Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Bemühen im Reden und Hören. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Alles hatte so gut angefangen. Alles, damals, am ersten Anfang. Bei dem, was Lars Backhaus eben vorgelesen, klingt das „Und siehe, es war sehr gut.“ aus dem ersten Schöpfungsbericht in unseren Ohren wieder. Wir werden in ganz besonderer Weise daran erinnert, dass wir unser Leben von Gott geschent bekommen haben und dass Gott es ist, der dieses Leben auch erhalten will. Wir haben aber nicht nur unser Leben als Geschenk bekommen, sondern auch mit diesem Leben von Gott etwas anvertraut bekommen. Im Schlusssatz der Lesung ist es formuliert: Bepflanzen und vor allem bewahren soll der Mensch den wunderbaren Garten, das Paradies, diese besondere Erde mitten im Weltall. Die Fürsorge für Gottes Schöpfung liegt in unseren Händen. Das ganze irdische Gut ist uns und unserer Fürsorge anvertraut.
Und mit dieser Fürsorge für die Schöpfung entsteht die Zwillingsschwester der Fürsorge: die Sorge, dieses immer weiter gehende Fragen: „Was ist, wenn …“; die Sorge, dieses quälende Denken, bei dem wir immer schon mindestens fünf Schritte weiter sind als das, was jetzt ist; dieses berühmte Sich-Gedanken-um-ungelegte-Eier-machen, das manche Menschen am Ende zerstört, weil sie aus dem schwindelerregenden Karussell der Sorgen gar nicht mehr hinaus finden.
Sorge und Fürsorge sehen sich sehr ähnlich. Sie haben viele und fast gleiche Gesichter: Die Gedanken um das Essen, das tägliche Brot, die Gedanken um die Kleidung und in unserer heutigen Zeit vor allem um die Gesundheit, die Gedanken um die anvertrauten Menschen. Fürsorge geschieht aus Verantwortung heraus für sich und andere. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Bei der Sorge ist dann nicht mehr der Mensch der Mittelpunkt, sondern die Sorge selbst, die hat sich herein gedrängt und beansprucht Raum und Aufmerksamkeit, ja schließlich beherrscht sie den sich sorgenden Menschen.
Es ist oft nur ein kleiner Schritt, der aus der Fürsorge für sich und andere das Sorgen in diesem unguten Sinn macht, so wie es nur ein kleiner Dreh bei einer Schraube ist, bis sie überdreht wird: eben hielt sie noch etwas fest und plötzlich dreht sie durch und gibt keinen Halt mehr.
Jesus will den Menschen aus ihrer Fixierung auf die Sorgen heraus helfen, indem er sie zuerst an die wunderschöne Art und Weise erinnert, mit der Gott für die Blumen sorgt. Und der Mensch, so fragt Jesus weiter: Ist der nicht viel mehr bei Gott wert als die Blumen? Ja, werden wir ihm antworten, Gottes Fürsorge für die Menschen ist bestimmt groß genug auch für uns – darauf dürfen und können die Menschen vertrauen.
Darauf dürfen und können die Menschen vertrauen? Ganz selbstverständlich habe ich beim ersten Mal hinter diesem Satz einen Punkt gemacht und so aus dem Satz eine Feststellung. Bei zweiten Mal steht ein Fragezeichen. Nicht weil ich Gottes Liebe zu uns und seine Fürsorge infrage stellen möchte, sondern weil ich mich frage, ob denn die Menschen es wirklich können: auf Gott und seine Liebe zu vertrauen – mit anderen Worten: ob die Menschen wirklich glauben können. Nichts anderes ist mit dem Vertrauen gemeint als unser Wort „glauben“.
Wenn alles im Leben gut geht, lavieren wir uns ja noch so hindurch, aber wie ist es, wenn es schwierig wird, wenn wir merken, dass unser Glaube seine das Leben prägende Kraft verliert, wenn er keine Auswirkungen mehr auf unser Leben hat, sondern höchstens noch aus mehr oder weniger leeren Worthülsen besteht? Was ist, wenn wir feststellen, dass der christliche Glaube bei uns und bei anderen nicht mehr hindurchträgt durch die schweren, traurigen und bedrohlichen Phasen des Lebens? Ganz gleich ob das für die einzelnen Christen oder für die Kirche als ganze gilt?
Nicht nur uns im 21. Jahrhundert, zu Beginn des 3. Jahrtausends geht das so. Die Sorge um den Glauben ist ebenso alt wie das Christentum. Und damit sind wir mitten im Predigttext aus dem Evangelium, das Lukas uns überliefert hat. Denn schon der Evangelist Lukas berichtet uns davon, dass die Jünger von dieser Frage umgetrieben wurden, ob denn der Glaube für das Leben ausreicht. Hören wir auf zwei Verse aus dem 17. Kapitel: Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.
Lukas nennt die Jünger schon hier Apostel – lange vor Ostern und dem Beginn der Kirche an Pfingsten. Er deutet damit an, dass es sich bei ihnen um die handelt, die später die Gemeinde leiten und für die Gemeinde sorgen werden; dass es die Jünger sein werden, die sich um den Glauben der Christen kümmern werden. Da stehen sie vor Jesus und wir durch unsere Taufe mit ihnen und bitten Jesus: „Herr, stärke uns den Glauben!“
Die Jünger sprechen bei Jesus das an, worum es immer und überall geht, wenn es um die geht, die Jesus nachfolgen; wenn es um die Christen und die Kirche geht. Alles andere ist zweitrangig: es geht immer, gerade auch in den Krisenzeiten um den Glauben. Für uns als Kirche heute: Es geht eben nicht in erster Linie um die strukturellen und finanziellen Schwierigkeiten der Kirche, sondern um etwas, das viel tiefer geht. Es geht um die geistlichen Schwierigkeiten und Mängel: dass der Glaube bei vielen Menschen und in der Kirche insgesamt kraftlos geworden zu sein scheint, dass der Glaube für das Leben nichts mehr austrägt und das Leben nicht mehr aus dem Glauben heraus gestaltet wird. Die Apostel haben unsere Bitte vorweggenommen.
„Stärke uns den Glauben.“ Was bedeutet aber diese Bitte? Soll es soviel heißen wie: „Mache unseren Glauben größer, stärker, besser, wirkungsvoller, widerstandsfähiger, … ? Was erwarten die Jünger von Jesus, was erwarten wir? Ein Trainings-Programm, mit dem die noch so zaghaft Glaubenden zu wahren Muskelprotzen von Glaubenskraft werden? Wollt ihr groß sein und hoch hinaus mit eurem Glauben? Wollt ihr, dass ich euch eine Power-Pille reiche?
Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.
Jesus hört die Bitte der Jünger, aber er reagiert ganz anders als wir erwarten würden und als es die Jünger wohl erwarten haben. Denn er lehrt sie mit seiner Antwort, anders zu bitten und zu wünschen. Er will bereits ihre Fürbitte verwandeln. Er korrigiert ihr Anliegen: Es geht ihm eben nicht um einen messbaren Riesenglauben, den man getrost nach Hause tragen oder wie einen Bizeps stolz und beruhigt präsentieren kann.
Wenn ihr Glauben hättet … Es klingt zunächst ja wie eine Abweisung der Frage, in Wahrheit ist es eine Ermutigung: Nehmt wahr, was in euch steckt. Nehmt Gottes „Ja“ entgegen und pflegt den Grund, die Grundlage, die in euch gelegt wurde. Lernt von Gottes Liebe zum Detail, zum Winzigen, wie es in der Schöpfung zu bewundern ist. Lernt von seiner wunderbaren Lebenskunst, in dem, was übersehbar ist, das „mehr“ wahrzunehmen. Lernt von Gottes Geduld, mit Kleinem Großartiges anzufangen. Euer Glaube ist verborgen in Gott. Sagt Paulus im Brief an die Kolosser (Kol 3,3). Weniger ist mehr, sagt die paradoxe Weisheit.
Und darum lenkt Jesus den Blick der Seinen auf einen grotesken Gegensatz von etwas Winzigem und etwas fest Verwurzeltem: zum einen auf das Senfkorn, das in der Antike als das Symbol für Winzigkeit gewesen ist. Heute würden wir die Nano-Technik und die Neutrinos bemühen. Und als Gegensatz lenkt Jesus den Blick auf den Maulbeerbaum oder den Maulbeerfeigenbaum. Ist der Maulbeerbaum schon fest verwurzelt, der Maulbeerfeigenbaum ist überhaupt nicht zu entwurzeln. Mit diesen „verrückten“ Bildern aus der Pflanzenwelt, mit dieser seltsamen Weisheitspredigt verblüfft und belehrt er die Jünger: Ja, ich gebe euch recht: Glaube ist eine Dynamik, eine bewegende Kraft, wie Paulus im Römerbrief schreibt, der Glaube soll in Bewegung setzen und wir sollen im Glauben über uns hinauswachsen.
Jesus will kein moralisierendes: Nun reißt euch mal zusammen und strengt euch an! Als ob es nur an der Motivation der Jünger liegen würde! Jesus sagt vielmehr: „Nimm dankbar wahr, was in dir schon seit der Schöpfung grundgelegt ist, als Gott dir seinen Lebensatem eingehaucht hat; und lass dich wie ein tief verwurzelter Baum aus deinen unguten Verwurzelungen herausreißen und lass dich versetzen in das sogar bodenlose Meer! Vertraut, Petrus und ihr anderen zu allen Zeiten, dass das Wasser dich trägt, dich und die anderen! Im Übermut des Glaubens wagt sich Petrus auf Jesu Wort hin auf das Meer; es gelingt und trägt ihn so lange, bis die Sorge wegen der hohen Wellen Petrus gefangen nimmt und er seine Ausrichtung auf Jesus hin, also seine Beziehung zu Jesus verliert. Da erst beginnt er zu sinken, denn dann haben die Sorgen die Macht über ihn und nicht mehr Jesus. Aber da ruft er auch, greift die Beziehung auf wie die Hand, die Jesu ihm rettend hinhält.
Als Jesus die Jünger in die Nachfolge gerufen hat, war es nichts anderes: Jesus hat die Jünger bei ihrer Berufung aus ihrem bisherigen Leben heraus entwurzelt und sie in das Erdreich des Reiches Gottes versetzt; so hat er uns durch die Taufe in den Stand der Kinder Gottes versetzt; und so versetzt er Menschen, die ganz tief inder Sünde verwurzelt sind, in seine gnädige Nähe. Jesus sieht mit seinem liebenden Blick im winzigen Glauben der Armen und Kleinen das grenzenlose Vertrauen auf ihn und seine Wunder. Glaube birgt eine Macht, die man nur von Gottes Kraft erwarten kann: die Kraft standzuhalten und nicht zu früh aufzugeben; das große Aufatmen, wenn mir Kräfte zuwachsen und ich mit meinem Senfkornkleinen Glauben wahrhaft „Bäume ausreißen kann“.
Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Anders als Münchhausen, versuchen sich die Jünger nicht allein aus dem Sumpf zu ziehen; sie wenden sich in ihrer Bitte an den Richtigen, an den, der sie verpflanzt hat, der ihren senfkornkleinen Fischerglauben sah. Und indem sie bitten, bleiben sie „dran“ und lassen zu, dass der Herr in ihnen das entdeckt, woran sie selbst nicht mehr geglaubt haben. Sie bitten ja gerade nicht, weil sie so dolle glauben, sondern sie glauben, weil sie dran bleiben, weil sie beten. Und so erleben sie Schritt für Schritt auf ihrer Lebensreise mit Jesus das Wunder, dass sie glauben und diese Welt durch ihr Zeugnis aus den Angeln heben und in Gottes Reich einwurzeln.
Und was für die Jünger gilt, erreicht auch uns: nicht um die auf große Zahlen schielende Sorge geht es, sondern um unsere Beziehung zu Jesus Christus: dass wir dran bleiben an ihm. Wenn es mit dem Glauben schwierig ist, wenn wir unseren Glauben gar nicht mehr richtig spüren, gerade dann sollen wir unser Lebensgespräch mit ihm nicht aufgeben – als Einzelne und als Kirche! Amen.
In ihrem 2. Teil nimmt die Predigt Passagen aus dem Predigtentwurf von Kurt-Josef Wecker aus Werkstatt für Liturgie und Predigt, 7/2007, S.282 aus. Vielen Dank für die Anregungen!