Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Evangelium nach Matthäus, im 6. Kapitel: http://www.die-bibel.de/nc/online-bibeln/luther-bibel/lesen-im-bibeltext/bibelstelle/Mt%206,19-21/anzeige/single/#iv
Großer Gott, dein Heiliger Geist ist Herr über Reden und Hören. Segne unser Bemühen durch Christus, unseren Bruder und Herrn. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Es gibt viele Gründe, warum wir Erntedank feiern. Manche sind eher oberflächlich und dann gibt es da den einen so ganz entscheidenden. Es ist an Erntedank im Grunde wie an Weihnachten. Wir feiern Erntedank: Nicht nur, weil es Tradition ist, dass man es tut; nicht nur, weil die Kirche dann so schön geschmückt ist und nach all dem Guten duftet, das Menschen hierher gebracht haben; nicht nur weil mit den Gaben hinterher auch noch etwas Gutes angefangen wird. Es gibt bestimmt noch andere Gründe, warum es gut ist, Erntedank zu feiern. Alle diese Gründe sind berechtigt, doch einer fehlt noch, der entscheidende Grund. Ohne diesen einen Grund würde das Erntedankfest – ganz ähnlich wie das Weihnachtsfest – schnell zu einem gewohnten, selbstverständlichen und damit dann auch nicht mehr ganz so wichtigen Bestandteil des alltäglichen Lebens werden. Dieser eine Grund ist: Wir feiern Erntedank, weil wir unser Leben und damit auch die Früchte unseres Lebens, weil wir unsere Ernte im Leben nicht uns selbst verdanken, sondern Gott. Tief in uns wissen wir, dass wir zwar vieles arbeiten können, um unser Leben zuhause, im Beruf und in der Freizeit zu gestalten, dass wir vieles hervorbringen, mit dem, was unser Kopf und unsere Hände können.
Am Beispiel der Früchte vom Feld und aus dem Garten wird uns das immer wieder anschaulich vor Augen geführt: ohne den Wechsel von Regen und Sonne gäbe es kein Wachsen. Und was für das Wachsen der Früchte gilt, muss auch in den anderen Bereichen des menschlichen Lebens bedacht werden. Wir sitzen an unserem Arbeitsplatz zum Beispiel am Computer oder an der Kasse eines Einkaufsmarktes oder wir stehen am Fließband einer Fabrik. Und wir merken schnell: Nicht alles von dem, was wir beim Wachsen und Ernten im Garten und auf dem Feld sehen, ist direkt auf die Arbeit von uns Menschen übertragbar.
Aber wenn Menschen neben Brot und Wasser, neben Essen und Trinken, kein Licht, keine Liebe und keine Achtung erfahren, dann ist das so, als ob für die Früchte die Sonne ausbleibt, dann ist kein Wachsen und erst recht kein Ernten möglich. Im Gegenteil: dann verkümmern die hoffnungsvollen jungen Triebe oder die Früchte, die schon angesetzt haben, verwelken oder verfaulen, ehe sie reif sind.
Tief in uns wissen wir, dass wir zwar vieles arbeiten können, dass das Wachsen und Gedeihen, von Früchten und von Menschen eine Grundlage braucht. Manche Menschen sehen in den Naturgesetzen diese Ordnung begründet: rein mechanisch sei das Gefüge von Aktion und Reaktion zu verstehen. Wir als Christen glauben, dass die Grundlage von Werden und Wachsen noch hinter diesen erfahrbaren Gesetzen zu suchen und auch zu finden ist. Wir als Christen nennen diese Grundlage, auf der alles Leben, alles Werden und Wachsen aufbaut: Gott. Ihn bekennen wir im Glaubensbekenntnis als den Schöpfer von Himmel und Erde, der aber die Schöpfung nicht nur einmal am Anfang der Zeit geschaffen hat, sondern der sie auch erhalten will, indem er immer wieder neu Leben schafft und schenkt.
Und so gilt am Erntedankfest unser Dank nicht unserer Arbeitskraft, mit der wir gepflanzt und gepflegt haben. Unser Dank gilt auch nicht den Naturgesetzen, die Wachsen und Reifen durch Sonne und Regen ermöglichen. Unser Dank gilt Gott. Ihm zu Ehren bringen wir unsere Gaben in die Kirche, als sichtbares Zeichen für das, was wir denken und fühlen. Ihm zu Ehren bringen wir ihm etwas von dem zurück, was wir durch ihn erhalten haben: Die Früchte aus dem Garten und vom Feld sind dabei auch ein Zeichen für das, was wir im vergangenen Jahr geerntet haben, was aber nicht gebracht werden kann: unseren Erfolg an geleisteter Arbeit: zuhause, in der Schule, am Arbeitsplatz.
Heute geben wir bildlich, zeichenhaft Gott etwas von dem zurück, was wir durch ihn erst haben. Wenn wir die Früchte dann an Menschen weitergeben, die sie brauchen, dann ist das so gut und richtig. Denn in den bedürftigen Menschen sieht uns Jesus an. Was wir einem der Geringsten tun, das tun wir ihm, Jesus, und damit Gott.
In dem Predigtabschnitt aus der Bergpredigt führt Jesus uns vor Augen, was geschieht, wenn uns der Bezug zu Gott verloren geht, wenn uns verloren geht, dass wir das, was wir haben, nicht uns selbst, sondern Gott verdanken.
Menschen sammeln Schätze. Für Jesus ist es offensichtlich, dass seine Zuhörer es auch tun. Und wir heute tun es auch. Es gehört einfach zum Menschsein dazu. Das, was Menschen sammeln, ist ganz unterschiedlich. Gemeinsam ist allen sammlern, dass immer wieder – ganz gleich, was man schon hat – sich diese Sehnsucht einstellt: „Dieses hier, wie wäre es, wenn es mir gehörte? Hat mir nicht gerade dieses eine noch zu unserem Glück gefehlt hat?“ Und mit großer Beharrlichkeit machen wir uns auf, ein weiteres Stück zu unseren Schätzen hinzuzufügen. Wir verwenden viele Arbeit und großer Mühe darauf. Und doch müssen wir immer wieder neu die Erfahrung machen, dass diese Schätze nicht von Dauer sind: Früchte können verderben, wenn sie nicht rechtzeitig gegessen werden, aber auch Dinge, die haltbarer aussehen, sind nicht vor dem Verfall geschützt.
Was im Predigttext Motten, Rost oder Einbrecher besorgen, tun heute manchmal schon ein paar Minuten Abwärtstrend an der Börse. Sicherheit für unsere Schätze gibt es nicht. Auch Versicherungen können dies nicht gewährleisten, sie könnten immer nur einen wie auch immer bestimmten Gegenwert ersetzen.
Menschen sammeln Schätze und diese Schätze sind das Ergebnis von vieler Arbeit und großer Mühe. Aber erst wenn diese Schätze verloren gehen, wird uns bewusst, was sie uns bedeuten. Je wichtiger uns die Schätze sind, desto größer wird der Verlust empfunden. Der Verlust trifft sie dann mitten ins Leben, mitten in das Herz. Die Menschen hatten sich selbst und ihr ganzes Sein mit diesen Schätzen verbunden: „Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz“, sagt Jesus. Das Herz des Menschen ist das Zentrum des ganzen Menschen.
Martin Luther hat dieses Wort Jesu noch ausgeweitet und auf die Spitze getrieben: Wenn das Herz des Menschen nicht mehr bei Gott ist, sondern bei dem Schatz des Menschen, dann wird der Schatz des Menschen zum neuen Gott: „Woran du dein Herz hängst und dem du dienst, das ist dein Gott.“ Auf diese kurze Formel kann Martin Luther es bringen.
Damit das nicht geschieht, sagt Jesus: „Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen. Sammelt euch Schätze und freut euch an ihnen, aber achtet darauf, dass nicht die Schätze am Ende euch haben und euer Leben bestimmen. Bei den Schätzen im Himmel besteht diese Gefahr nicht, denn sie sind dem Herzen entzogen.“ Jesus kennt die Menschen, er weiß, dass sie immer wieder neu ihr Herz nach ihrem Schatz ausrichten wollen und werden. Also versucht er nicht, die Menschen in ihrem Menschsein zu ändern, sondern ihrem Menschsein die richtige Richtung zu geben.
Mancher mag da einwenden: „Wir können doch kein Geld in den Himmel überweisen, um uns dort einen Schatz zu sammeln, damit dann wiederum unser Herz dort ist.“ Nein, Geld kann man nicht in den Himmel überweisen, aber wenn mein Herz nicht daran hängt, kann ich es im Sinne Jesu und damit auch im Sinne Gottes gebrauchen: Den Menschen neben mir zu sehen, der nackt und elend ist, dem das Nötigste zum Leben fehlt, denn aus ihm sieht uns Jesus Christus selbst entgegen.
Jesu Botschaft lautet nicht: Ihr dürft keine Schätze haben. Sondern: Gebt den Schätzen nicht Gewalt über euch, lasst sie nicht mächtig werden über euer Herz, denn dann verliert ihr mit dem Herz euer Leben.
Jesu Botschaft lautet positiv gewendet: Ihr dürft Schätze haben, sie werden euch sogar von Gott geschenkt, damit ihr sie in Freude gebrauchen könnt. Verlieren wir aber das Bewusstsein, dass wir diese Schätze nicht uns selbst, sondern Gott verdanken, dann geht uns nicht nur vieles, dann geht uns das Leben verloren.
Heute, am Erntedanktag wird uns durch das Fest und durch die Worte Jesu vor Augen geführt, dass wir alles das, was wir ernten – im wörtlichen und im übertragenen Sinn –, dass wir alles das, wofür wir heute Dank sagen, nicht aus uns selber heraus geschaffen und bekommen haben. Mit unserem Wort „Danke“ an den, der jenseits unserer eigenen Wünsche steht – mit unserem Wort „Danke“ an Gott werden wir frei, unsere Schätze, die wir sammeln, in Freude zu genießen. Denn mit unserem Herzen bei Gott erwächst das Miteinander unter den Menschen von selbst.
Möge der Erntedanktag ausstrahlen auf die Tage die kommen, dass wir unser Herz bei dem behalten, der das Leben schafft und erhält. Dann wird sich unser Sein nicht im Jagen nach dem Unerreichbarem erschöpfen, sondern wir werden leben können. Dazu möge uns die Erinnerung an unser Wort „Danke“ helfen.
Amen.