Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Bemühen im Reden und Hören. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder!
„Ich war mit dem Fahrrad auf dem Mount Ventout; ich war mit dem Fahrrad in Alp d‘Huez.“ Wer sich ein wenig im Sommer für das Fahrradfahren in seiner sportlichen Variante, für die Tour der France, interessiert, kennt diese beiden Orte: den Mount Ventout in den Pyrenäen und Alp d‘Huez in den französischen Alpen und es läuft einem so ein kleiner Schauer über den Rücken: Die beiden alles entscheidenden Bergankünfte bei dem härtesten Radrennen der Welt. Und wenn ein Bekannter mir so etwas erzählt, dann sehe ich ihn vor mir, wie er mit aller Kraft versucht, diese Steigungen zu überwinden. Eine Anstrengung sonder gleichen. Ich kann mir dann aber auch gut das Triumphgefühl vorstellen, wenn er es dann wirklich geschafft hat und oben angekommen ist. Diese Befreiung, dieses Glücksgefühl. Wer einmal einen Berg bestiegen hat, auf den andere mit einer Seilbahn oder mit dem Auto fahren, kann das gut nachfühlen: Oben zu stehen, alles überwunden und alles andere hinter sich gelassen zu haben.
„Ich war mit dem Fahrrad auf dem Mount Ventout; ich war mit dem Fahrrad in Alp d‘Huez.“ Manchmal kommt dann noch so ein Nachsatz: „Ich bin mit dem Auto raufgefahren und dann mit dem Fahrrad wieder hinunter. Das war eine tolle Abfahrt!“ So toll die Abfahrt auch gewesen sein mag: Für mich bricht dann alles zusammen, was mir eben noch an Bewunderung vor Augen gestanden hat. Und ich frage mich, wie man nur einen so irreführenden Satz sagen kann. Runterfahren kann doch jeder, rauffahren, das ist die Herausforderung. Ich kann die nur bewundern, die morgens am Fuß des Berges stehen, hinaufsehen und sagen: „Da will ich hinauf!“ Dann kommen einem schnell zwei Gedanken. Der eine lautet: „Wie kann man nur so verrückt sein!“ Und der andere: „Das würde ich gerne auch. Und irgendwann mache ich es auch.“ Beide Gedanken sind in einem vereint, beide vielleicht gleich stark.
Vielleicht haben so ähnlich auch zwölf Männer vor fast 2000 Jahren gedacht. Da hatte ihnen nämlich auch einer etwas von einem ganz besonderen Aufstieg erzählt, der ihm bevorstünde, ihm und denen, die gerade zuhörten. Er hatte von dem Weg gesprochen und davon, dass es vor allem der Schlussanstieg sein würde, der alles von ihm und ihnen abverlangen würde – von ihm buchstäblich alles, sogar das Leben. Die zwölf hatten es nicht verstanden und sind diesen Weg doch mitgegangen.
Der Evangelist Lukas berichtet es im 18. Kapitel seines Evangeliums folgendermaßen: [31] Jesus nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. [32] Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespien werden, [33] und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen. [34] Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war.
Liebe Schwestern und Brüder!
„Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem …“ Da standen sie nun, die Jünger, und sie wussten nicht, was sie sich darunter verstellen sollten. Vielleicht stehen auch wir heute da und wissen nicht so recht, was wir mit dieser Aussicht anfangen sollen. Natürlich, werden wir zusammen mit den Jüngern damals denken: Jerusalem liegt hoch oben, da werden wir uns anstrengen müssen. Aber was Jesus dann danach noch sagte, hörte sich nicht nur nach einer mehr oder eben weniger gemütlichen Wanderung vom Jordan nach Jerusalem an. Was könnte Jesus gemeint haben?
Nach dem, was die Jünger bis dahin mit Jesus erlebt hatten, wussten sie schon einiges: Berge hatten in der Verkündigung Jesu immer eine Rolle gespielt: Auf einem Berg hatte er seine Bergpredigt gehalten, in der er gleichsam sein Grundsatzprogramm verkündet hatte über das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen und über das Verhältnis der Menschen untereinander. Und dann hatte es ja auch noch die wundersame Verklärung gegeben; da waren nur Petrus, Johannes und Jakobus dabei gewesen; die hatten den anderen berichtet, was geschehen war; vor allem von der Stimme Gottes, die sie gehört hatten: Dies ist mein lieber Sohn, auf den sollt ihr hören!“
Ja, oben auf dem Berg: da hatte sich die Lehre Jesu so eindeutig und leicht zu befolgen angehört, oben auf dem Berg hatten sie sich Gott ganz nahe gefühlt. Und beide Male hatten sie natürlich wieder herunter gemusst. Die Freiheit und Weite des Gipfels war immer nur für eine kurze Zeit zu haben gewesen, dann hatte sich das alles in den Niederungen des Alltags bewähren müssen. Vielleicht so, wie bei uns heute, wenn wir Konfirmation oder Taufe feiern, wenn wir zum Kirchentag fahren oder in einem Gottedienst beim Abendmahl stehen und plötzlich wissen: Das ist wahr, was hier geschieht, Jesus, Gott ist gegenwärtig, geradezu mit Händen zu fassen. Hoch-Zeiten und Gipfel-Erfahrungen des Glaubens.
Auch Jerusalem lag und liegt noch immer auf einem Berg. Und Jerusalem war für viele Menschen damals wie heute ein Ort der ganz besonderen Gottesnähe. Hier hatte Gott David versprochen seinen Namen wohnen zu lassen, hier befand sich der Tempel, das Haus Gottes. Nicht, dass Gott dort mehr gewesen wäre als an anderen Orten, aber die Menschen waren anders da, mehr da, ungeteilt da. Es war also etwas ganz Besonderes, was Jesus mit seinen Jüngern vorhatte und auch mit uns vorhat. Etwas, das auf ganz besondere Weise die Nähe Gottes in Aussicht stellte.
Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. Für das zweite, was in den Worten Jesu vom Aufsteig zur Gotteserfahrung anklingt, ist ein Wort verantwortlich, das im Griechischen zwei Bedeutungen hat, die aber in unserer deutschen Übersetzung so nicht deutlich werden. Es ist das Wort „vollendet“
Für uns heute steckt in dem Wort „vollendet“ nur das Wort „Ende“: Da würde also ein Schlusspunkt gesetzt: Punkt, aus, fertig – Ende eben. Und mit der Kreuzigung an Karfreitag sah es ja auch so aus, als ob dieses Ende der Jesusbewegung gekommen wäre, noch bevor sie überhaupt richtig angefangen hatte. Jesus hat sein Ende, sein Lebensende sicherlich auch vor Augen gehabt. Das Wort „teloj“ aber, das da im Griechischen steht, hat noch eine zweite Bedeutung, die in meinen Augen viel wichtiger ist: „teloj“ heißt vor allem auch „Ziel“. Dort, in Jerusalem würde alles an sein Ziel kommt, seine Bestimmung erreichen. Jesus sah mit dem Weg nach Jerusalem sein Ziel vor Augen.
Nun werden mich viele fragen: Was ist denn das Ziel Jesu? Jesus sollte und wollte den Menschen Gottes ungeteilte, Gottes unerschöpfliche und unverbrauchbare Liebe nahe bringen – eine Liebe, die selbst zu denen vordringen sollte, die von keinem anderen geliebt werden, weil sie sich in den tiefsten Dunkelheiten des Lebens befinden: in tiefster Angst, und Verlassenheit, ja sogar auch im Tod. Weil Jesus bis dorthin, in den Tod ging, gibt es keinen Ort an dem Gott nicht ist. Nicht die alte zweiflerische Aufforderung ist richtig: „Sag mir, wo Gott ist.“ sondern eben die Antwort darauf: „Sag mir, wo er nicht ist. Er ist überall.“
Jesus wollte die Menschen zu Gott führen und den Menschen die Liebe Gottes nahe bringen – eine Liebe, die – wie alle Liebe – auf Antwort hofft. Es ist eine Antwort des Menschen, die Jesus mit seiner Bergpredigt den Menschen ermöglichen wollte, eine Antwort auf Gottes Liebe. Denn das Befolgen der Weisungen, die er in der Bergpredigt gibt, ist doch nicht die Voraussetzung dafür, dass Gott uns liebt. Wie könnten wir uns vor Gott rechtfertigen und brüsten, wir hätten alles nach seinem Willen getan. Wie könnten wir von uns behaupten, die Liebe so vollkommen gelebt zu haben, wie der Apostel Paulus sie im Hohen Lied der Liebe des Neuen Testamentes im 1. Korintherbrief uns vor Augen malt, um uns damit Gottes Liebe zu verdienen. Schon dies wäre doch ein Widerspruch in sich. Liebe – und es ist ganz gleich, ob die Liebe zwischen Menschen oder die Liebe zwischen Gott und den Menschen gemeint ist – Liebe kann man sich nicht verdienen, man kann sie nur geschenkt bekommen. Und dann, dann geht einem das Herz auf und wir Menschen tun dem Geliebten zuliebe alles, was der oder die sich wünscht. Darauf hofft Gott. Er schenkt uns seine Liebe, mit dem Gesicht Jesu ist sie sichtbar geworden. Gott schenkt uns seine Liebe, mit dem Weg Jesu ist sie in jeden noch so versteckten Winkel des menschlichen Lebens vorgedrungen.
„Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.“ Mit dem Weg Jesu hinauf nach Jerusalem sollte Gottes Liebe nicht an ihr Ende, sondern an ihr Ziel kommen zu den Menschen, zu uns. Der Weg dorthin ist aber nicht einfach. Das sollte den Jüngern damals deutlich vor Augen stehen. Der Weg Jesu ist von Anfeindung und Bedrängnis geprägt, bis hin zu einem scheinbaren Ende. Doch damit ist das Ziel noch nicht ereicht. Das Ziel ist das Leben durch den Tod hindurch. Mit Jerusalem verbindet sich für Jesus die tiefste Gotteserfahrung: dass Gott auch im Tod da ist.
Mit dem Weg Jesu hinauf nach Jerusalem sollte Gottes Liebe nicht an ihr Ende, sondern an ihr Ziel kommen. Der Weg dorthin ist aber nicht einfach. Das sollte auch uns heute klar sein. Ich sage das nicht, um uns Angst zu machen, sondern damit wir uns nicht in falschen Sicherheiten wiegen und meinen, das würde alles einfach so geschehen. Jeder Aufstieg kostet Kraft und erfordert den Willen zum Durchhalten. Deshalb braucht es manchmal Pausen, immer wieder braucht es Stärkung. Jeder Sonntag, jeder Gottesdienst will so eine Pause sein, jedes Abendmahl will uns für den nächsten Abschnitt stärken.
Und ich komme noch einmal auf das Beispiel des Radsports vom Anfang zurück. Was einem unbedarften und unerfahrenen zuschauer auf den ersten Blick ja nicht klar ist: Radsport, besonders bei den großen Rennen ist Teamarbeit. Ein Radfahrer alleine braucht viel mehr Kraft, müsste vielleicht aufgeben. Aber wenn er mit anderen unterwegs ist, kann er sich die Arbeit im Wind teilen. Auch uns Christen wird der Wind immer wieder ins Gesicht blasen, wir werden in unserem Durchhalten-Wollen auf die Probe gestellt werden. Oft scheint es leichter zu sein, einfach umzudrehen und in voller Fahrt hinunter zu fahren. Auch werden wir nicht immer den Gipfel des Berges – unser Ziel – genau sehen können, denn auf manchen Abschnitten des Weges kann die Sicht auf das Ziel verstellt sein. Ganz wichtig ist es dann, das Ziel und die Richtung nicht zu verlieren; wie gut, wenn wir dann nicht alleine unterwegs sind, sondern in unserem Glauben-wollen und in unserem manchmal Nicht-Glauben-Können getragen sind von den anderen, die gerade mehr Kraft und mehr Orientierung haben.
Wir stehen jetzt kurz vor dem Beginn der Passionszeit, der 40-tägigen Vorbereitungszeit auf die Urerfahrung Gottes: Wenn wir in der Nacht zum Ostersonntag Ostern feiern. Diese Zeit der Vorbereitung wahrzunehmen ist seit alters her auf besondere Weise mit Weg hinauf nach Jerusalem verbunden, unser Schlüsselsatz ist der Wochenspruch dieser Woche: „Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.“ Mögen wir alle jeden Morgen neu voller Freude und voller Erwartung am Fuß des Berges stehen und sagen: „Da will ich rauf!“ Mit Jesus, der uns diesen Weg vorangegangen ist und uns führt; und mit Gottes Hilfe, weil er uns entgegen kommt. Amen.
🙄 Es war sehr schön, dass ich diese Predigt auch im "mittendrin"-Gottesdienst in Löhne Mellbergen am Sonntag-Abend unter der Überschrift "Seht wir gehen hinauf – Aufstieg zur Gotteserfahrung" halten konnte. Herzliche Grüße an das Team! :yes:
Anonymous writes::( naja