Predigt in der Osternacht über 2. Timotheus 2,8a

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
„Da war doch noch was!? … Was war das noch? Ich wollte es mir doch unbedingt merken. Na ja, so wichtig war es dann wohl doch nicht; oder: es wird mir wieder einfallen.“ Ich weiß nicht, ob Sie etwas Ähnliches kennen. Da war etwas, das zunächst wichtig erschien; etwas, das wir uns unbedingt merken wollten – und dann ist es aber doch in den Wirren des Alltags untergegangen. Ob es wirklich wichtig war? Wer wollte es sagen. Und wenn es wichtig war: war es das für mich oder war es eher für andere wichtig, vielleicht sogar lebenswichtig? Wer wollte es sagen? Wir können uns nicht erinnern, so sehr wir uns auch bemühen.

Manchmal taucht dieses Etwas wieder auf, vielleicht kurz nachdem wir es gebraucht hätten; oft dann, wenn wir aufgehört haben, uns das Gehirn zu zermartern – manchmal ist es aber auch auf Dauer weg. Vor allem dann, wenn wir uns sicher sind, dass es wichtig war, bleibt eine gewisse Traurigkeit zurück. Wie schön wäre es gewesen, wenn …

Sich nicht erinnern können, wenn wir es brauchen; sich manchmal erinnern, wenn wir es gar nicht brauchen – auch das gibt es: in wichtigen Situationen, wenn wir hoch konzentriert sein müssen auf anderes. Das alles macht uns deutlich: Besonders in Stresssituationen können wir uns an manches nicht erinnern, obwohl es doch so wichtig wäre. Wir sind blockiert und finden die rettende Synapse im Gehirn nicht, die uns das Erinnern ermöglichen würde und damit vielleicht sogar die Rettung bringen würde.

Bis zu einem gewissen Grad können wir das Erinnern aber auch trainieren: Indem wir das, was wir parat und präsent haben wollen, immer wieder wiederholen, bis wir es auswendig können, bis man uns nachts um drei Uhr wecken kann und wir unser Sprüchlein aufsagen können. Dann ist es in uns so gegenwärtig, dass wir es gar nicht erst in unserem Gehirn suchen müssen, dann ist es einfach da. Allerdings kann so etwas auch wieder verloren gehen, wenn es nicht weiter geübt wird. Und was für das Auswendiglernen gilt, gilt auch für vieles andere. Vieles lässt sich einüben, aber auch wieder verlieren.

Noch faszinierender ist es allerdings, wenn etwas unser Herz erreicht, das Zentrum unserer Seele. Den Namen eines geliebten Menschen werden wir im Herzen tragen und nicht vergessen, wir werden ihn immer da haben, wenn wir ihn brauchen. Vieles mehr werden wir präsent haben, wenn es erst einmal unser Herz erreicht hat und nicht nur unser Gehirn: besondere Worte, die uns treffen, ebenso wie eine bestimmte Musik, die in unserem Herzen und in unserer Seele etwas zum Schwingen und Klingen gebracht hat; ein besonders schöner Geruch verbindet sich mit bestimmten Situationen unseres Lebens, sodass wir uns immer wieder an diese Situation erinnern, wenn wir diesen Geruch in der Nase haben – oder umgekehrt.

Und was mit angenehmen Gefühlen und Stimmungen funktioniert, geschieht leider auch mit den gegenteiligen Empfindungen: was unser Herz einmal beschwerend oder zerstörend erreicht hat, gräbt sich oft ebenso tief ein, dass es nur eines kleinen Hinweises bedarf, um Ärger, Trauer, Hass in uns aufsteigen zu lassen. Was unser Herz einmal erreicht hat, ist da, ist gegenwärtig und steht uns – verzeihen Sie mir den technischen Ausdruck – es steht uns zur Verfügung.
Liebe Gemeinde! „Da war doch noch was!? – Ach ja! – Da ist es ja wieder: Der Herr ist auferstanden, Halleluja! Er ist wahrhaftig auferstanden, Halleluja!

Liebe Schwestern und Brüder! Nein, ich hatte es nicht vergessen. Ich hatte den Jubelruf zu Ostern nicht mal eben aus dem Gedächtnis verloren. Aber – was auf im ersten Moment so grotesk klingt, hat seinen sehr realen Anhaltspunkt: nicht so sehr im kurzfristigen Vergessen, als vielmehr im Grundsätzlichen: Wenn die Botschaft dieser Nacht, wenn die Botschaft von der Auferstehung Jesu nur noch als ein Satz der Dogmatik, der christlichen Lehre empfunden wird, der aber nie das Herz der Menschen erreicht, dann besteht die Gefahr, dass er verloren geht und mit ihm dann der ganze christliche Glaube.

Die Gefahr ist heute gegeben, wenn wir nur mit unserem heutigen Wahrheitsbegriff an die Botschaft von der Auferstehung herangehen: ob das Grab, in das Jesus an Karfreitag gelegt wurde, am Tag der Auferstehung wirklich, also im historischen Sinn, leer war oder nicht.
Das Problem entsteht, wenn der christliche Glaube also davon abhängig gemacht wird, ob dieser oder jener Teilbegriff des Christentums für den je einzelnen nachvollziehbar ist und von dem je Einzelnen als wahr angesehen wird, wenn es sich ausschließlich um ein rein intellektuelles Wissen handelt. Das Problem entsteht, andersherum formuliert, wenn der Glaube eben nicht zuallererst aus einer lebendigen Beziehung zu Gott getragen wird, die von Vertrauen geprägt ist, von einer Beziehung, die von Herz zu Herz geht.

Das alles habe ich vor Augen, wenn ich den Predigttext des Osternachtsgottesdienstes betrachte. Es ist nur ein kurzer Satz, ein Vers, den wir im 2. Brief an Timotheus finden. Im zweiten Kapitel des Briefes heißt es im Vers acht: Halte im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten.

Es ist die letzte einer Reihe von Aufforderungen, die der Schreiber des Briefes an seinen Schüler richtet. Es sind Ermahnungen, die auf die Standhaftigkeit des Timotheus abzielen, die der in den Bedrohungen durch Kampf und Leiden hindurch bewahren soll. Als letzte nennt der Apostel eben diese: Halte im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten. Das ist sein Evangelium, das Paulus empfangen hat und das er verkündet, für das er leidet und sogar im Gefängnis sitzt. Alles das aber kann er ertragen, weil er um die unendliche Konsequenz und die wunderbare Treue Jesu zu den Seinen weiß.

Halte im Gedächtnis – Das griechische Wort, das im Urtext da als Aufforderung steht, kann man auch mit „sich erinnern“ übersetzen. Es würde sicherlich auch Sinn machen: „Erinnere dich an Jesus Christus, den Auferstandenen.“ Dann wäre es nach meinem Empfinden aber ganz nahe dran an diesem: Ich will mich erinnern aber es kann auch sein, dass es mir eben gerade nicht einfällt, wo ich es doch jetzt so dringend bräuchte. Die Übersetzung von Martin Luther geht für mich viel weiter und eröffnet für mich einen ganz anderen, weiteren Verstehens-Horizont. „Halte im Gedächtnis Jesus Christus“ bedeutet doch: „Behalte den Auferstandenen im Gedächtnis, lass ihn nicht wieder in das Allerlei der Gedanken zurücksinken, aus dem du ihn dann wieder und vielleicht nur mühsam hervorholen kannst; behalte Jesus Christus, der den Tod überwunden hat, präsent, lass ihn in deinem Leben und vor allem in deinem Herzen so wichtig sein, dass du ihn nicht erst suchen musst, wenn du ihn brauchst. Denn vor allem in der Bedrohung ist dies doch unendlich wichtig, im Stress der Gefahr von Außen darfst du nicht erst nach ihm suchen müssen. Denn er ist die wichtigste Kraftquelle, die du dir vorstellen kannst.“

Hätte der Schreiber des Briefes schon die Computertechnik gekannt, hätte er vielleicht gesagt: „Lass nicht zu, dass dieser Jesus Christus in irgendeiner Auslagerungsdatei deines Gehirns abgelegt wird, sondern sieh zu, dass er im Arbeitsspeicher deines Wesens präsent ist, dass du Zugriff auf ihn hast, ohne lange Wege zu brauchen, die doch nur störanfällig sind.“ Jesus Christus, der Auferstandene, gehört ins Herz, also ins Zentrum des Lebens, denn es geht doch um mehr und sogar um etwas ganz anderes, als dass ich mich mal eben daran erinnere, dass es da einen dogmatischen Glaubenssatz gibt, der die Auferstehung Jesu von den Toten behandelt.

Es geht um die Perspektive, die Richtung, die unser Leben bekommt, wenn die Auferstehungsbotschaft in uns Raum gewinnt. Paulus schreibt: „Sterben wir mit, so werden wir mit leben; dulden wir, so werden wir mit herrschen; verleugnen wir, so wird er uns auch verleugnen; sind wir untreu, so bleibt er doch treu; denn er kann sich selbst nicht verleugnen.“ Es ist uns eine Gewissheit für die Zukunft eröffnet, die uns – trotz aller Schwachheit, die wir auch in uns haben (sind wir untreu, so bleibt er doch treu) – die Freiheit eröffnet, alles das auszuhalten, was uns aufgezwungen wird: bis hin zu Anfeindungen, zu Gefängnis oder gar Tod. Die Gewissheit lautet: Wir werden leben, auch wenn wir sterben.

Wie kann, wie soll das gehen? Wie können wir Jesus Christus, den Auferstandenen, so im Gedächtnis halten? Es geht doch um anderes, als dass ich mich mal eben daran erinnere, dass es da einen dogmatischen Glaubenssatz gibt, der die Auferstehung Jesu von den Toten gibt. Es geht um unser Lebensgespräch mit Gott, zu dem wir durch den auferstandenen Jesus Christus einen Zugang haben. Christus im Gedächtnis zu halten, das heißt: Ihm jeden Tag neu Einlass in unser Herz zu gewähren; jeden Tag neu ihn zu suchen und sich von ihm finden zu lassen. Christus, den Auferstandenen im Gedächtnis zu halten, das heißt eben nicht zu beten, weil ich an irgendwelche Lehrsätze der Dogmatik glaube, so richtig sie auch sein mögen, sonder es heißt, dass ich auf Gottes Liebe vertraue, dass ich glaube, weil ich bete.

So werden wir ihn nie vergessen, so wird er vielmehr unser Leben und damit unsere Freiheit als Kinder Gottes von aller Macht und Gewalt dieser Welt bestimmen: der alte Osterruf; weil wir uns nicht nur einmal im Jahr in der Osternacht daran erinnern, sondern weil er unser Leben bestimmt und Raum hat in unserem Herzen Jesus Christus, der Auferstandene.
Amen.

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