Predigt am 4. Advent über 1. Chronik 16,7-22

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Bemühen im Reden und Hören. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Jetzt ist es bald so weit. Bis Weihnachten dauert es jetzt wirklich nicht mehr lange. Nur noch 6 Tage; nur noch 6 Mal Schlafen. Oder wie immer sich Menschen die Zeit klein reden, bis die Warterei endlich geschafft ist. Kleine und auch noch viele schon ganz große Kinder werden immer aufgeregter vor Erwartung: Was wird es wohl dieses Jahr unter dem Weihnachtsbaum geben?

Doch eigentlich gibt es gar keine Überraschung. Denn das, was es an Weihnachten wirklich gibt, ist ja schon seit über 2000 Jahren bekannt: Gott wird Mensch. – Ich weiß nicht, ob die Erwartung, mit der viele Menschen auf das Weihnachtsfest zugehen, ähnlich hoch wäre wie heute, wenn es nie dazu gekommen wäre, dass sich die Menschen auch gegenseitig etwas schenken. Würde das Kind in der Krippe, würde die Freuden- und Friedensbotschaft der heiligen Nacht ausreichen, um uns in Hochstimmung zu versetzen?
Wie es bei uns – bei jeder und jedem von uns wohl sein würde – diese Frage will und muss ich offen lassen. Das müssen wir alle für uns selbst entscheiden. Ich kann bei dieser Frage nur auf das sehen, was uns von Menschen berichtet wird, die es erlebt haben: dass Gott ihnen ganz nahe gekommen ist.

Ich sehe Paulus vor mir, der so wie wir dem Menschen Jesus nie begegnet ist und für den es auch kein Weihnachten gab. Paulus war direkt vom auferstandenen angesprochen worden und von ihm beauftragt worden, die frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu den Menschen weiterzusagen, die in Jesus Christus erschienen ist. Und das hat er dann auch wie kaum ein Zweiter getan. Auch sein Brief an die Gemeinde in Philippi ist von dieser Gottesbegegnung durchdrungen; ist von der Nähe geprägt, die er selber erfahren hat: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!“ Glücklicherweise hat uns Paulus gleich noch mit dazu geschrieben, wie es geht: In allem – in den traurigen Dingen ebenso wie in den heiteren Momenten des Lebens – sollen wir uns an Gott wenden: mit Danken und Bitten, mit Klagen über unser Unglück und mit dem Jubel des Gelingens auf den Lippen. So hat es Paulus selber auch gehalten. Er war nicht nur der Theologe des Urchristentums, er war mindestens ebenso sehr einer der größten Beter, die das Christentum hatte.

Dann sehe ich Zacharias und Elisabeth vor mir: die Eltern von Johannes dem Täufer. Wie wunderbar muss es für die von so vielen verachtete Elisabeth gewesen sein, doch noch ein Kind zu bekommen; wie erschütternd und erhebend zugleich muss es für Zacharias gewesen sein, als er seine Begegnung mit dem Engel hatte und feststellen musste: Gott ist mir so nah, dass es mir die Sprache verschlägt. Zacharias stimmt dann nach der Geburt des Johannes und der Namengebung, als er wieder sprechen kann, seinen großen Lobgesang an. Es ist eines der ganz großen Gebete der Christenheit geworden, das vom Besuch Gottes bei seinem Volk erzählt und der Bewahrung vor den Mächten der Finsternis. Gott besucht sein Volk – nicht auf Stippvisite, sondern gründlich. Welch ein Grund, zu beten und zu singen.

Ich sehe Maria vor mir. Da kommt auch zu ihr dieser Engel, der ihr den Sohn Gottes als ihren Sohn ankündigt; sie findet bei ihrem Besuch bei Elisabeth, die Ankündigungen dieses Engels bestätigt und sie weiß plötzlich, dass sie selbst – sie, dieses unscheinbare 13/14-jährige Mädchen, ein Sandkorn am Sandstrand des Lebens – dass sie von diesem Gott angesehen wurde, dass sie bei diesem Gott Ansehen hat. Gott ist ihr auf unvergleichliche Weise nahegekommen und sie singt ihre Freude darüber in die Welt hinaus, ohne die Welt mit all ihrer Ungerechtigkeit, ihrer Not und ihrer Traurigkeit dabei zu vergessen. Ganz im Gegenteil: in der Erfahrung von Gottes Nähe wird für sie schon Wirklichkeit, was mit dem Beginn von Gottes Reich erst seine endgültige Gestalt gewinnen wird: die Erlösung der Unterdrückten, Verlassenen und Vergessenen.

Für Paulus und Zacharias, für Elisabeth und Maria ist dieser Gott auf so wunderbare Weise nahe gekommen. Und sie können davon nicht schweigen. Sie sind so erfüllt von dieser Nähe, dass sie erzählen, sagen, ja sogar singen müssen.

Andere haben noch ganz anderes getan, als sie sich der Nähe Gottes bewusst geworden sind. Ich denke an David, der trotz seiner Fehler zu einem der Größten in Israel wurde. Er wollte so gerne seinem Gott eine Heimat bieten, wollte ihn gerne ganz nahe haben. Den Jerusalemer Tempel hat aber erst sein Sohn Salomo gebaut. Für David gab es etwas anderes, um die Nähe Gottes zu erfahren. Seit der Wüstenwanderung des Volkes Israel, als Gott seinem Volk die 10 Gebote gegeben hatte, wurden die beiden Steintafeln mit den Geboten in der Bundeslade aufbewahrt und transportiert. Es war eine Art Truhe, in der die Tafeln lagen. Und sie hieß Bundeslade, weil die Tafeln an den Bund erinnerten, den Gott mit seinem Volk am Sinai geschlossen hatte.

Irgendwann im Lauf der Jahrhunderte war die Bundeslade aber in Vergessenheit geraten; David holte sie ins Bewusstsein zurück. Und als er Jerusalem zu seiner Hauptstadt gemacht hatte, brachte er sie dorthin, um so die Nähe Gottes zu ihm zu bezeugen. Der Einzug der Lade war ein großes Fest und David führte den Festumzug an. Er schritt aber nicht langsam und würdevoll vor der Lade her, sonder er tanzte vor ihr her. (Sehr zum Verdruss seiner Frau, die das als eines Königs unwüdig ansah.) Aber das machte David nichts aus, er tanzte. Und als die Lade in dem Zelt untergebracht war, das bis zur Fertigstellung des Tempels ihr Zuhause sein sollte, wurde ein großes Opferfest gefeiert, bei dem die Priester die Dankbarkeit und die Freude über die Nähe Gottes im Auftrag und mit Worten Davids besingen sollten. Sie werden es ahnen: Dieser Gesang ist der Predigttext für den heutigen Sonntag, aus dem 1. Buch der Chronik, im 16. Kapitel:

7 Zu der Zeit ließ David zum ersten Mal dem HERRN danken durch Asaf und seine Brüder: 8 Danket dem HERRN, ruft seinen Namen an, tut kund unter den Völkern sein Tun! 9 Singet und spielet ihm, redet von allen seinen Wundern! 10 Rühmet seinen heiligen Namen; es freue sich das Herz derer, die den HERRN suchen! 11 Fraget nach dem HERRN und nach seiner Macht, suchet sein Angesicht allezeit! 12 Gedenket seiner Wunder, die er getan hat, seiner Zeichen und der Urteile seines Mundes, 13 ihr, das Geschlecht Israels, seines Knechts, ihr Söhne Jakobs, seine Auserwählten! 14 Er ist der HERR, unser Gott, er richtet in aller Welt. 15 Gedenket ewig seines Bundes, des Wortes, das er verheißen hat für tausend Geschlechter, 16 den er gemacht hat mit Abraham, und seines Eides, den er Isaak geschworen hat, 17 den er Jakob gesetzt hat zur Satzung und Israel zum ewigen Bund 18 und sprach: Dir will ich das Land Kanaan geben, das Los eures Erbteils. 19 Als sie noch gering an Zahl waren, wenige und Fremdlinge im Lande, 20 da zogen sie von einem Volk zum andern und von einem Königreich zum andern. 21 Er ließ niemand ihnen Schaden tun und wies Könige zurecht um ihretwillen: 22 Tastet meine Gesalbten nicht an, und tut meinen Propheten kein Leid! (Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart)

Hier wie an vielen anderen Stellen in der Bibel stehen zwei Worte im Mittelpunkt, die ganz eng miteinander verbunden sind: danken und gedenken. David, Asaf und seine Brüder wissen um das Geheimnis von der Nähe Gottes: Nur im Gedenken an Gottes Taten, an den Weg, den Gott seit Abraham mit seinem Volk gegangen war, würde das Vertrauen auch in der Gegenwart und in der Zukunft bestehen bleiben. Nur im Danken für Gottes Nähe, für die Bewahrung durch ihn würde das Vertrauen in ihn auch weiter groß sein und auch durch schwierige Zeiten hindurch tragen.

Danken und Gedenken – weil und wie Gott uns nahe ist. Für David und seine Zeit ging es um das verheißene Land in Palästina. Jesus hat den Seinen dann den Blick geweitet und ihnen und damit auch uns das Reich Gottes eröffnet. Durch unsere Taufe ist der Gott Israels mit seinen Verheißungen uns zum Vater geworden, wir sind seine Kinder und Erben; wir sind seine Gesalbten und seine Propheten und wir stehen unter seinem Schutz, und wir sind gerufen, seine Propheten zu sein und seine Nähe zu bezeugen.
Zacharias und Maria haben das auch getan: sie haben gesungen von der Gnade und der Nähe des Herrn. Manche können das nicht ganz so gut; aber dafür können sie anderes, wie der Mensch, von dem ich jetzt erzählen möchte, der David so ähnlich war.

Es war einmal ein Gaukler, der tanzend und springend von Ort zu Ort zog, bis er des unsteten Lebens müde war. Da gab er alle seine Habe hin und trat in das Kloster zu Clairveaux ein. Aber weil er sein Leben bis dahin mit Springen, Tanzen und Radschlagen zugebracht hatte, war ihm das Leben der Mönche fremd, und er wusste weder ein Gebet zu sprechen noch einen Psalter zu singen.
So ging er stumm umher, und wenn er sah, wie jedermann des Gebetes kundig schien, stand er beschämt dabei: Ach, er allein, er konnte nichts. „Was tu ich hier?“ sprach er zu sich, „ich weiß nicht zu beten und kann mein Wort nicht machen. Ich bin hier unnütz und der Kutte nicht wert, in die man mich kleidete.“
In seinem Gram flüchtete er eines Tages, als die Glocke zum Chorgebet rief, in eine abgelegene Kapelle. „Wenn ich schon nicht mitbeten kann im Konvent der Mönche“, sagte er vor sich hin, „so will ich doch tun, was ich kann.“ Rasch streifte er das Mönchgewand ab und stand da in seinem bunten Röckchen, in dem er als Gaukler umhergezogen war. Mit Leib und Seele zu tanzen, vor- und rückwärts, links herum und rechts herum. Mal geht er auf seinen Händen durch die Kapelle, mal überschlägt er sich in der Luft und springt die kühnsten Tänze, um Gott zu loben.
Ein Mönch war ihm aber gefolgt und hatte durch ein Fenster seine Tanzsprünge mitangesehen und heimlich den Abt geholt. Am anderen Tag ließ dieser den Bruder zu sich rufen. Der Arme erschrak zutiefst und glaubte, er solle des verpassten Gebetes wegen gestraft werden.
Also fiel er vor dem Abt nieder und sprach: „Ich weiß, Herr, dass hier meines Bleibens nicht ist. So will ich aus freien Stücken ausziehen und in Geduld die Unrast der Straße wieder ertragen.“ Doch der Abt neigte sich vor ihm, küsste ihn und bat ihn, für ihn und alle Mönche bei Gott einzustehen: „In deinem Tanze hast du Gott mit Leib und Seele geehrt. Uns aber möge er alle wohlfeilen Worte verzeihen, die über die Lippen kommen, ohne dass unser Herz sie sendet.“

„Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!“ – Die freudige Erwartung von Weihnachten, von der Geburt Jesu im Stall, von Gottes Nähe zu uns Menschen ist keine Sache der Geschenke, des guten Essens oder der Familie; das gehört alles irgendwie mit dazu und ist wunderschön. Aber es ist nicht das Entscheidende. Weihnachten ist im Sinne Davis eine Sache des Dankens und des Gedenkens, es ist so eine Sache des Herzens, unseres je eigenen Herzens, in dem Jesus Christus geboren werden soll – so wie es der Apostel Paulus als Segen schreibt: Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
(Die Geschichte vom Gaukler stammt aus dem Buch "Schenk dir Zeit. Texte-Bilder-Lieder", herausgegeben von Christiane Olbrich im Ev. Presseverband für Baden e.V. Karlsruhe; 4. Auflage 1999.)

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