Siehe, ich will ein Neues schaffen,
jetzt wächst es auf,
erkennt ihr‘s denn nicht?
Gehalten am 1. Januar 2007 in der Holzhauser Kirche
Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Bemühen im Reden und Hören. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
„Ich will etwas Neues machen! Ich habe eine Idee, eine Vision! Etwas Neues muss her!“ Wer so eine Idee oder Vision hat, ist natürlich von ihr begeistert. Die Gedanken und Gefühle, mit denen die anderen Menschen solche Sätze und Worte hören, werden sehr unterschiedlich sein. „Ich will etwas Neues machen!“ Neu heißt ja immer: anders als vorher. Und weil Menschen mit dem Vorher ganz unterschiedlich zufrieden sind, fallen ihre Reaktionen auch unterschiedlich aus. Die einen werden begeistert rufen: „Au ja, wunderbar!“ Andere werden eher skeptisch den Kopf hin uns her bewegen und fragen: „Ich weiß nicht. Ob das gut geht?“ Und es wird die geben, die empört oder erschrocken aufschreien: „Wie kann man nur!“ – „Bloß das nicht!“
Wenn wir auf die vergangene Zeit zurück blicken – vielleicht auch länger, über das vergangene Jahr hinaus, werden uns viele solche Momente einfallen: als Neues angekündigt wurde und solche Kommentare zu hören und zu lesen waren: Als Jürgen Klinsmann vor schon zwei Jahren in der Fußball Nationalmannschaft alles auf den Kopf stellte, oder die Bundesregierng die Gesundheitsreform beraten und dann beschlossen hat. Als das neue Einkaufszentrum am Ortseingang von Hausberge emporwuchs. Und bei dem einen oder anderen Projekt, das wir persönlich in Angriff genommen haben: ein neues Auto oder ein neuer Computer; der nächste Abschnitt im Ausbau des Hauses. „Au ja, wunderbar!“ – „Ich weiß nicht. Ob das gut geht?“ – „Wie kann man nur! Bloß das nicht!“ Wie oft werden wir bei aller eigenen Begeisterung solche Bemerkungen gehört haben, uns gefreut oder geärgert haben.
Auch an diesem Jahresanfang stehen wir – wie wahrscheinlich viele andere Menschen – mit ähnlich zwiespältigen Einstellungen dem neuen Jahr gegenüber: Da kommt etwas Neues, es ist aber nicht unsere eigene Idee: Vorgaben des Staates oder des Arbeitgebers, denen wir uns nicht entziehen können; vielleicht auch gesundheitliche Schwierigkeiten. Viele Menschen bewegen eher sorgenvolle Gedanken und sie wünschen sich, dass es wenigstens nicht schlechter werden möge. Die Zeiten einer gesamtgesellschaftlichen Fortschrittseuphorie sind vorbei. Da kommt aber auch etwas schönes Neues und wir können es kaum erwarten: das erste Kind oder Enkelkind, ein 18. Geburtstag, eine Hochzeit, der lang erwartete Ruhestand. Die berühmten „Guten Vorsätze“ stehen für die freudige Erwartung, dass im neuen Jahr nicht nur alles anders, sondern eben doch alles besser werden soll.
Bei dem Zusammenstellen dieser Gedanken ist mir aufgefallen: Positiv-Neues ist mir eher im persönlichen Bereich des Lebens in den Sinn gekommen, die pessimistisch-skeptische Sicht auf die Dinge bezieht sich vor allem auf die großen Themen und Zusammenhänge unserer Zeit in der Politik und in der Wirtschaft.
Ganz anders, weil noch viel bedrückender und doch so ähnlich werden die Menschen des Volkes Israel ein neues Jahr erwartet haben, als ein großer Teil von ihnen in die Verbannung nach Babylon verschleppt war: Da hat es bestimmt auch die kleinen persönlichen Freuden in der Familie wie Geburt und Heirat gegeben oder ein neues Geschäftsprojekt; im großen und Ganzen aber war die Stimmung eher gedrückt, ja sogar depressiv und ganz am Boden. Denn sie waren abhängig von dieser feindlichen Staatsmacht Babylon und vor allem weit weg von zuhause und weit weg von Gott. Denn das, was das Volk Israel ausgemacht hatte, gab es so nicht mehr: die Gewissheit, in Jerusalem Gott und seinen Schutz zum Greifen nahe zu haben.
In diese Situation hinein spricht ein Prophet dem Volk neue und zuversichtlich stimmende, tröstende und aufrichtende Worte zu. Der ganze zweite Teil des Jesajabuches ist von diesen Trostworten geprägt. Eines davon ist als Losung für das neue Jahr 2007 ausgewählt worden. Im Kapitel 43 sagt Gott im ersten Teil von Vers 19 durch den Propheten: „Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr‘s denn nicht?“
„Siehe!“ – Schon die Anrede an die Hörenden hat etwas Tröstliches. Denn wer sehen will, muss den Kopf heben und die Augen öffnen. Schon diese Anrede will die Menschen aus ihrer inneren Versenkung und Verzagtheit herausholen und ihnen eine neue Sicht auf die Welt insgesamt und auf die eigene Situation geben.
„Ich will Neues schaffen!“ Was heißt das denn nun positiv, was, lieber Gott, dürfen wir erwarten? „Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde.“ Gott verheißt durch den Propheten einen Weg durch das, was von Natur aus nicht nur unwegsam sondern weglos ist, einen Weg durch die Wüste. Und Gott verheißt erquickendes Wasser, wo naturgemäß nur Trockenheit herrscht, in der Einöde. Da gibt es vieles, was auch uns einfällt: Wo wir uns einen Weg als Orientierung und Wasser als Belebung wünschen: Frieden in den Wirrnissen des Krieges in Somalia, Iran und Irak; Gerechtigkeit zwischen Ost und West und zwischen Nord und Süd; Lebens-Perspektiven für Menschen ohne Arbeit, vor allem für junge Menschen; Verständnis für Kinder und vor allem für Jugendliche; Fürsorge und nicht Verwahrung für Ältere; Ernsthaftigkeit im Glauben nicht nur bei wenigen, sondern bei vielen; Perspektiven auch für eine Kirche, die sich nur noch um das Geld zu drehen scheint; lebendige Gemeinden.
„Ich will ein Neues schaffen sagt Gott. – und das Alte?“ So werden bestimmt auch viele Menschen fragen. „Was bis gestern, den 31. Dezember 2006, gegolten hat, ist doch jetzt nicht einfach so vorbei, als wäre es nie da gewesen.“ Ja und nein – möchte ich antworten. Natürlich wird das, was geschehen ist, nicht zu einem Nichts. Wir bringen es mit, auch in das neue Jahr. Aber – so möchte Gott durch den Propheten im Vers vor der Jahreslosung deutlich machen, aber es soll und darf uns nicht festhalten in der Vergangenheit: Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf dass Vorige“ – so ruft der Prophet den Menschen die Worte Gottes zu. Doch dieser Gott hatte sich gerade vorher noch als der vorgestellt, der im Meer einen Weg und in starken Wassern eine Bahn macht; der damit doch in besonderer Weise an den Durchzug durch das Schilfmeer erinnert hat, die große Rettungstat aus den Anfängen des Volkes.
„Ich will Neues schaffen!“ sagt Gott, „Etwas ganz Neues. Ich fange ganz von Vorne mit euch an. Ich nehme auch das von euch weg, was euch jetzt so belastet, eure Schuld.“ Das Miteinander zwischen Gott und seinem Volk und damit das Miteinander zwischen den Menschen wird auf eine neue Ausgangsposition gestellt. Wir sollen, dürfen und brauchen uns nicht festlegen zu lassen auf das, was einmal war, welche Schuld wir auch auf uns geladen haben. Das ist das, was wir an Weihnachten mit der Geburt Jesu und mit der Namensgebung Jesu, die ja heute, am achten Tag nach der Geburt auch gefeiert wird, zum Ausdruck kommt. Jesus, Jeschua bedeutet: Gott rettet.
Gott rettet, er will ein Neues schaffen. Nicht wir machen – Gott macht. Ich möchte es an einem Beispiel verdeutlichen, das mir sehr am Herzen liegt, weil ich damit mehr verbinde als nur eine Organisationsform des Glaubens. Ich spreche von der Kirche – von der Kirche in der großen weiten Ökumene, von unserer Landeskirche und natürlich auch und besonders von der Kirche hier vor Ort, in unserer Region und von unserer Gemeinde.
Viele sehen, wie seit Jahrzehnten der Glaube und damit die Kirchlichkeit immer weiter abbröckeln. Manche sagen deshalb: „In der Kirche musste sich unbedingt etwas ändern und jetzt endlich hat der Heilige Geist das Geld als Mittel dazu entdeckt.“ Die Veränderungen, die jetzt durch das weniger werdende Geld nötig werden, rufen aber meistens mehr oder weniger bedenkliche Gesichter hervor. Und das ist nicht verwunderlich. Denn das System Kirche ist ein kompliziertes, und nicht einfach zu durchblicken. Wer will sich schon auf etwas Neues einstellen, von dem er nicht genau weiß, ob es denn zum Guten führt. Und: Wer will sich schon auf etwas Neues einstellen, das er nicht selbst angestoßen hat. Diese Bedenken gilt es ernst zu nehmen. Trotzdem werden wir in unserer Gemeinde ebensowenig wie die anderen Gemeinden von den Veränderungen verschont bleiben.
Nachdem der Reformprozess in unserer Landeskirche angestoßen worden war und sich erste Konturen abzeichneten, hat die Landeskirche Vertreterinnen und Vertreter unserer Partnerkrichen eingeladen. Die Schwestern und Brüder aus der Ökumene sollten diesen Reformprozess kritisch begleiten. Eine Stellungnahme aus dieser Gruppe, die von allen Delegationen geteilt wurde, ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Warum denn die Schwestern und Brüder in Westfalen so sehr auf ihr eigenes Tun versessen wären und so wenig auf Gottes Geist vertrauen würden? So wurde sinngemäß gefragt. Natürlich war damit nicht gemeint, dass wir alles ruhig so weiter machen sollten, Gott werde schon eingreifen. Aber dieser Hinweis sollte uns vor der Gefahr der Selbstüberschätzung bewahren, wir, die Menschen, wären es, die alles aus eigener Kraft bewerkstelligen könnten.
„Ich will ein Neues schaffen“, sagt Gott. Er handelt und wir müssen und dürfen uns von ihm in Dienst nehmen lassen. Dies gilt auch für unseren Krichenkreis und für die Gemeinden in unserer Region. Worauf es ankommt ist, dass wir nicht nur blind in dem verharren, was bisher war, oder dass wir mit Scheuklappen nur unseren eigenen Ideen folgen oder nur nach den Gesetzen eines schillernden Marktes der religiösen Möglichkeiten planen und entscheiden. Denn der Markt hat immer nur den kurzfristigen Erfolg im Auge. Es ist vielmehr nötig, dass wir geistlich, professionell und konzeptionell die Schwierigkeiten angehen und zu lösen versuchen.Und wenn ich von „wir“ spreche, meine ich nicht nur die Pfarrer oder die Presbyterinnen und Presbyter, sondern alle, alle Gemeindeglieder aller Kirchengemeinden.
„Ich will Neues schaffen!“ sagt Gott. Gott handelt – auch in der Kirche. Das sollten wir nicht vergessen. Ich will Neues schaffen – und wir sollen, wie das Volk Israel, dabei nicht dessen gedenken, was vorher war. Natürlich heißt das nicht, dass alles schlecht gewesen wäre, was bisher war – ganz im Gegenteil. Es heißt auch nicht, dass wir im übertragenen Sinn die Kirche neu erfinden müssen. Aber wir sollen uns nicht in unseren Gedanken von diesem allen gefangen nehmen lassen, wenn wir überlegen, wie es im Sinne Jesu weitergehen soll. Denn damit die Kirche bleiben kann, was sie ist, muss sich in ihr viel ändern.
„Ich will ein Neues schaffen“, sagt Gott. „Erkennt ihr‘s denn nicht?“ Am Ende der Jahreslosung steht eine Frage. Sie fordert uns heraus Stellung zu bezeihen, nicht nur heute am ersten Tag des Jahres, sondern das ganze Jahr hindurch und darüber hinaus: Wie halten wir es denn nun mit Gottes Verheißung? Bleiben wir in unserer Niedergeschlagenheit oder unserer Selbstzufriedenheit verhaftet über den Zustand der Welt und unseres Landes, über den Zustand unserer Kirche und unserer Kirchegemeinde? Oder verlassen wir uns auf unsere eigene Kraft und unsere eigene Erfindungsgabe? Oder haben wir eine Sehnsucht im Herzen, die uns nach den Zeichen von Gottes Schaffen nicht nur suchen lässt, sondern eine Sehnsucht im Herzen, die uns dieses Schaffen von Gott auch erkennen und finden lässt?
„Jetzt wächst es auf!“ sagt Gott. „Jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist der Tag des Heils“, sagt der Apostel Paulus, und „Ist jemand in Christus, ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, siehe Neues ist geworden.“ Wir müssen uns nicht auf das Vergangene festlegen lassen und wir müssen uns nicht in Träumen über die Zukunft verlieren, sondern wir können in der Gegenwart leben. Denn Gegenwart meint nicht in erster Linie ein Zeitverhältnis neben Vergangenheit und Zukunft, Gegenwart bezeichnet vielmehr den Menschen in seinem Gegenüber-Sein zu etwas oder zu jemandem und damit ein Beziehungsgeschehen. Und dieses Gegenüber, zu dem wir in Beziehung stehen, das ist Gott.
Leben in der Gegenwart heißt also: Ja, wir werden etwas von dem Spüren, was Gott uns jeden Tag neu schenkt: seine Gnade, sein Genaht-Sein, wie es ursprünglich heißt, seine Nähe in Worten und Zeichen: im Gottesdienst und im persönlichen Gebet, im gesungenen Lied und in der Diskussion um die Zukunft der Kirche, in den Schwierigkeiten und Traurigkeiten und in den Freuden und Jubelstürmen unseres Lebens in diesem Neuen Jahr.
„Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr‘s denn nicht?“ So verheißt es Gott auch uns. Dafür das will ich beten und arbeiten, dass wir das erkennen und anehmen, was Gott wachsen lässt: den Glauben und das Vertrauen in seine Macht, dass er mit Liebe die Berge bewegt, die wir noch nicht einmal hinaufzusteigen wagen.
Amen.