Predigt über EG 34 „Freuet euch, ihr Christen alle“

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Bemühen im Reden und Hören. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Ganz kurz vor meinen beiden Lieblingsliedern von Paul Gerhardt zu Weihnachten „Fröhlich soll mein Herze springen“ und „Ich steh an deiner Krippen hier“ ist das Lied entstanden, um das es heute in der Predigt gehen soll: 1646 hat Christian Keimann in Zittau das Lied „Freuet euch, ihr Christen alle“ geschrieben. Im gleichen Jahr ist es von Andreas Hammerschmidt ebenfalls in Zittau vertont worden. Und es ist nicht nur die Zeit, die dieses Lied mit den Liedern Paul Gerhardt verwandt erscheinen lässt. In unserem Gesangbuch werden in der Liedgeschichte (Nummer 1007, ab Seite 1515) diese Zeit, die Mitte des 17. Jahrhunderts, die Lieder Paul Gerhardts so beschrieben: die Lieder spiegeln das Ich im „Wir“ der Gemeinde, die eigene Glaubenserfahrung im Horizont der Heilstat Gottes; eine seelsorgerlich-tröstende und ermutigende Ausrichtung ist spürbar. Was für Paul Gerhardt gilt, trifft auch auf viele andere Liederdichter zu; Christian Keimanns Lied gehört auch in diese Art und Zeit.

Trotzdem ist es ein Lied der ganz eigenen Art, denn es hat einen doppelten Kehrvers. Der erste und offensichtliche Kehrvers ist uns im Gottesdienst schon mehrfach begegnet: das zwölffache Halleluja, das am Anfang und am Ende des Liedes gesungen werden kann. So heißt es im Gesangbuch. Für mich ist dieses „es kann gesungen werden“ sehr problematisch. Denn wenn man es weglässt, nimmt man ihm die theologische und musikalische Tiefe, verkürzt die Aussage um einen ganz entscheidenden Punkt.

Das Gotteslob des 12-fachen Halleluja umrahmt die Gedanken des eigentlichen Liedes. Und es sind nicht nur wir, die da dieses Gotteslob singen. Denn wie beim Dreimal-Heilig in der Abendmahlsliturgie stimmen wir als Menschen ja nur – aber auf wunderbare Weise – in das himmlische Halleluja der Engel mit ein.

So ist das Lied auch von der Musik her in 2 Sphären geteilt: in die göttlich-himmlische Sphäre des Halleluja, die im 3/4-Takt komponiert ist, und in die irdisch-menschliche Sphäre der Strophen, die im 4/4-Takt gestaltet ist. Anders Hammerschmidt, der Komponist des Liedes, hat sich dabei der alten Zahlensymbolik und ihre Anwendung in der Musik bedient. Danach war der 3/4-Takt der vollkommene Takt, der die Trinität bezeichnete. Er wurde in der alten Notation durch einen Kreis dargestellt. Der 4/4-Takt dagegen war der Takt des Menschlichen und wurde als unvollständiger Kreis dargestellt; heute noch gibt es als Taktbezeichnung bei einem 4/4-Takt so etwas wie ein großes „C“, das aber ursprünglich nur ein unvollständiger Kreis war. Singen wir noch einmal das Halleluja und dann gleich hinterher die erste Strophe:

Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja,
Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja,
Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja.
1. Freuet euch, ihr Christen alle, freue sich, wer immer kann;
Gott hat viel an uns getan. Freuet euch mit großem Schalle,
dass er uns so hoch geacht’, sich mit uns befreund’t gemacht.
R: Freude, Freude über Freude: Christus wehret allem Leide.
Wonne, Wonne über Wonne: Christus ist die Gnadensonne.

Bevor ich auf die Strophen einzeln eingehe, möchte ich zunächst noch den Strophen-Kehrvers des Liedes betrachten. Und auch hier spielen Zahlen ein große Rolle.

In der Zahl 12 ist das Irdische mit dem Menschlichen vereint: denn 12 ist drei mal vier. Im himmlischen Refrain am Anfang und am Schluss mit dem 12-fachen Halleluja ist das deutlich zu sehen. Aber auch im Refrain der Strophen kommt diese 12-Zahl vor: Dreimal pro Refrain singen wir von der Freude; bei vier Strophen macht das eine zwölffache Freude und bei der Wonne ist es ebenso: 12-fache Freude und Wonne, weil sich in dem Kind Jesus Himmel und Erde verbinden.

Inhaltlich macht der Refrain eine doppelte Aussage über Jesus Christus. Zuerst geht es darum, dass Christus allem Leide wehrt. Als Keimann das Lied dichtet, herrscht noch der 30-jährigen Krieg, in seiner Heimat in Böhmen ist die Gegenreformation in vollem Gang; wer evangelisch bleiben wollte, musste fliehen. Und so waren die Eltern von Christian Keimann ebenso wir die Familie von Andreas Hammerschmidt aus ihrer Heimat vertrieben worden und hatten in Zittau ein neues Zuhause gefunden. Es ist aber trotzdem weder Blauäugigkeit noch Verdrängung der Wirklichkeit, wenn Christian Keimann das so formuliert: „Christus wehrt allem Leide“.

Trotz aller einzelnen persönlichen Schicksalsschläge, die einen Menschen treffen können, sind Bewahrung und Rettung durch Jesu Christus nicht aufgehoben. Wie Paul Gerhardt singt Christian Keimann gegen Not und Tod, gegen Krieg und Vertreibung an, setzt der Realität menschlicher Erlebnisse die Realität der göttlichen Nähe entgegen. Trotz aller Finsternis in der Welt werden wir nach jeder Strophe immer wieder neu darauf hingewiesen, dass das Christenvolk zwar im Finstern wandelt, dass es aber ein großes Licht sieht, von dem es beschienen wird: die Gnadensonne Jesus Christus, wie es in der vierten Zeile des Refrains heißt.

Und wenn wir in dieses Lied und seinen Kehrvers einstimmen, bekennen wir diese göttliche Wirklichkeit, die durch die Finsternis auch unserer Zeit nicht aufgehoben wird. So wird die seelsorgerlich-tröstende und ermutigende Ausrichtung der Dichtung von Christian Keimann besonders sichtbar.

Auch die eigentlichen Strophen sind ganz kunstvoll komponiert. Immer wird jemand angesprochen: In den ersten beiden Strophen sind es diejenigen, die die Weihnachtsbotschaft hören und es wird zu ihnen etwas über Gott und Jesus, seinen Heiland gesagt. In den beiden letzten Strophen kehrt es sich um: Jesus wird angeredet und der Blick geht zu den Menschen. In den beiden Mittelstrophen zwei und drei geht es um die je einzelnen Christen, um das „Ich“ der Glaubenden; in den beiden Außenstrophen stehen die Christen als Gemeinschaft, als „Wir“ im Mittelpunkt. Auch so werden Jesus mit seinem Heilshandeln und die Gläubigen miteinander verbunden.

Die erste Strophe blickt auf die Gemeinschaft der Glaubenden und redet sie an. Wie im ganzen Lied ist das entscheidende Stichwort: Freude. Alle sollen sich freuen, wer immer kann und laut soll es dabei zugehen, mit großem Schalle.

Und warum? Christian Keimann sagt es zuerst ganz allgemein, es deutet noch nichts darauf hin, dass es sich um ein Weihnachtslied handelt. Es geht ihm um dieses wunderbare Geschehen, dass Gott uns nicht klein macht, wie das leider auch heute immer noch von manchen Menschen empfunden wird, sondern groß; dass wir nicht vor ihm im Staub liegen müssen als der letzte Dreck, den Gott dann irgendwann beiseite kehrt, wenn er mal Zeit hat, sondern dass er uns hoch achtet, dass Gott Hochachtung vor uns und für hat und uns zu seinen Freunden macht.

Ist das noch zu fassen? Nein, eigentlich nicht. Und eben deshalb muss die Freude so laut ausfallen – weil das gänzlich Unwahrscheinliche geschieht: Dieser hohe und scheinbar so unnahbare Gott macht uns zu seinen Freunden. Welch eine Wertschätzung, um es mit diesem modernen Wort zu sagen, liegt in diesen beiden Versen der ersten Strophe. Ich denke an Paulus, wenn er an die Epheser schreibt: So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen; ja Gottes Freunde – Wir alle zusammen, wir zusammen als Kirche! Sogar über alle Konfessionsgrenzen hinweg: „Freuet euch, ihr Christen alle!“

Für die 2. Strophe möchte man am liebsten den 2. Vers von Psalm 103 neben das Lied legen, denn in dieser Strophe beschreibt Christian Keimann, was die Freundschaft Gottes und dieser Vers aus Psalm 103 auf Jesus Christus bezogen bedeutet: Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Lasst uns die 2. Strophe singen:

2. Siehe, siehe, meine Seele, wie dein Heiland kommt zu dir,
brennt in Liebe für und für, dass er in der Krippen Höhle
harte lieget dir zugut, dich zu lösen durch sein Blut.
R: Freude, Freude über Freude: Christus wehret allem Leide.
Wonne, Wonne über Wonne: Christus ist die Gnadensonne.

Ging es in der ersten Strophe um das „Wir“ der Gemeinde, rückt nun der oder die Einzelne in den Mittelpunkt. Das heißt aber nicht, dass dass die Gemeinde aus der ersten Strophe dadurch nicht mehr wichtig wäre oder nicht mehr gebraucht würde. Die Erlösung, von der wir hier singen, gilt jeder und jedem Einzelnen, aber zu denken ist sie nie ohne die Gemeinschaft der Glaubenden und der Getauften.

Nur – ohne dass der Heiland in jedem einzelnen Menschen Wohnung nimmt, kann auch das Ganze nicht funktionieren; in Kurzform: keine Kirche und keine tragfähige Gemeinschaft ohne den Glauben der Einzelnen. Und trotz aller Weihnachtsfreude und Weihnachtsseligkeit verlieren wir beim Singen das Kreuz nicht aus den Augen: Schon in der Krippe – so stellt es sich Christian Keimann vor – liegt das Jesuskind hart und unbequem. Und sein Weg wird nicht im weichen Bett, sondern am Kreuz enden.

Das zentrale Wort dieser Strophe ist das Wort „Liebe“. Denn nur die Liebe in ihrer Vollendung kann das leisten, was Jesus für uns tut: für uns Menschen, für unsere innere Zerrissenheit und für unseren Unfrieden, den wir in uns haben, und den wir untereinander nicht wegbekommen – für alles das sich zu opfern.

Das zu erfassen, das ist unsere Aufgabe und Christian Keimann betont die Dringlichkeit, indem er seine und unsere Seele gleich doppelt auffordert, doch genmau hinzusehen und wahrzunehmen, was da geschieht: in der Krippe und dann später am Kreuz – und nicht nur damals, sondern eben für dich und mich heute.
Auf der Mitte des Liedes wechselt die Sicht in doppelter Hinsicht: Nicht mehr die Aufforderung an uns steht im Mittelpunkt, jetzt ist es die Anrede an Jesus. In der dritten Strophe wird dabei vorausgesetzt, dass die Seele aus der 2. Strophe die erbetene Erkenntnis erlebt hat. Lasst uns die 3. Strophe singen:

3. Jesu, wie soll ich dir danken? Ich bekenne, dass von dir
meine Seligkeit herrühr, so lass mich von dir nicht wanken.
Nimm mich dir zu eigen hin, so empfindet Herz und Sinn
R: Freude, Freude über Freude: Christus wehret allem Leide.
Wonne, Wonne über Wonne: Christus ist die Gnadensonne.

Die Wende ist geschafft! Die Seele hat die wunderbare Botschaft von Weihnachten aufgenommen und sie in ein Bekenntnis gewandelt: „Meine Seligkeit, mein Leben habe ich von Dir Christus!“ Aber wie geht es weiter? Schon in das Bekenntnis mischt sich die Unsicherheit – die Frage, ja sogar der Zweifel? – : Kann ich das überhaupt – aus eigener Kraft dieses Bekenntnis durchhalten?

Mir steht der Vater des besessenen Knaben vor Augen, als Jesus ihm sagt, dass alle Dinge dem möglich sind, der glaubt. Und der verängstigte Mann – die schreckliche Krankheit seines Sohnes vor Augen – ruft: „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben.“ Da wird ausgesprochen, was wir von uns doch auch so oft kennen: Unser „Glauben wollen“ und „unser doch nicht immer Glauben können“, unser auf Hilfe beim Glauben angewiesen sein. Und wie der Vater in der biblischen Geschichte bittet Christian Keimann und wir mit ihm: „Nimm mich dir zu eigen hin“, denn ohne dich können wir nichts tun.

In der Anrede an Jesus geht der Blick in der vierten Strophe wieder von dem Einzelnen zurück auf die Gemeinschaft: Was für die Einzelnen eben erbeten wurde, muss auch für die Kirche, die Gemeinschaft aller gelten, um die Zukunft zu sichern. Nicht ohne Jesus und seine Nähe in die Zukunft gehen – anders kann sich Christian Keimann das Leben nicht vorstellen.

Woran und wie man die Nähe Jesu im Leben erfahren kann? Kraft und Lebensmut gibt es besonders in der Gemeinschaft der Christenschar, die die Einzelnen schützend umschließt. So wie die Strophen, die von dieser Gemeinschaft handeln die anderen beiden Strophen schützend umrahmen, die von dem Einzelnen erzählen. Darüber hinaus ist es für mich besonders das Abendmahl, das uns Wegzehrung auf dem Weg durch das Leben schenkt: Jesus Christus greifbar und fassbar.

Was für die Menschen vor 363 Jahren, noch während des 30-jährigen Krieges, der ja offiziell als Glaubenskrieg geführt wurde, auf den ersten Blick noch viel dringender war als für uns heute, steht am Schluss: die Bitte um den Frieden, den Frieden der ganzen Christenheit. Wenn wir aber die Konfliktlinien in unserer Gesellschaft und auf unserem Erdenball sehen, werden auch wir aus tiefster Seele in diese Bitte einstimmen können. Dabei unsere Augen vor der Not von Menschen verschließen, das dürfen wir nur auch nicht. Beides gehört zusammen: das unbedingte Hoffen auf den Frieden Christi und das Tun des Gerechten. So wie der Freudengesang der Menschen zusammengehört mit dem Lobgesang des Himmels. Lasst uns die vierte Strophe und das abschließende Halleluja singen. Amen.

4. Jesu, nimm dich deiner Glieder ferner noch in Gnaden an;
schenke, was man bitten kann, und erquick uns alle wieder;
gib der ganzen Christenschar Frieden und ein seligs Jahr.
R: Freude, Freude über Freude: Christus wehret allem Leide.
Wonne, Wonne über Wonne: Christus ist die Gnadensonne.

Ein Kommentar zu „Predigt über EG 34 „Freuet euch, ihr Christen alle“

  1. Stefan Gehrt writes:Das Lied stammt aus dem Weihnachtsspiel: "Der newgebohrene JESUS den Hirten und Weisen offenbahret / In Form eines Schawspieles dargestellet in Zittaw Im Jahr 1646.“ Der Verfasser ist Johann Christian Keimann, geboren in Pankratz bei Pilsen, Student in Wittenberg, seit 1634 Rektor des berühmten Gymnasiums in Zittau, gekrönter Dichter und bedeutender Pädagoge. Das Weihnachtsspiel, dessen Text überliefert ist (die Hirten sprechen übrigens Lausitzer Mundart!) soll anlässlich des Friedensschlusses zu Kötzschenbroda 1645 geschrieben worden sein. Es wurde im darauffolgenden Jahre gedruckt und im gleichen Jahr von den Schülern des Gymnasiums in Zittau gespielt.Zum Hintergrund: Nach den militärischen Erfolgen der Schweden im Dreißigjährigen Krieg schloss der sächsische Kurfürst Johann Georg I. den Waffenstillstand von Kötzschenbroda mit dem schwedischen General Lennart Torstensson.Der Waffenstillstandsvertrag wurde am 27. August (jul.)/ 6. September 1645 (greg.) im Pfarrhaus von Kötzschenbroda von deren Bevollmächtigten unterzeichnet. Gastgeber der gesamten Verhandlungen war der langjährige Pfarrer von Kötzschenbroda, Augustin Prescher. Durch den „Waffenstillstand von Kötzschenbroda“ endete für das Kurfürstentum Sachsen der 30-jährige Krieg noch 3 Jahre vor dem Westfälischen Frieden.In einer Legende wird berichtet, dass es am Tag der Unterzeichnung des Vertrages (27. August) im ganzen Pfarrhaus keinen dem Anlass entsprechenden Tisch gab. Prescher soll beim Böttchermeister Knoth, der an diesem Tag die Hochzeit seiner Tochter ausrichten wollte, einen Tisch erbeten haben. Es heißt weiter: ‚Der Brautvater übergibt unter Gebet und Danken den Tisch mit allen darauf befindlichen Festspeisen. Die Verhandelnden haben das Geschenk gerne angenommen. Der Waffenstillstandsvertrag konnte dann unterzeichnet werden. Dieser Tisch steht heute im Hinterschiff der „Friedenskirche“ Radebeul. http://www.friedenskirchgemeinde-radebeul.de/index.php?id=48

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