Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Bemühen im Reden und Hören. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Ich weiß nicht, ob Ihr Euch das schon einmal gefragt habt: Warum der Pastor im Gottesdienst einen Talar oder eine Albe, ein weißes Gewand mit einer farbigen Stola trägt. Und immer wieder mache ich auch die Erfahrung, dass Menschen, die mich zuerst im Talar gesehen haben und mich nicht so gut kennen, mich im ersten Moment nicht erkennen, wenn ich ihnen dann in Zivil begegne. Wäre es da nicht viel einfacher, ich würde dieses besondere Gewand ganz weglassen? Ich könnte doch genau so gut im Anzug hier stehen – so werden manche denken. Und in der Tat gibt es Gemeinden, in denen der Pastor keine liturgische Kleidung trägt: bei den Methodisten und Mennoniten, bei den Baptisten ist das zum Beispiel meistens so.
Von der Frage einmal abgesehen, dass dann manche Menschen zu aller erst darauf sehen, ob denn der Pastor heute der Mode entsprechend gekleidet ist – und bei Pastorinnen ist das glaube ich noch viel extremer – gibt es noch einen weiteren Grund, warum ich auf Talar und Albe nicht verzichten möchte. Denn diese Kleidung macht deutlich: Da ist ein Mensch, der in der Gemeinde zu einem besonderen Dienst berufen ist. Und wenn der im Gottesdienst redet, dann spricht da – in meinem Fall – eben nicht die Privatperson Torsten Willimczik, sondern der berufene Pastor dieser Gemeinde. Natürlich fließt immer auch etwas von meiner Person in die Predigt ein, aber der Mensch Torsten Willimczik tritt doch zurück hinter das Amt des Pastors.
Ganz ähnlich könnte es auch bei den Lektorinnen und Lektoren sein: Auch die könnten ein liturgisches Gewand tragen, mit dem deutlich wird: Die nehmen einen besonderen Dienst, eine besondere Aufgabe wahr. Und in Schweden tragen die Konfirmandinnen und Konfirmanden bei ihrer Konfirmation einheitliche liturgische Gewänder, die so ähnlich aussehen wie eine Albe, und die von der Gemeinde für die Konfirmation zur Verfügung gestellt werden.
Wichtig ist mir dabei, dass dieser besondere Dienst nicht bedeutet, dass ich oder irgendjemand anderes dadurch etwas Besseres wird, bloß weil er oder sie so gekleidet ist. Niemand ist ein besserer oder schlechterer Christ aufgrund des Gewandes, das er im Gottesdienst trägt.
Bei all diesen Überlegungen wird mir deutlich: Kleidung ist etwas ganz Wichtiges. Immer wieder kommt uns dabei das Sprichwort in den Sinn: „Kleider machen Leute.“ Und die Geschichte vom Hauptmann von Köpenik ist ein wunderbares Beispiel dafür. Ebenso der weiße Arztkittel und die Uniform von Polizei und Feuerwehr. Aber auch die Diskussion um Schuluniformen in Deutschland zeigt, wie wichtig die Frage der Kleidung ist: wie andere mich sehen, wenn ich dieses – Markenklamotten – oder jenes – eine wenigstens auf den ersten Blick gleich machende Schulkleidung anhabe. Und wer sagt am Ende des Arbeitstages nicht gerne: „Raus aus der Arbeitskleidung – jetzt habe ich Feierabend!“ und wird damit fast zu einem andern Menschen?
Mit dem, was ich an Kleidung trage, kann ich aber auch deutlich machen, wie wichtig mir die Person ist, mit der ich etwas zu tun habe: Wer würde zum Vorstellungsgespräch in zerrissenen Jeans gehen, außer wenn er sagen will: „Mich interessiert die Stelle nicht!“? Warum tragen Bankangestellte immer Schlips und Kragen, wenn nicht deshalb, weil sie deutlich machen wollen und sollen: „Der Kunde, der mich sieht, soll das Gefühl haben, dass er mir wichtig ist und mir vertrauen kann.“ Und der Sonntagsstaat, als früher am Sonntag das Beste angezogen wurde, was man im Schrank hatte, sollte deutlich machen: „Gott, zu dem ich mich in die Kirche auf den Weg mache, ist das wichtigste in meinem Leben.“ Immer wieder wird deutlich, wie wichtig Kleidung in unserem Leben ist, was es ausmacht: gut angezogen zu sein oder in Lumpen gehen zu müssen; was es ausmacht, seine Kleidung zu wechseln.
Der Apostel Paulus schreibt in seinem Brief an die Gemeinde in Ephesus genau über dieses Phänomen der Kleidung und er bezieht es auf unseren Glauben. Im 4. Kapitel heißt es: "Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet. Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit." (Luther 1984)
Liebe Schwestern und Brüder!
Was Paulus da schreibt, nimmt unsere Wahrnehmung von Kleidung auf und führt sie in einem übertragenen Sinn weiter: Es gibt im Leben von uns Menschen einen Punkt und immer wieder Punkte, an denen wir unsere alte Kleidung ablegen und etwas Neues anziehen. Und dieser Kleiderwechsel macht uns zu anderen, zu neuen Menschen. Was wir wie Kleidung ablegen, das ist der alte Mensch mit allem, was nicht zu Gott passt und was Paulus mit dem Begriff „trügerische Begierden“ zusammenfasst: Die Bibel nennt das an vielen Stellen Abkehr von Gott oder Sünde. Und was wir wie Kleidung neu anziehen, ist bei Paulus mit den Begriffen „Gerechtigkeit“ und „Heiligkeit“ beschrieben, den neuen Menschen.
Wie das im Einzelnen aussieht, darauf geht Paulus im Folgenden ein; wichtig ist zunächst noch etwas anderes: Nicht wir schaffen etwas Neues durch unser Bemühen, einen Anforderungskatalog abzuarbeiten, den Gott uns vorlegen würde; nicht wir müssen uns zu dem Neuem geradezu quälen, um bei Gott etwas zu erreichen. Vielmehr ist der neue Mensch, zu dem uns Gott machen will, schon fertig – wir brauchen ihn nur noch anzuziehen, es ist Gottes Geschenk an uns: „Zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.“
Und wie geht das – den neuen Menschen anziehen? Es geschieht einmal ganz grundsätzlich und dann immer wieder auf eine etwas andere Weise. Um im Bild von der Kleidung zu bleiben: Wir werden von Gott einmal ganz neu eingekleidet; leider bekommt dann diese neue Kleidung immer wieder einmal Flecken und muss gewaschen werden, denn wie bei echter Kleidung gelingt es uns nicht, uns eine weiße Weste zu bewahren. Doch trotz aller Flecken, die es zwischendurch immer wieder einmal auf der Weste gibt, hört diese Weste nicht auf, grundsätzlich eine weiße Weste zu sein. So bleibt der neue Mensch, mit dem uns Gott bekleidet – trotz unserer menschlichen Fehler und Schwächen – einer, der in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit geschaffen ist.
Hinter dem Bild vom Anziehen des neuen Menschen steht für Paulus die Taufe: Wer getauft wird, zieht Christus an, schriebt er an anderer Stelle und beides passt gut zusammen, denn Jesus Christus ist der neue Mensch, der so lebt, wie Gott es von uns möchte. In der Taufe bekleidet uns Gott mit dem Wesen Christi und er beruft uns damit zu denen, die ihm geheiligt sind, er beruft uns zu Mitbürgern und Hausgenossen – im Gegensatz zu Gästen und Fremdlingen – er beruft uns seinen geliebten Kindern und Erben.
Wenn wir uns umziehen, neue Kleidung anziehen, dann sehen wir hinterher anders aus. Die Veränderung wird direkt sichtbar. An was erkennen wir aber den neuen Menschen, den wir in der Taufe neu angezogen haben? Es wird nicht direkt an unserer Gestalt sichtbar – außer, dass wir in der Gewissheit, von Gott geliebt zu sein, fröhlicher drein schauen können, als andere Menschen. Der neue Mensch als Grundkleidung eines Christen wird in der Art und Weise sichtbar, wie wir leben und wie wir vor allem miteinander umgehen.
Paulus hat da seine ganz eigenen Vorstellungen und er gibt sie der Gemeinde in Ephesus und damit auch uns weiter. Für ihn zeigt sich das Christsein, das Leben aus der Taufgewissheit heraus, vor allem im Verhalten der Christen zueinander. Paulus schreibt: "Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen und gebt nicht Raum dem Teufel. Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann. Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören. Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung. Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus." (Luther 1984)
Liebe Schwestern und Brüder!
Sollte uns das so gelingen, wie Paulus es schreibt, wäre es ein ganz besonderes Zeichen von Segen und gelingendem Leben. Ein ganz besonderer Schwerpunkt ist für Paulus in diesem Abschnitt das gesprochene Wort: Er weist auf Lüge hin, auf Zorn und faules Geschwätz, das es allem Anschein nach auch in Ephesus gegeben hat. Und er stellt dem die Wahrheit und das aufbauende Wort ebenso gegenüber wie Freundlichkeit, Herzlichkeit und Vergebung.
Auch heute können wir auf uns selbst sehen und unser Leben bedenken: wie wir mit denen umgehen, mit denen wir tagtäglich zusammen sind: Eltern und Kinder, Schüler und Lehrer, Arbeitskollegen, Freundinnen und Freunde. Welcher Ton herrscht vor?
Leider zeigt die Erfahrung des menschlichen Lebens, dass es im Alltäglichen gar nicht so einfach ist, das Kleid der Heiligkeit und der Gerechtigkeit sauber zu halten. Schon bei der Frage nach dem Familienton werden wir oft genug ins Nachdenken kommen. Gott gibt uns allerdings immer wieder neu die Möglichkeit, zu ihm umzukehren und mit ihm neu anzufangen. Seine Güte – so haben wir es zu Beginn gesungen – ist jeden Morgen neu, seine Hinwendung und Liebe zu uns hängt nicht von unserem Wohlverhalten ab. Und ich sage aus tiefstem Herzen: Gott sei Dank dafür.
Trotzdem ist es nicht egal, wie wir leben. Die Reinigung der weißen Weste, der herrlichen Kleidung der Gerechtigkeit und Heiligkeit ist keine Selbstreinigung, die automatisch vor sich ginge und ohne dass wir sie spüren würden. Die Flecken haben Folgen und diese Folgen lähmen uns, und lassen uns den Halt verlieren, sodass wir nicht mehr aufrecht vor Gott stehen können – so wie es dem Gelähmten ergangen ist, den seine Freunde zu Jesus gebracht haben. Jesus aber hat das Bedrängendste im Leben dieses Menschen gesehen und ihm seine Sünden vergeben. Was wird sein Leben weiter bestimmen? Was wird unser Leben weiter bestimmen? Paulus schreibt: „Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.“
Liebe Schwestern und Brüder!
Es geht Paulus darum, dass unsere Taufwirklichkeit bei uns selbst zu einer Taufgewissheit wird, aus der heraus dann wie ganz selbstverständlich etwas sichtbar wird: in der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. Ein Gebet aus der Kommunität in Iona in Schottland bittet um dieses Geschehen in eindrucksvollen Worten: Gott, Nimm mich an, so wie ich bin, forme ich nach deinem Bild, drück dein Siegel auf mein Herz und lebe in mir. Amen.