigenes Leben zu bestehen oder um anderen beizustehen, damit die ihr Leben bestehen können.

Weihnachten bedeutet beides: diese Botschaft für sich zu empfangen und sie dann an andere weiter zu geben. Und wie Jesus später nicht einfach nur Worte gemacht hat, sondern Menschen in ihrer Not ganz konkret geholfen hat, so wird auch unsere je eigene Weihnachtserfahrung nicht in erbaulicher Innerlichkeit stecken bleiben. Angesichts der großen Schwierigkeiten, vor die wir uns in dieser Welt gestellt sehen, wäre es fatal, wenn wir einfach nur „heile Weihnachtswelt“ fabrizieren würden. Der Klimawandel und seine Folgen und die immer noch großen Unterschiede zwischen Nord- und Südhalbkugel, das Auseinanderfallen unserer Gesellschaft und die Probleme, vor die die Pandemie uns nach wie vor stellt, erfordern Handeln aus der weihnachtlichen Gewissheit heraus.

Mut und Ermutigung dafür kommen aus längst vergangenen Zeiten, wenn der Prophet Micha für uns weihnachtliche Worte Gottes verkündet: 5,1 Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei. Er wird herrlich werden bis an die Enden der Erde. 4 Und er wird der Friede sein.

Diese Worte von Micha spielen vor allem bei dem Evangelisten Matthäus eine große Rolle, denn Matthäus stellt das Kind in der Krippe, sein ganzes irdisches Wirken als Jesus von Nazareth und seine Bedeutung für die ganze Welt und ihre Zukunft in einen Rahmen aus dieser Verheißung: Die Weisen aus dem Morgenland finden das Kind in der Krippe durch die Weissagung aus Micha; und Jesus nimmt in seiner großen Zusage, die das Matthäus-Evangelium beschließt, wiederum die Worte dieses Propheten auf und weitet sie noch aus: „Siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!“

So verbinden sich zwei Welten: die Verheißung aus uralter Zeit, die Menschen so vieler Generationen Hoffnung gegeben hat und bis heute Hoffnung gibt, auf der einen Seite mit einer Zusage auf der anderen Seite, die unsere Zukunft in den Blick nimmt: „bis an das Ende der Welt“. Weihnachten ist eben nicht „es war einmal“, es ist auch nicht die Wiederkehr des Ewiggleichen mit „the same procedure as every year“. Weihnachten ist heute, denn die Engel singen: „Euch ist heute der Heiland geboren!“ Und Weihnachten ist eine in die Zukunft hin offene Geschichte. Nachdem wir uns das Jahr über in so vielem festgefahren haben und in so vielem stecken geblieben sind, geht es deshalb an diesem Weihnachten „Zurück in die Zukunft“!

Das Ziel dieser Zukunft ist Friede: Der Friede auf Erden, von dem die Engel in der Heiligen Nacht singen; der Friede, den Jesus den Jüngern verheißt und der so viel mehr ist, als ein Zustand, bei dem gerade kein Krieg ist! In Jesus Christus wird dieser Frieden konkret, er verkörpert ihn, er ist der Friede: das Kind in der Krippe, das allen Menschen zum Heil geboren ist, das für alle Menschen am Kreuz stirbt und aufersteht und Herr ist! Amen.