Predigt am Sonntag Sexagesimae 2010 (7.2.)

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Brief an die Hebräer, im 4. Kapitel:

http://www.bibelwissenschaft.de/nc/online-bibeln/luther-bibel-1984/lesen-im-bibeltext/bibelstelle/Hebr%204,12-13/anzeige/context/#iv

Großer Gott, dein Heiliger Geist ist Herr über Reden und Hören. Segne unser Bemühen durch Christus, unseren Bruder und Herrn. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
„Lebendig und kräftig und schärfer“ – unser Predigttext in Kurzform – das war die Kirchentagslosung für den Kölner Kirchentag vor 3 Jahren. „Lebendig und kräftig und schärfer“? – „Wer denn, wie denn, wo denn, was denn?“ möchten wir in Erinnerung an einen Zeichentrickhund der Fernsehgeschichte fragen, denn das ließ die Kirchentagslosung ganz bewusst offen: wer oder was denn lebendig und kräftig und schärfer sein sollte. Wer dann die Bibel zur Hand nahm und im Hebräerbrief nachschlug, dem verschlug es dann fast die Sprache: Es ging bei der Kirchentagslosung wie in unserem Predigttext heute um Gottes Wort; das soll nicht nur sein, das ist: lebendig und kräftig und schärfer, sogar schärfer als ein zweischneidiges Schwert.

Aha, gut – aber was heißt das? Bei den ersten beiden Worten kann man sich ja durchaus etwas vorstellen:

Lebendig ist das Wort Gottes. Mir fiel zuerst ein Gegensatz ein: lebendiges Wort gegen toten Buchstaben. Paulus schreibt: Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig. Und wer Gottes Wort liest wie Buchstaben ohne Leben wird daraus die Grundlage für ein fanatisches Christentum machen. Aber es gibt auch viel mehr als nur eine Negativfolie.

Denn das lebendige Wort Gottes trägt das Leben in sich und schafft Leben: am Anfang der Schöpfung als Gott sprach „es werde“ und das Leben auf der Erde entstanden ist; im Menschen Jesus Christus, von dem das Johannesevangelium bekennt, dass er das menschgewordene Wort Gottes ist, und der durch seinen Zuspruch Menschen in das Leben zurückgeführt hat: Tote und Menschen, die, obwohl sie lebten, für sich oder andere so wie tot waren: Sünder und Kranke wie Zachäus und die Ehebrecherin, den Gelähmten und viele andere.

Das lebendige Wort Gottes trägt das Leben in sich und schafft Leben: bis heute, wenn Menschen Trost und Zuspruch erfahren, weil ihnen im Auftrag Gottes dieses lebendige Wort zugesprochen wird – bis heute!! (zwei Ausrufezeichen) und bestimmt auch über heute hinaus in die Zukunft!!! (drei Ausrufezeichen). Ich kenne so viele, die das erfahren haben.

Und kräftig ist das Wort Gottes. Es wächst und kann sogar auf Dauer harten Asphalt durchdringen. Es wächst und bringt hundertfach Frucht: ein kräftiges Wachstum von 10.000%, das uns Jesus im Gleichnis vom Sämann vor Augen stellt. Wenn es denn Raum bekommt, um sich ausbreiten und wachsen zu können.

Was für ein Boden sind wir? Lassen wir den Samen von Gottes Wort an uns abprallen, wie der festgetretene Weg? Lassen wir den Samen von Gottes Wort überwuchern vom Unkraut unserer Lust oder Unlust? Oder sind wir immer wieder auch das gute Land, wo Gottes Wort so reiche Frucht bringt?

Wie dem auch sei, welchen Boden wir Gottes Wort in uns bereiten: Es richtet auch von sich aus etwas aus, es geht von Gott aus und kommt nicht leer zu ihm zurück. So hat es schon der Prophet Jesaja gesehen. Immer wieder klopft es an und sucht den Zugang zu unserem Herzen, dem Ort, wo das Leben in uns sein Zentrum hat – immer wieder. Und manchmal früher und manchmal später wird es Einlass und Gehör finden.

Das Wort Gottes ist kräftig, es bringt auch Vieles und Großes zustande: wenn Menschen für große Aufgaben die Kraft finden oder wenn sie die große Kraft finden, sich trotz allem an ihrem von Krankheit und Tod bedrohten Leben zu freuen; wenn Menschen den Mut finden, Grenzen zu überschreiten und den Frieden mit ihren Feinden zu suchen; wenn Menschen ihr Herz öffnen, um etwas von ihrem Reichtum abzugeben und zu teilen.

Gottes Wort ist schließlich schärfer, schärfer als nicht nur irgendein, sondern sogar schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und es dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.

Das hört sich im ersten Moment gar nicht so aufbauend und lebensfördernd an wie „lebnendig“ und „kräftig“. Aber auch das gehört zum Wort Gottes. Denn Gottes Wort lullt eben nicht ein mit einem „Ist schon alle OK so, mach nur weiter, egal wie es ausgeht!“ Gottes Wort ist eben auch Korrektur im Leben, das deutlich sagt, wo etwas falsch läuft – deutlich und klar, aber nie ohne Liebe.
Wer sich dem Wort Gottes öffnet, muss damit rechnen, dass sich vieles verändert. Wer sich dem Wort Gottes öffnet, entscheidet sich und da kann es auch sein, das etwas geschieden wird. Wie bei dem Menschen, der eine sehr gut bezahlte Arbeit hatte und zu den besten Kreisen gehörte. Als er für sich feststellte, dass das Vertrauen auf Jesus Christus wichtiger ist als Geld und Karriere und er konsequent danach handelte, musste er feststellen, dass diejenigen, die kurz vorher noch seine Freunde waren, plötzlich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten.
Ganz ähnlich könnte es Schülerinnen und Schülern gehen, die beim Mobbing eines anderen aus der Klasse nicht mehr mitmachen, sondern sich schützend vor ihn stellen und für ihn eintreten.

Die Entscheidung dafür, sich auf das Wort Gottes einzulassen muss zwar nicht, aber sie kann einschneidende, scheidende und so auch trennende Folgen haben. In ganz konkreten Situationen – wie in den beiden Beispielen – wie auch in unserem tiefsten Innern: Gottes Wort ist Herzenssache, denn es ist „ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.“ So steht es im Hebräerbrief. Und in diesem, unserem Herzen macht uns Gottes Wort ganz schnell klar, wo wir für Gott oder gegen Gott sind.

Ganz oft wollen wir das dann nur nicht wahrhaben. Unser Kopf findet dann ganz schnell schöne und ganz besonders einsichtige Gründe, warum das, was wir gerade tun oder lassen, eine Ausnahme ist und warum wir gar nicht anders können, als uns gegen unser Herz und damit auch gegen Gottes Wort zu stellen. Aber tief in unserem Inneren, in unserem Herzen spüren wir den Schnitt, den Gottes Wort in uns macht, wenn es Seele und Geist voneinander scheidet.

„Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.“ – Wie auch Paulus im 2. Korintherbrief daran erinnert, dass wir alle vor dem Richterstuhl Christi erscheinen müssen, stellt uns auch der Schreiber des Hebräerbriefes im zweiten Vers des Predigttextes vor Augen, dass wir uns als Menschen vor Gott für unser Tun und Lassen verantworten müssen. Wir müssen vor Gott Rechenschaft ablegen, warum wir uns an dieser oder jener Stelle gegen sein Wort und gegen unser Herz entschieden haben, obwohl die Unterscheidung des einen vom anderen doch klar war.

Es ist eben nicht gleichgültig, wie wir hier und jetzt leben. Und dieser Vers betrifft nicht nur die Christen, wie manche vielleicht meinen könnten, um dann zu sagen: „Ich bin kein Christ, also macht mir das nichts!“ Diese Zukunftsperspektive, dass wir vor Gottes Auge Rechenschaft ablegen müssen, gilt für alle Menschen.

Manchen Menschen mag das vielleicht Angst machen und sie werden sich fragen: Soll ich da nicht einfach nur klein gehalten werden nach dem alten „Der liebe Gott sieht alles“-Prinzip und dem schönen Spruch: „Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort, die großen nach neun Monaten.“? Doch das hieße, den Bibeltext und den christlichen Glauben gründlich misszuverstehen: Gott und die Rechenschaft, die wir ihm schuldig sind, sind kein verlängerter Arm irgendwelcher innerweltlicher Instanzen wie Eltern oder Staat. Wenn Menschen Gott für sich in Anspruch nehmen wollten, um ihre Moralvorstellungen durchzudrücken, würden sie Gott und seinen Namen missbrauchen und Menschen klein machen. Bei der Rechenschaft, die wir Gott schuldig sind, geht es um Verantwortung, nicht um Moral.

So ist dieser Vers aus dem Hebräerbrief für mich ein großer Trost: Auf der einen Seite sehe ich zwar auch, was es für mich heißen kann und wird, was da so alles aufgedeckt werden könnte. Und jede und jeder von uns wird sich so etwas für sich selber auch denken können, denn wir sind nicht perfekt.
Aber ich möchte auf der anderen Seite bestimmt nicht, dass so vieles Unrecht und so großes Unrecht, das in früheren Zeiten auf der Welt geschehen ist und das auch noch geschieht, dass solches Unrecht nicht einfach nach dem Motto „Schwamm drüber“ beiseite gewischt wird. Um der Opfer willen und ihrer Leiden darf Unrecht nicht einfach verschwinden. Und eben dies wird uns vom Schreiber des Hebräerbriefes dargestellt und von Gott garantiert.

Diese Zukunftsperspektive, dass wir vor Gottes Auge Rechenschaft ablegen müssen, gilt für alle Menschen. Es kommt aber noch etwas hinzu, was wir als Christen wissen dürfen: Gott sieht uns mit einem liebenden Blick an. Ohne dieses Wissen wäre es wohl sehr schwer, sich das zuzutrauen: sich vor Gottes Angesicht sehen zu lassen.

Aber ich lese vom Schreiber des Hebräerbriefes, dass er die Seinen wenige Verse nach unserem Text auffordert: Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben. (Hebr 4,16) Und Paulus schreibt, dass wir zwar wir selbst bleiben werden, dass wir aber durch Gott auch verwandelt werden, wenn wir nach unserem Leben vor Christus erscheinen werden. Und ich höre die Worte, die Jesus dem Menschen neben sich am Kreuz zusagt: „Wahrlich ich sage dir, noch heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Ich kann nicht sagen, wie Gott das machen wird – vielleicht so, dass es irgendwie auch schmerzlich sein wird, wenn Gott das gerade und zurecht biegt, was in unserem Leben krumm und schief geworden ist; vielleicht auch ganz anders. Aber ich vertraue ganz bestimmt darauf, dass Gott es machen wird, dass wir vor ihm stehen und vor ihm bestehen können – ohne dass der Schmerz und das Leid der Opfer in dieser Zeit und Welt gering geachtet oder gar vergessen würden. Das „Wie“ ist Gottes Geheimnis; das „Dass“ ist seine Verheißung, die er gewiss einhält.
Amen.

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