Predigt am 1. Advent 2010 über Jeremia 23,5-8

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Damit wir mit etwas neu anfangen können, brauchen wir einen Standpunkt, von dem aus wir mit dem Neuen beginnen. Auch heute beginnt etwas Neues – für manche ist es vielleicht überraschend, für andere weniger: Wir beginnen ein neues Jahr – nicht mit Böllern, Raketen und Sekt, sondern in unserem Glauben, ein neues Kirchenjahr. Auch wenn wir jedes Jahr aufs neue Advent und Weihnachten feiern und dann später im Kirchenjahr Passion und Ostern und Pfingsten, sind wir ja nicht mehr dieselben, die wir vor einem Jahr waren oder vor zwei oder drei oder vier Jahren. Wir treffen zwar jedes Jahr einen bestimmten Punkt wieder, aber auf einer anderen Stufe.

Und so beginnen wir heute eben auch wieder ein neues Kirchenjahr, ein Jahr weiter als letztes Jahr und wir werden feststellen: Es hat sich unendlich viel verändert, seit wir vor einem Jahr den 1. Advent gefeiert haben: Wir haben uns verändert, die Menschen um uns haben sich verändert, die politische, die soziale und auch die kirchliche Situation haben sich verändert. Ja, auch unser Verhältnis zu Gott wird sich verändert haben – bei manchen mehr, bei anderen weniger.

Da ist es gut, am Anfange des neuen Kirchenjahres innezuhalten. Der Schwerpunkt des Nachdenkens liegt aber nicht so sehr wie zu Sylvester auf den Hoffnungen oder Befürchtungen, die wir für uns haben. Der Schwerpunkt an diesem adventlichen Jahresanfang liegt auf der Frage nach dem Glauben: Was macht unseren Glauben aus – für jede und jeden einzeln und für uns als Gemeinde und Kirche? Was empfinden wir, wenn wir die Verheißung von Sacharja hören: „Siehe, dein König kommt zu dir!“ – Ist es nur Wiederkehr des Altbekannten oder Weckruf, der uns elektrisiert und voran bringt?

Was macht unseren christlichen Glauben aus? Welche Richtung hat er? Für viele Menschen ist der Glaube etwas, was sie mit der Vergangenheit verbindet: mit dem, was vor etwa 2000 Jahren war mit den Ereignissen um Jesus von Nazareth, aber auch mit dem, was vor 2500 oder 3000 Jahren war mit den Ereignissen um das Königreich Davids, dem Exil und der Rückkehr daraus; schließlich auch mit dem, noch einmal lange vorher war mit den Ereignissen um Mose beim Auszug aus Ägypten und den Geschichten um Abraham, Isaak, Jakob und Josef.

Von alledem erzählt uns die Bibel, manchmal auf etwas eigenwillige Art und Weise, aber immer davon, was Gott damals getan hat, wie er für sein Volk da war, wie er ihm auch gezürnt hat und es verstoßen wollte und es dann doch nicht getan hat. Trotzdem haben viele Menschen dann ein Problem, wenn die historische Wissenschaft herausfindet, dass dieses oder jenes Detail, das in der Bibel berichtet wird, so nicht stimmen kann. Dann bekommen es Menschen plötzlich mit der Angst zu tun, weil sie meinen, Glaube hätte allein etwas mit historischer Wahrheit zu tun: „Wenn es nicht genau so und so gewesen ist, wie es die Bibel beschreibt, dann verliere ich meinen Glauben.“ Solche Sätze kenne ich dem Sinn nach von manchen Menschen. Aber christlicher Glaube ist nicht einfach nur mit historisch-kritischen Maßstäben zu beschreiben und als wahr oder unwahr zu bestätigen.

Für sehr viel weniger Menschen hat Glaube etwas mit Zukunft zu tun. Natürlich kommt im Glaubensbekenntnis auch vor, dass wir an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben glauben, aber sehr viel mehr steht da nicht drin; und auch in den Büchern der Bibel kommt der Blick in die Zukunft eher selten vor; die Rede Jesu über die Endzeit ist da ebenso eine Ausnahme wie das Buch der Offenbarung des Johannes, aber das ist das Buch mit den buchstäblichen sieben Siegeln und wir wissen gar nicht so recht, was wir damit anfangen sollen. Trotzdem bleibt es ein unaufgebbarer Bestandteil unseres Glaubens, dass Jesus wiederkommen wird, dass wir eine Zukunft haben, weil Gott auf uns zukommt. Denn Zukunft ist nicht festgelegt wie die Vergangenheit, sondern offen: Was kommt, wissen wir nicht, auch nicht wann. Aber als Christen wissen wir, wer kommt. Und das ist das Entscheidende.

Das ist es, was ich an der Schwelle zu diesem neuen Kirchenjahr in den Mittelpunkt stellen möchte: Gott kommt! Er ist im Kommen und zwar auf uns zu, er ist unsere Zukunft. Von dort haben wir etwas zu erwarten, darauf gehen wir zu. Von der Vergangenheit entfernen wir uns immer mehr, aber auch die Zukunft gehen wir zu – und Gott kommt uns entgegen.

Ich bin nicht der Einzige, dem das wichtig ist: dass der Blick in die Vergangenheit uns nicht immer vorwärtshilft, sondern uns auch, ja oft genug an diese Vergangenheit zu fesseln droht. Immer wieder haben Menschen darauf hingewiesen, dass es darauf ankommt, was wir von Gott erwarten. Schon vor etwas 2500 Jahren war da einer, der im Kommenden das Heil gesehen hat und nicht in der einseitigen Sicht auf die Vergangenheit. Seine Worte an Gottes Volk damals waren:
http://www.die-bibel.de/nc/online-bibeln/luther-bibel-1984/lesen-im-bibeltext/bibelstelle/Jer%2023,5-8/anzeige/context/#iv
So hat Jeremia der Prophet gesprochen – in Zeiten, die an Unsicherheit in gesellschaftlicher und politischer Hinsicht nicht zu überbieten waren, aber auch in religiöser Hinsicht nicht: In den Wirren rund um die Eroberung Jerusalems durch die Babylonier. Allem Anschein nach hatten sich viele Menschen mit den immer gleichen Worten auf die große Tradition des Auszugs Israels aus Ägypten berufen.

Und doch drohte diese Tradition ihre Wirkmächtigkeit zu verlieren. Zu groß war die Verunsicherung auf der einen Seite geworden. Zu groß war aber auch auf der anderen Seite die Abkehr von dieser Tradition geworden, denn Recht und Gerechtigkeit lagen am Boden. Der Auszug aus Ägypten hatte bedeutet: Ein Leben in Freiheit, das von einem ganz besonderen Miteinander geprägt sein sollte, wo es kein Unrecht geben sollte – das war gescheitert. In den Augen Jeremias an einem Verhältnis zu Gott, das sich nur seiner Vergangenheit bewusst war und damit die Verantwortung für Gegenwart und Zukunft verloren hatte.

Und so setzt er im Auftrag Gottes einen neuen Akzent und setzt alles auf die Karte „Zukunft“. Allerdings nicht nach dem Motto: ‚Alles wird einfach nur gut.‘ Denn in seiner Vision von dem Nachkommen Davids schwingt natürlich eine unglaublich massive Kritik an der Gegenwart mit: Warum sollten Recht und Gerechtigkeit bei dem neuen Herrscher so wichtig sein, wenn es genau damit nicht im Argen liegen würde? Und wie um mit der ganzen schiefgelaufenen Vergangenheit abzuschließen, wird von Gott durch Jeremia ein neues Glaubensbekenntnis geprägt: Nicht mehr der gewesene Auszug aus Ägypten soll das Entscheidende sein, sondern die zukünftige Heimkehr aus dem Exil wird die Glaubensgrundlage sein. Zukunft statt Vergangenheit!

Aus der Sicht des christlichen Glaubens hat sich die Verheißung Jeremias erfüllt und gleichzeitig eine ähnliche Umwertung aller Glaubenswerte noch einmal hervorgerufen, als mit der Geburt und dem Tod, dem Sterben und der Auferstehung Jesu Christi ein noch einmal ganz anderer Zugang zu Gott eröffnet wurde. Jeremias Worte könnten auf Jesus bezogen dann so geheißen haben: Dann wird man sagen: So wahr der Herr lebt, der uns in Jesus Christus sein liebendes und menschliches Gesicht gezeigt hat und durch ihn alle Menschen zu sich ruft.

Und Jesus hätte die Worte Jeremias noch einmal aufnehmen und sagen können: „So wahr mein Vater lebt, der den Seinen bei sich eine Zukunft bereitet und geschenkt hat: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“

Nur so macht es einen Sinn, dass wir Weihnachten und Ostern feiern: Wenn wir diese Feste nicht nur wie liebgewordene Erinnerungsstücke aus der Vitrine unseres Lebens holen, um sie einmal im Jahr abzustauben und uns so in eine heimelige Stimmung versetzen; nur so machen Weihnachten und Ostern Sinn: wenn wir diese Feste und alles andere, was Jesus Christus ausgemacht hat, als Hinweise darauf sehen, dass sein Kommen damals nur das erste Kommen war – vor dem zweiten, dem endgültigen Kommen; nur so machen Weihnachten und Ostern Sinn: dass die Erwartung der Zukunft unser Leben in der Gegenwart bestimmt.

Nur so macht es einen Sinn, dass wir die Gegenwart Jesu im Abendmahl feiern: weil wir darin nicht nur die Erinnerung an das sehen, was damals mit Jesus passiert ist – das ist und bleibt ebenso wichtig wie der Auszug der Israeliten aus Ägypten. Aber wir sollen darin eben auch das uns schon jetzt geschenkte Heil schmecken, sehen und erfahren, damit es uns stärkt auf dem Weg durch die Zeit und uns unserer Zukunft bei Gott gewiss macht.

Was macht unseren Glauben aus – für jede und jeden einzeln und für uns als Gemeinde und Kirche? Was empfinden wir, wenn wir die Verheißung von Sacharja hören: „Siehe, dein König kommt zu dir!“ – Ist es nur Wiederkehr des Altbekannten oder Weckruf, der uns elektrisiert und voran bringt? Ich wünsche uns allen, dass wir von der offenen Zukunft, die Gott für uns bereit hält, mit Freude und Zuversicht erfüllt werden, die uns jetzt Christen sein lässt, die Recht und Gerechtigkeit leben.
Amen.

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