„Note it!“ – Predigt am Erntedankfest über Hebräer 13,15.16

Die wunderbar geschmückte Möllberger Kirche am Erntedaktag
Weitere Bilder von der Möllberger Kirche gibt es unter http://my.opera.com/PaToWi/albums/show.dml?id=614421

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Was tun wir, wenn wir etwas nicht vergessen wollen: Einen Termin, eine Aufgabe? Die meisten von uns werden es so machen: sie schrieben sich einen Zettel, möglichst in einer auffälligen Farbe, und hängen ihn da hin, wo er nicht übersehen werden kann. Besonders beliebt für solche Erinnerungszettel ist bei Familien der Kühlschrank, weil an den alle und immer wieder dran gehen. So kann der Termin und die Aufgabe nicht vergessen werden. Die Weiterentwicklung sind kleine virtuelle Notizzettel, die man sich im Computer auf seinen Arbeitsplatz packen kann, jedes Kalenderprogramm im PC hat eine sogenannte To-do-Liste, die einen bei Bedarf auch an die dringenden Sachen und Termine erinnert.

Was steht bei Ihnen und bei Euch drauf? Der nächste Zahnarzttermin vielleicht oder das nächste Handballspiel; das nächste Konzert oder die nächste Mathearbeit? Ein Notizzettel ganz eigener Art haben wir zwar nicht selber geschrieben, aber wir können ihn wie alle anderen an den Kühlschrank hängen oder virtuell auf dem Computer ablegen. Es ist kein Notizzettel, der zu einem bestimmten Termin fällig wird und den wir dann abnehmen werden. Es ist eher so eine Dauererinnerung und ich hoffe sehr, dass sie uns eben nicht nur heute am Erntedanktag sondern jeden Tag neu ins Auge fällt.

Die meisten werden es sich schon gedacht haben, um was es sich handelt: Es ist das Predigtwort, das uns für den heutigen Erntedanktag gegeben ist. Aus dem Brief an die Hebräer im 13. Kapitel:
15 So lasst uns nun durch ihn, Jesus Christus, Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. 16 Gutes zu tun und mit andern zu teilen vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.

Liebe Schwestern und Brüder!
Auf den ersten Blick spricht der Schreiber des Briefes uns aus der Seele, beschriebt das, warum wir heute im Gottesdienst sind: um Gott zu loben; um ihm Dank zu sagen, auch wenn das Wort „Dank“ so direkt nicht vorkommt; auch um etwas von dem mit anderen zu teilen, was uns geschenkt ist, denn viele Menschen, die uns etwas zum Schmücken der Kirche gebracht haben, tun das, weil sie wissen: wir bringen es am nächsten Tag nach Salem-Köslin, damit es dort verarbeitet wird und anderen Menschen zu einem Stück des täglichen Brotes wird. Warum also dann einen Notizzettel mit dem Predigttext? Ich denke, auf den zweiten Blick wird es deutlicher, warum wir den immer wieder brauchen.

Da ist zuerst das in unseren Ohren so fremde Wort vom Opfer, das wir bringen sollen. Als Christen glauben wir doch, dass mit dem Tod Jesu unsere Schuld ein für alle Mal abgegolten ist. Und das ist richtig. Unser Lobopfer ist auch nicht dazu da, Gott zu beschwichtigen, ihn erst herbei zu rufen oder ihn um Vergebung zu bitten. Gott ist da, bevor wir ihn rufen, seine Güte ist jeden Morgen neu und er vergibt uns unsere Schuld um Jesu Christi willen. Das ist so. Unser Lobopfer ist unser bewusstes „Ja“, das wir sagen, um deutlich zu machen: Das ist so, daran glauben wir, dazu stehen wir. Aus der liebenden Zuwendung Gottes an uns leben wir. Es ist wie die Antwort auf das geflüsterte „Ich liebe dich.“: „Ja, ich liebe dich auch.“

„Und warum dann das Wort „Opfer“?“ möchten wir den Schreiber des Hebräerbriefes fragen. Das Wort Opfer macht Sinn, aus zwei Richtungen betrachtet. Zunächst: wenn es gut geht, wenn alles funktioniert: wie schwer fällt es dann oft, sich einzugestehen, dass das alles nicht aus unserer Macht alleine heraus erwachsen ist. Wie gerne nehmen wir für uns in Anspruch: „Das habe ich geschafft. Seht her, wie gut ich bin.“ Doch das Eingeständnis: „Nicht ich verdiene das Lob, sondern der, der mir die Gaben zu dem Erreichten gegeben hat.“ Das fällt uns schwer. Das ist so etwas wie ein Opfer, das wir Gott bringen: „Nicht mir, sondern dir, Gott, gebührt die Ehre.“

Manchmal mag uns das Lob Gottes und der Dank an ihn aber auch schwer werden, wenn uns gar nicht nach Dank und Lob zumute ist, weil wir sehr traurige Erfahrungen gemacht haben. Wenn in der Familie etwas zerbrochen ist, wenn ein Mensch gestorben ist; wenn es bei der Arbeit oder in der Schule eine Negativerfahrung nach der anderen gibt – warum, wofür dann danken? Wenn wir uns trotz der schwierigen Erfahrungen daran machen, Gott zu danken, werden wir feststellen, wie viele Gründe es dafür gibt – trotz unserer schweren Gedanken.

Zusammenfassen können wir beides mit den so bekannten Worten aus Psalm 103: Lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Sage und singe es vielmehr laut, nicht nur heute, sondern immer wieder; und nicht nur für dich, sondern laut und öffentlich. Denn wesentliche Dinge des Lebens müssen ausgesprochen werden, sonst stimmen sie nicht oder entfalten keine Wirkung.

Das alleine aber ist es nicht, was für uns wichtig werden soll. „Gutes zu tun und mit andern zu teilen vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.“ So heißt es im 2. Teil unseres Predigtwortes.

„Solche Opfer gefallen Gott wohl.“ Noch einmal konfrontiert uns der Schreiber des Hebräerbriefes mit dem Wort Opfer. „Solche Opfer“ – unwillkürlich frage ich mich, was sind denn die anderen Opfer, die Gott nicht gefallen. Vor 2000 Jahren waren es bestimmt die Opfer an heidnische Gottheiten. Und dann fallen mir alle Redewendungen ein, die heute von Opfern reden und deutlich machen, dass auch heute nicht nur irgendetwas geopfert wird, sondern auch und oft sogar Menschen: Wie oft müssen wir von Unfallopfern, Suchtopfern und Kriegsopfern sprechen, wie oft von den Opfern des Fortschritts oder den Opfern der Gewalt und des Terrors. Wir bringen ganz selbstverständlich Opfer für die Karriere und opfern zumindest als Menschheit dem kurzfristigen Gewinn die noch intakten Bereiche unserer Umwelt und die Ressourcen für die Zukunft unserer Kinder. Und allen diesen Arten von Opfer gemeinsam ist, dass sie mit Gewalt verbunden sind. Bei manchen sehr offensichtlich, bei anderen eher versteckt und kaum wahrzunehmen.

Und da möchte ich nachfragen: Welcher Gott will diese Opfer? Wem werden diese Opfer gebracht? Und je länger ich nachdenke, desto deutlicher wird mir: Auch heute sind es – wie vor 2000 Jahren – Götter oder Götzen, denen diese Opfer gebracht werden. Sie scheinen nur kein menschliches Angesicht mehr zu haben wie die Götter der Griechen und Römer. Denn heute heißen die Götter „Uneingeschränkte Mobilität“, „Uneingeschränkte Freiheit durch Unterdrückung anderer“; „Beruflicher Erfolg auf Kosten der Kolleginnen und Kollegen“. Die Liste der modernen Götter ließe sich fortsetzten und mündet doch in eine Gesamtgottheit: Der Mensch, so sehe ich es, macht sich selbst zum Gott mit ganz verschiedenen unmenschlichen Gesichtern.

Im Gegensatz zu den Opfern an diesen Gott, an diese Götter stehen die Opfer, die Gott wohl gefallen. Sie fallen uns manchmal schwer, schwerer als die anderen Opfer, aber sie kommen ganz ohne Gewalt aus und sie vernichten kein Leben – ganz im Gegenteil: sie eröffnen und fördern das Leben: das der anderen und dadurch auch meines. Diese Opfer machen das Leben reich und sinnvoll: das der anderen und dadurch auch meines, auch wenn es zunächst immer etwas ist, das ich von mir weggebe. Gutes zu tun und mit anderen zu teilen – das vergesst nicht: Dem möchte ich nachgehen und versuchen es durchzubuchstabieren, damit der Notizzettel am Kühlschrank nicht einfach nur aus Worten besteht, sondern sich mit dem Tun verbindet.

Gutes tun: es besteht darin, den Nächsten oder die Nächste neben mir zu sehen, weil vielleicht niemand sonst ihn oder sie beachtet, und ihm und ihr etwas abzugeben von all dem, was ich selbst empfangen habe. Ja, ich gebe etwas weg von mir. Zuerst ist es wohl die Mauer, die ich vorher um mich herum gebaut habe, um mich und meinen Besitz zu sichern. Diese Mauer muss ich zuerst weggeben, aufgeben und einreißen, um mich den anderen zuwenden und mit ihnen teilen zu können.
Mit anderen zu teilen, vergesst nicht. Da gibt es unendlich vieles, was Menschen miteinander teilen können, es ist weit mehr als nur von meinem Überfluss abzugeben. Im Grunde ist es sogar so, dass erst auf Augenhöhe ein echtes Teilen möglich wird. Denn Teilen ist etwas anderes als Almosengeben, das nur von oben nach unten geschieht.

Vieles können Menschen miteinander teilen:
Fangen wir bei den ganz kleinen Dingen an: bei dem geteilten Tütchen Gummibärchen oder dem geteilten Schokoladenriegel, bei dem geteilten Apfel. Da kommen wir dann schnell zu der geteilten Mahlzeit. Und es dann um die ganz elementaren Dinge: das tägliche Brot miteinander zu teilen und das Dach über dem Kopf.

In unserer Zeit heute ist die Zeit eines der wichtigsten Güter, die wir miteinander teilen können: Gemeinsam erlebte und so geteilte Zeit in Partnerschaften, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Großeltern und Kindern, zwischen Kolleginnen und Kollegen.

Von besonderer Bedeutung ist es, bestimmte Lebenssituationen und damit auch die Gefühle miteinander zu teilen, die sich mit diesem Lebenssituationen verbinden: Freude in ihren unendlich vielen Farben ebenso wie das Leid in seinen ebenso unendlich vielen Schattierungen. Wie gut und tröstlich ist es, sich von anderen mit getragen zu wissen, wenn im Leben etwas zerbrochen oder zuende gegangen ist. Wie befreiend ist es, wenn wir vor großen Aufgaben stehen und da sind welche, die sagen: „Wir stehen nicht hinter dir nach dem Motto „Hannemann geh du voran“, sondern wir stehen neben dir, um dir zu helfen und mit dir das Ding zu schaffen.“ Wie erhebend ist es, in den Gesichtern mir gegenüber statt des Neides meine eigene Freude über den schönsten Moment in meinem Leben gespiegelt zu sehen: Der geschaffte Schulabschluss, die bestandene Prüfung, die Hochzeit, die Geburt eines Kindes, der Sieg meiner Fuß- oder Handballmannschaft, der durchgelaufene Marathon oder, oder, oder …

Mit anderen teilen: In besonderer Weise gehört auch der gemeinsam erlebte und so geteilte Glaube dazu. Denn wie ginge christlicher Glaube, wenn es nicht die gemeinsam erlebten Feste und Feiern gäbe? Wie ginge christlicher Glaube, wenn mir nicht jemand das Wort der Vergebung oder ein Wort des Trostes und der Ermutigung sagen würde? Es ist ja nicht so, dass es beim Glauben immer gleich wäre; denn manchmal sehr schnell wechseln die Höhen des sichern Glaubens mit dem Tälern des Nicht-Glauben-Könnens. Wie gut ist es dann zu wissen: die anderen tragen mich mit meinem jetzt schwachen Glauben, die glauben für mich mit. Der christliche Glaube ist eben keine Privat- oder gar Intimsache, wie manch Menschen uns das immer wieder einreden wollen. Christlicher Glaube ist in der Gemeinschaft der Schwestern und Brüder geteilter Glaube.

Schließlich teilen wir das miteinander, was wir nötiger brauchen als alles andere sonst: die Liebe Gottes, die er uns jeden Morgen neu schenkt, die Liebe, die er uns in Jesus Christus in menschlicher Gestalt hat sehen lassen und die wir erfahren können, wenn wir beim Abendmahl um den Tisch Jesu vereint Brot und Wein oder Traubensaft empfangen. Auch da und in besonderer Weise teilen wir unser Christsein.

So feiern wir auch in diesem Jahr Erntedank. Wir merken dabei: Wir erinnern uns an die Ernte dieses Jahres, aber wir lassen uns dadurch erinnern an die Zeit, die vor uns liegt. Denn jede Erinnerung will fruchtbar gemacht werden für die Zukunft. Lassen wir uns immer wieder neu mit unserem Notizzettel daran erinnern. Kleben wir in an: da wo wir ihn immer wieder gut sehen können, wo er uns in Auge fällt, wie das ja bei einem solchen Notizzettel sein soll.
Amen.

Ein herzliches Dankeschön für die sehr anregenden Gedanken von Pfarrer Steffen Schramm in den Göttinger Predigtmeditationen (Heft 62/4, S.418-424)

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