Predigt am Sonntag Misericordias Domini – 18. April 2021

Barmherzigkeit Gottes, Misericordias Domini – das ist der Name dieses Sonntags. Und wie so oft sind Namen ja nicht nur irgendwelche aneinander gereihte Buchstaben, sondern haben ihre Bedeutung und ihren Sinn. Der Sonntag erzählt uns, was es mit diesem Gott auf sich hat, der sich mit Jesus Christus ein menschliches Gesicht gegeben hat. Er erzählt es mit einem uralten Bild, das trotz allen Fortschritts, trotz aller Maschinen und aller Technik immer noch verstanden wird, weil es ganz tief in uns etwas zum Schwingen bringt: Gott ist wie ein verantwortungsvoller Hirte, der sich aufopferungsvoll um die Menschen, seine Herde kümmert.

Aber es gibt auch Anfragen an dieses Bild: Zum einen wollen wir nicht einfach nur die Schafe sein, die sich lammfromm, also willenlos und unkritisch von ihrem Hirten führen lassen. Wir sind nicht unmündig und unfrei und wir wollen durchaus Verantwortung für das übernehmen, was wir tun. Aber das ist auch gar nicht Gottes Absicht mit uns. Er ruft uns immer wieder zu, diese Verantwortung für unser Leben wahrzunehmen. Mit seinem Hirtesein bietet uns Gott einen Lebens-Raum an, in dem wir unser Leben eigenverantwortlich leben können und sollen.

Zum anderen bringen Menschen das Bild vom guten Hirten in Misskredit, die zwar diese Funktion wahrnehmen, aber nicht seine Aufgabe erfüllen: Bei solchen Fake-Hirten steht der eigene Vorteil im Mittelpunkt und nicht die Fürsorge für die ihnen Anvertrauten. Vor allem beim Propheten Ezechiel geht Gott mit diesen falschen Hirten scharf ins Gericht. Jesus nimmt dies auf und verwirft den verantwortungslosen Mietling als ungeeignet.

Gerade in unseren Zeiten scheint es nun ganz leicht, Menschen in unterschiedlichsten Leitungspositionen als solche ungeeigneten Hirten zu identifizieren. Ob man mit solchen Urteilen und Verurteilungen recht hat, sei dahin gestellt. Ein pauschales Hirtenbashing würde in jedem Fall auf dem halben Weg stehen bleiben. Denn sowohl Gott bei Hesekiel als auch Jesus im Evangelium nach Johannes spannen den Bogen weiter.

Und hier kommt erneut zum Tragen, dass es keine blind-ergebenen Herdentiere sind, die unkritischen einem Leithammel hinterher trotten. Gott und Jesus stellen vielmehr ihr Hirtenprogramm vor und stellen es denen der Fake-Hirten gegenüber. So fordern sie uns zur Entscheidung heraus, wem wir denn folgen wollen. „Wem vertraue ich mich mit meinem Leben an?“ Diese uralte und immer neue Frage stellt sich uns angesichts der Unsicherheiten des Lebens und sie will und muss beantwortet werden. Denn wenn ich mich vor einer Antwort drücke, gebe ich denen von ganz alleine Macht über mich, die mich als Mittel zu ihrem Zweck brauchen.

Der Beter von Psalm 23 malt uns in einem Bekenntnis das Bild vom guten Hirten vor Augen. Und das ist weit mehr als nur eine romantische Kitschidylle, die heute ihre Strahlkraft verloren haben könnte. Es nimmt nicht nur unsere tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit auf. Das Bild vom guten Hirten fordert uns heraus, unseren Lebensweg bewusst selbst zu wählen.

Die Worte von Psalm 23 zeigen, wie ein Mensch in der Verbindung mit Gott lebt: im weiten Raum der Fülle, die Gott für seine Menschen bereitstellt – trotz der finsteren Täler mit Zeiten von Verunsicherung, Einschränkungen und Verzicht, die es im Leben auch immer wieder gibt.
Und von der Seite Jesu Christi gibt es für diese Entscheidung im Namen Gottes das Versprechen, bis zum Letzten da zu sein. Niemand bleibt bei Gott sich selbst überlassen und damit im entscheidenden Moment verlassen, niemand geht verloren. Denn das würde dem Willen Gottes widersprechen.

Daraus ergibt sich die Richtung, wie auch die handeln sollen, die in Gemeinschaft mit Jesus miteinander verbunden sind: voller Hingabe einander beizustehen und das Verlorene zu suchen, zu trösten und zu heilen. So wird die Barmherzigkeit Gottes, wie sie im Bild vom Guten Hirten beschrieben wird und dem Sonntag ihren Namen gegeben hat, sichtbar und erfahrbar. Amen.

Video-Gottesdienst am Sonntag Misericordias Domini – 18. April 2021

Am Sonntag Misericordias Domini (= Barmherzigkeit des Herrn), 11.4.2021, hat der Video-Gottesdienst für die Region Porta-Süd aus der Kirche in Holtrup um 10.00 Uhr Premiere: bei Youtube auf https://youtu.be/gP8oofto1xE

Dieses Mal durfte ich wieder den Gottesdienst gestalten – zusammen mit Ute Baumann als Lektorin und mit Jonathan Dräger, der für die Musik sorgt. Alles ginge nicht ohne die Aufnahmen von Lucas Schierbaum. Euch allen herzlichen Dank! Und bei den Liedern klingt irgendwie ganz viel Dortmunder Kirchentag nach. Das zeigt, wie eng die Barmherzigkeit Gottes und unser Vertrauen in ihn zusammen hängen.

Zur Kollekte:

An diesem und am nächsten Sonntag wäre in unserer Gemeinde Konfirmation gewesen. Die Konfirmationskollekte wird traditionell für die Jugendarbeit in Westfalen gesammelt, was uns im Kirchenkreis dann beim KonfiCamp und vielen anderen Aktionen und Veranstaltungen des Jugendreferates in Form von Zuschüssen wieder zugute kommt.

Deshalb ist in unserer Gemeinde die Kollekte am 18. und 25. April für die Jugendarbeit in Westfalen bestimmt. Nutzen Sie für die Gabe der Kollekte an beiden Sonntagen die Onlinemöglichkeit unter https://www.kollekte-online.de/

Gedanken zum Sonntag Misericordias Domini

Gedanken zu den Texten vom Sonntag Misericordias Domini:

Johannes 10,11-16(27-30) „Jesus – der gute Hirte“
1. Petrus 2,21-25 „Christus, Hirte und Bischof unserer Seelen“

„Der gute Hirte“ – viele Menschen werden Bilder vor Augen haben, wie sie sich diesen Hirten vorstellen. Vor allem im vergangenen Jahrhundert gab es unzählige Variationen, wie Jesus als Hirte dargestellt wurde. Aber immer eben mit ihm, also Jesus, und einem Schaf: ob das bei Jesus über die Schultern gelegt ist oder ob es sich vertrauensvoll an seine Beine schmiegt.
Aber ist das nicht ein Bild, das gar nicht mehr in unsere Zeit passt? Wo gibt es noch Hirten, die mit ihren Tieren wirklich auf Wiesen unterwegs sind? Und wollen sich aufgeklärte Menschen im 21. Jahrhundert denn wirklich zu Schafen erklären, die hinter einem Hirten hertrotten, ohne zu denken?

Trotzdem ist das Bild von Jesus als dem Hirten das bekannteste und nach wie vor das populärste Bild, das die Menschen von Jesus und von Gott haben. Es hat in meinen Konfirmanden-Jahrgängen keinen einzigen gegeben, in dem nicht wenigsten eine/r der Jugendlichen den Anfangsvers von Psalm 23 als Konfirmationsspruch gewählt hat. Ich bin überzeugt: nicht nur, weil sich der eine Satz so einfach merken lässt: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Und auch bei den meisten Erwachsenen ist dieser Vers und damit das Bild von Jesus als dem guten Hirten absolut präsent.

Diese alle wollen sich bestimmt nicht einfach so zu Schafen machen, die angeblich keine eigene Meinung haben, die nicht denken können, die nur blöde durch die Gegend blöken – bloß weil das Bild in der Bibel so schön ist.

Der Schlüssel zu einem hilfreichen Verständnis ist die Klarheit darüber, um wen es in diesem Bild wirklich geht. Also: Was die Perspektive ist, mit der das Bild betrachtet wird. Da stellen wir fest: Es geht nicht um die Schafe und damit darum, die Menschen zu beschreiben. Es geht um Gott (im Psalm 23) und es geht um Jesus (zum Beispiel im Johannesevangelium und im 1. Petrusbrief). Es geht in diesem Bild nicht darum, die Menschen zu Schafen zu machen. Es geht darum, wer Jesus für mich ist und wie Jesus zu mir steht.

Im ersten Petrus-Brief stellt der Schreiber dem Hirten ein zweites Wort an die Seite. Die Gemeindeglieder haben sich zu Jesus hin umgewendet, der Hirte und Bischof ist. Gemeint ist in diesem Brief kein Leiter einer evangelischen Landeskirche oder eines katholischen Bistums. Bischöfe waren in der Anfangszeit des Christentums zusammen mit anderen Ältesten die örtlichen Gemeindeleiter. Ein Bischof war zuerst auch nicht der Chef der Gemeinde. Es war ein Amt neben anderen.

„Bischof“ ist die Übersetzung des griechischen Wortes „Episkopos“. Es heißt einfach „Aufseher“. Gemeint ist natürlich kein Sklavenaufseher. Gemeint ist ein Mensch, der sich um mich sorgt und kümmert, der mich mit meinen Sorgen und Nöten und mit meiner Freude wahrnimmt. „Einen Bischof zu haben heißt, einen zu haben, der auf mich sieht.“ So heißt es in einer frühen urchristlichen Schrift. So wird in der wörtlichen Übersetzung des Wortes sichtbar, was die Aufgabe eines Bischofs war: Seelsorger sein; eine/r, der auf mich sieht – mit ganz liebevollem Blick. Das tut ein Bischof. Für finanzielle Dinge und für die Organisation gab es in der Gemeinde andere: Ämter und Menschen.

Seelsorge – das ist es, was aus meiner Sicht das Bild von Gott und Jesus als Hirten so populär und zeitlos macht, dass es auch für moderne Menschen annehmbar ist. Da sorgt sich jemand um meine Seele, also um mich. Das wollen wir alle: liebevoll angesehen und verstanden werden; einen haben, wo wir uns geborgen fühlen und deshalb anlehnen können.

Die Sehnsucht der Menschen nach „Herz“ – gerade in diesen Tagen und Wochen ist sie besonders groß. Denn es ist uns deutlich geworden: Für Essen und Trinken ist zwar gesorgt, aber die (körperliche) Nähe und die Zuwendung, die wir als Menschen ebenso brauchen wie Essen und Trinken, fehlen ganz vielen Menschen.

Misericordias Domini – Der Psalmvers, aus dem die beiden lateinischen Worte stammen, lautet: „Die Erde ist voll der Barmherzigkeit des HERRN.“ (Psalm 33,5b) Ja, darum geht es: die Barmherzigkeit Gottes ist in dieser Welt zu finden, auch wenn es hier oft genug ganz unbarmherzig zugeht. Aber gerade denen, die „arm“ (die arm dran) sind, wendet sich Gott in Jesus Christus mit seinem Herzen und damit mit seiner ganzen Liebe zu.

Deshalb trägt der Sonntag neben dem Namen „Sonntag vom guten Hirten“ auch immer noch den altkirchlichen Namen „Misericordias Domini“ – die „Barmherzigkeit des Herrn“.
Und wir als Nachfolger Jesu Christi sind aufgerufen, diesem Vorbild nachzufolgen und nachzueifern und Barmherzigkeit in dieser Welt erfahrbar werden zu lassen: den Armen unser Herz zu schenken.

Möge es uns gelingen: heute und jeden Tag – in der Gewissheit, dass Gottes Barmherzigkeit und Liebe für uns auch jeden Tag neu ist. Amen.