Predigt am Altjahrsabend über Lukas 12,35-40

[/IMG]Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Das Predigtwort für den heutigen Altjahrsabend steht im Evangelium nach Lukas, im 12. Kapitel:
http://www.bibelwissenschaft.de/nc/online-bibeln/luther-bibel-1984/lesen-im-bibeltext/bibelstelle/Lk%2012,35-40/anzeige/context/#iv
Großer Gott, dein Heiliger Geist ist Herr über Reden und Hören. Segne unser Bemühen durch Christus, unseren Bruder und Herrn. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
„Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen“ – Was bei uns heute vielleicht Reaktionen hervorruft wie: Schon wieder wachsam und bereit sein, schon wieder ein Endzeittext, das war doch erst zum Ende des Kirchenjahres und dann auch schon wieder im Advent dran – das hörten die ersten Leser des Lukasevangeliums und vor allem die Menschen, die Jesus zuhörten mit ganz anderen Ohren. Denn der Anfang dieses Satzes führte sie mitten hinein in die Geschichte ihres Volkes, sogar an einen der markantesten Punkte. Wenn Gott dem Mose und dessen Bruder Aaron die Anweisungen zum Auszug aus Ägypten gibt, im Besonderen die Anweisungen für das Passa-Mahl, dann sagt er auch: „So sollt ihr‘s aber essen: Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und eure Schuhe an euren Füßen haben und den Stab in der Hand und sollt es essen als die, die hinwegeilen; es ist des HERRN Passa.“

So heißt es im 2. Buch Mose, im 12. Kapitel und jedes Kind kannte diese Worte, so wie wir heute vielleicht die Worte des Weihnachtsevangeliums sofort erkennen, und in uns das Gefühl von Weihnachten aufkommt. „Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein…“ Den Menschen damals eröffnete sich bei diesen Worten das ungeheure Bild von der Gegenwart und der Wirksamkeit Gottes im Auszug des Volkes Israel aus Ägypten.

Es stand für die Menschen also nicht irgendetwas im Raum, was Gott vielleicht einmal tun würde, von dem man aber nicht so genau wusste, wie das sein sollte, was man zu erwarten hätte. Mit dem Bild vom Auszug aus Ägypten und dem Weg in das Gelobte Land war auch für die Gegenwart und die Zukunft alles gesagt: Wie damals würde Gott auch nun wieder die Menschen aus der Sklaverei führen und ihnen am Ende ein Leben in Freiheit und Würde, in Selbstbestimmung und voller Zukunft eröffnen. Und das in nächster Zukunft, denn der Aufbruch aus Ägypten stand ja in eben dieser Nacht bevor, wenn sie das Passa essen sollten.

Ausnahmezustand im Volk Israel am Abend und in der Nacht vor dem Aufbruch in das neue Land. – Ausnahmezustand auch bei uns. Nicht, weil wir von jetzt auf gleich in ein neues Land aufbrechen wollen oder sollen – es ist nur ein neues Jahr. Und trotzdem … Der 31. Dezember, und in besonderer Weise der Abend und die folgende Nacht ist ein solches Ausnahme-Datum. Denn für viele Menschen verbindet sich mit einem neuen Jahr auch der Wunsch nach und die Hoffnung auf einem neuen Anfang. Die vielen guten Vorsätze, die die Menschen fassen, zeugen davon: mit dem Rauchen aufzuhören oder mit dem Sport wieder anzufangen; eine neue oder überhaupt eine Arbeitsstelle zu finden; in der Schule wirklich gut aufzupassen und die drohende fünf in Mathe abzuwenden oder doch die eins in Religion zu schaffen; die Vorsätze als Eltern mit den Kindern oder als Kinder mit den Eltern einmal gründlich zu reden, damit mancher Zwist nicht auf ewig stehen bleibt, oder damit die anderen wissen, was mir wichtig ist, wenn es einmal zuende gehen sollte – denn auch das will bedacht sein, und es könnt schneller kommen, als es einer denkt und als es einem lieb ist. Kurz: im neuen Jahr wird alles anders und wer wollte nicht hoffen, dass es nicht nur anders sondern auch besser wird. Die Nacht des Jahreswechsels ist – jedes Jahr neu – eine solche Ausnahme-Nacht, die den Horizont einer neue Zeit eröffnet, ein lohnende Ziel vor Augen.

Für Menschen, die an diesem Tag in die Kirche kommen oder sonst auf irgendeine Weise den Kontakt zu Gott suchen, spielt dieser Gott eine nicht unwesentliche Rolle. Denn in Zeiten, in denen die bisherigen Sicherheiten nach und nach zerbröckeln, in denen aber auch die Bindungen und Abhängigkeiten an andere Mächte immer stärker zu werden drohen, suchen wir den, der uns von unseren Bindungen und Ängstlichkeiten befreit, der uns bestärkt, nicht nur die guten Vorsätze zufassen, sondern sie auch umzusetzen. Und in dem Gott, der sein Volk aus der Sklaverei geführt hat und der uns in Jesus Christus als Mensch so nahe gekommen ist, haben wir diesen befreienden und führenden Gott.

Für uns möchte ich das Bild von Ägypten aber noch einmal aufgreifen und weiterführen, weil es für den Anlass heute etwas wichtiges zum Klingen bringt. Die Israeliten mussten für ihren Weg durch die Wüste in das gelobte Land vieles in Ägypten zurücklassen: alles, was sie auf ihrer Wanderung beschwert hätte, was ihnen zur Last geworden wäre, es wird oft genug auch eine lieb gewordene Last gewesen sein. Das macht den Abschied davon so schwer. Die Sehnsucht der Israeliten zurück nach Ägypten bei manchen Schwierigkeiten auf dem Weg zeugt davon.

Doch das Motto lautete: Das zurücklassen, was uns beschwert, das mitnehmen, was uns trägt. Nur so war der Aufbruch möglich und Erfolg versprechend. Von manchen tun wir uns schwer, uns zu trennen, weil es lieb gewordene Teile von uns sind; von anderem meinen wir, dass es gar nicht in unserer Kraft liegt, uns davon zu trennen. Und doch wissen wir; wir müssen loslassen, nur so – indem wir unsere Lasten loslassen – werden wir das Leben finden: neu oder wieder finden.

Jede und jeder hat beim Hereinkommen einen Stein bekommen; manche Steine sind zackig und gratig, wie Steine manchmal sind, andere Steine sind eher rund geschliffen und schmeicheln der Hand, in der sie liegen. Trotzdem sind es Steine: mit dem ihnen eigenen Gewicht, Steine als Zeichen für alles, was uns beschwert. Alles das sollen wir zurücklassen, wenn wir in das neue Jahr gehen. Und so wird es zeichenhaft nachher vor dem Abendmahl auch sein: da sollen wir die Steine hierlassen, in der Kirche, am Altar, da wo Christus uns die Lasten von den Schultern nehmen will. Damit wir unbelastet aufbrechen und in das neue Jahr gehen können.

Jesus geht in unserem Predigttext nicht ausdrücklich auf die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei ein. Er braucht es nicht, denn seine Hörerinnen und Hörer haben das Bild vor Augen. Seine Botschaft gilt den Menschen seiner Gegenwart und uns in unserer Gegenwart: Achtet darauf, dass ihr die Möglichkeit des Aufbruchs nicht verpasst: Achtet darauf, dass ihr den richtigen Moment erwischt. Bei all dem, was uns ablenkt und was uns in seinen Bann zieht, erscheint diese Warnung auch berechtigt. Noch wichtiger scheint mir aber zu sein, dass Jesus den Blick mit seiner Aufforderung „Seid bereit!“ auf uns selbst richtet, den Knecht in seinem Gleichnis. Seine, des Knechtes vorrangige und – ja fast möchte ich sagen – seine einzige Aufgabe ist es, aktiv auf seinen Herrn zu warten, nur darauf kommt es an. Bereit zu sein, wenn der Herr kommt; in dieser Erwartung, ja Sehnsucht zu leben.

Was es dann heißt, von der Last befreit zu werden und aufgerichtet zu werden – davon erzählt Jesus in seinem Gleichnis genau in der Mitte. Ich weiß nicht, wem es aufgefallen ist – vielleicht haben wir nicht richtig hingehört, vielleicht haben wir die Stelle schon so oft, zu oft gehört, als dass wir uns die Überraschung in den Worte Jesu so richtig bewusst gemacht hätten. Denn da ruft der Hausherr nicht seine Diener, wenn er sie wachend findet, damit sie ihm die Schuhe ausziehen, ihm noch einen kleinen Imbiss zur Nacht und dann einen Absacker, einen Schlürschluck bringen. Das wäre zwar zu erwarten gewesen, wenn man die Herren dieser Welt kennt. Aber hier, bei Jesus, geht es genau anders herum: Er wird sich schürzen und wird sie, die Knechte, zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen. Wo Jesus nach Hause kommt, da wird er zum Diener der Menschen. Da wird sein Dienst zum Fest. Das ist sein Evangelium, seine frohe Botschaft.

Wenn wir heute, an diesem besonderen Abend, in dieser Ausnahmenacht des Jahreswechsels 2008-2009, Abendmahl feiern, geschieht dies sicherlich in der gewohnten Liturgie und mit dem freudigen Ernst und der ernsten Freude, wie sonst auch; ohne die Hektik eines überstürzten Aufbruchs. Das Abendmahl hat aber immer auch etwas von dem Vorläufigen, wie es das Passa-Lamm für die Israeliten auch hatte: Das Abendmahl ist Fest und gleichzeitig Wegzehrung auf dem Weg durch das Leben, auf dem Weg des Glaubens.
Und damit ist es – parallel zu den Erfahrungen des Volkes Israel – auch immer Wegzehrung auf dem Weg durch die Wüsten unseres Lebens: zwar mit manchen Wasserstellen und Oasen, die uns etwas von der Lebensfreude und der Lebenslust erfahren lassen, die Gott uns schenkt. Aber eben auch mit manchen Orten und Zeiten der Verzweiflung, des Hungers und des Durstes, der Orientierungslosigkeit und der Anfeindungen. Das Abendmahl ist und bleibt Wegzehrung auf dem Weg: manchmal durch blühendes Land, manchmal durch Wüsten.

Das Abendmahl ist dabei aber immer auch mit dem Ziel verbunden und Vorgeschmack auf das, was uns nach diesem irdischen Leben verheißen ist: Hoch-zeitliches Festmahl mit Jesus Christus in der Gegenwart Gottes. Im Abendmahl geschieht schon heute etwas davon, was Jesus den treuen Knechten verheißt: Er schürzt sich und bittet uns zu seinem Tisch, er dient, er bedient uns.

So kommen wir an diesem Abend im Übergang von einem zum andern Jahr zusammen, um uns daran erinnern zu lassen, was wirklich wichtig ist: die Zusage unseres Herrn Jesus Christus, dass er kommt, viel unverhoffter, las wir uns das oft vorstellen können; wir kommen zusammen, um unsere Lasten da zu lassen und neu und befreit in ein neues Jahr gehen zu können; wir kommen zusammen, um Gottesdienst zu feiern und Brot und Kelch im Abendmahl miteinander zu teilen. Wir tun das alles unter der Verheißung Jesu: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Amen.

Vielen Dank an Günther Wasserberg für seine Ideen in den Göttinger Predigtmeditationen (63/1; S. 71-76).

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