Der vollständige Text zum Lied ist zum Beispiel hier zu finden: http://www.zeno.org/Literatur/M/Gerhardt,+Paul/Gedichte/Gedichte/Fröhlich+soll+mein+Herze+springenGnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Bemühen im Reden und Hören. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus an diesem frühen Weihnachts-Morgen!
Fröhlich soll mein Herze springen. Die Geburt des Heilandes steht im Mittelpunkt des Weihnachtsfestes. Die meisten haben es am Heiligen Abend schon gehört, was der Engel den Hirten und allen Menschen verkündet hat: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ Dieses Ereignis war und ist Grund genug sich zu freuen: Die Hirten machten sich voll Freude auf und auch uns ergreift gut 2000 Jahre nach den Ereignissen eine ganz eigenartige, große Freude.
Die Lieder zur Weihnachtszeit zeigen das ganz besonders. Einer, der unserer Freude auf ganz besondere Weise Worte gegeben hat, ist der Dichter und Pfarrer Paul Gerhardt gewesen. Drei Lieder zur Weihnachtszeit im Stammteil des Gesangbuches und ein weiteres in unserem westfälischen Anhang stammen von ihm. Das früheste von diesen Liedern ist „Fröhlich soll mein Herze springen“. Und es hat – wie so oft bei Paul Gerhardt – mehr Strophen, als im Gesangbuch stehen. Das Lied gliedert sich in den Ablauf des Gottesdienstes ein. Nur die beiden Antwortgesänge auf die Lesung aus dem Alten Testament und die Epistel kommen aus einer anderen Feder.
Ich möchte an diesem Morgen dem nachspüren, was uns Paul Gerhard mit seinem Lied nahe bringen will, denn er ist ein Dichter gewesen, der es wie kaum ein anderer verstanden hat, die Berichte der Bibel zu übertragen und auf die Menschen in ihrer Gegenwart zu beziehen: Was heißt das für jede und jeden von uns, wenn im Lukasevangelium von dieser besonderen Nacht berichtet wird?
„Fröhlich soll mein Herze springen.“ – Schon die Struktur der Strophen, wie ich sie auf dem Extrablatt aufgeschrieben habe, führt uns zum Tanzen: Die einzelnen Verse haben zunächst vier Hebungen, dann zwei mal zwei und schließlich einmal drei Hebungen; Paul Gerhardt hat dieses Versmaß erfunden und durch die gewollte Unregelmäßigkeit bekommt der ganze Text etwas Hüpfendes und Springendes, was durch die Melodie noch verstärkt wird.
„Fröhlich soll mein Herze springen.“ Schon mit der ersten Zeile wird es deutlich: das, was da an Weihnachten, in dieser geweihten Nacht geschehen ist, hat nicht nur mit der unbestimmten Masse der ganzen Weltbevölkerung zu tun – es sind inzwischen ja viele Milliarden Menschen, denen die frohe Botschaft des Engels gilt. Nein, so groß der Kreis derer ist, an die sich der Engel wendet, so bestimmt ist auch jede und jeder einzelne Mensch angesprochen: „Fürchte dich nicht, denn heute ist dein Heiland geboren.“ Als Beweis wird der Chor der Engel angeführt, die damals in der Nacht das „Ehre sei Gott in der Höhe“ gesungen haben, das für Paul Gerhardt immer noch zu hören ist: „Hört, hört, wie mit vollen Chören alle Luft laut ruft“ Himmlische Chöre und irdischer Gesang vereinen sich zum Lob des Schöpfers, zu einem einzigen Freudenruf: „Christus ist geboren!“
Ein Jubelruf – was er bedeutet, wird in den kommenden Strophen entfaltet: Der erste Teil der zweiten Strophe ist ganz von der strahlenden Macht des Retters geprägt; so haben sich die Menschen diesen Messias vorgestellt: ein strahlender Held, der aus den göttlichen Wohnungen kommt, um nichts Geringeres zu tun, als die ganze Welt zu retten. Er tut es wirklich, braucht nicht erst noch 158 Mails checken wie Tim Benzko, der nur meint, an ihm würde alles hängen.
Und: der Held Gottes bleibt nicht der Überflieger, der nur die ganze Welt im Auge hat und dabei die einzelnen Menschen übersieht oder vergisst. Paul Gerhardt hatte – der 30-jährige Krieg ist, als er dieses Lied dichtet, gerade 5 Jahre vorbei – Paul Gerhardt hatte genügend Weltverbesserer erlebt, vor allem militärische Machthaber, die alle den Sieg versprochen und doch nur Elend gebracht hatten. So wendet sich das weltumspannende Erlösungswerk Gottes sich direkt an den Menschen: „Gott wird Mensch, dir Mensch zugute.“ Der Beweis dafür ist das Kind in der Krippe, in dem sich Gott mit uns, mit unserem Blut verbindet. Kein Knall und der Retter steht da – kein Lohengrin, der auf dem Schwan daherkommt, um ebenso wieder zu verschwinden. Gott wird Mensch, ganz Mensch.
Nach diesen beiden Eröffnungsstrophen wendet sich Paul Gerhardt in seiner Betrachtung in den nächsten vier Strophen den Singenden zu, den angesprochen Menschen – also uns und unserem Verhältnis zu Gott – zunächst in rhetorischen Fragen: Kann dieser Gott ein böser Gott oder ein harter Gott sein, der seine Kinder hasst? Welcher Vater, der diesen Namen und Titel eines Vaters wirklich verdient, würde sein Liebstes, sein Kind hergeben? Gott will das Wohl seiner Kinder – und das sind wir – wir, von denen der Schreiber des 1. Johannesbriefes eben dies schreibt: „Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen dürfen – und wir sind es auch.“ Gott bleibt nicht, um in den alten Bildern zu reden, auf seinem Thron, in weiter Ferne – unnahbar – er wird Mensch, dir Mensch zugute – als Kind.
So schildert Paul Gerhardt es auch noch einmal in der vierten Strophe, diesmal aus einer neuen Sicht: Wenn Gott uns sein Reich öffnet, kann er sich dann von uns abgewendet haben? Wenn Christus uns liebt und uns unsere Sorgen abnimmt, warum sollte er uns nicht lieben? Die großen Schicksalsschläge, die Menschen erfahren und sie an der Güte Gottes zweifeln lassen, will Paul Gerhard bearbeiten. Fragen, die auch uns immer wieder beschäftigen. Und auch mit der fünften Strophe setzt er seine Fragen fort: Wenn es in den Augen der Menschen sinnlos oder schädlich gewesen wäre, Gott hätte einen anderen Weg zu den Menschen gefunden, als Mensch zu werden. In der sechsten Strophe schließlich nimmt Paul Gerhardt direkten Bezug auf das Kreuzesgeschehen. Es steht unsere Schuld, die der ganzen Welt, im Mittelpunkt und schon jetzt in der weihnachtlichen Freude klingt das Leiden des Kreuzes an: so wie in unseren Kirchen das Kreuz in der Weihnachtszeit auch nicht abgenommen und durch eine Krippe ersetzt wird. Es bleibt vielmehr allgegenwärtig. Und damit bleibt auch das allgegenwärtig, für das das Kreuz steht: Jesus, das Kind in der Krippe, ist dazu bestimmt, das Lamm Gottes zu sein, das die Sünde der Welt trägt und uns dadurch frei macht von allem, was Tod und Gefangenschaft heißt.
Die siebte Strophe bringt uns zurück zum Krippengeschehen, zurück zu Weihnachten: hin zu dem Kind, das schon jetzt jeden einzelnen anspricht, dich und mich. Paul Gerhardt legt diesem Kind Worte in den Mund, die eine Auslegung dessen sind, was Jesus später einmal zu den Menschen sagen wird: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Lasset fahrn, o liebe Brüder, was euch quält, was euch fehlt, ich bring alles wieder.“
Was könnte anderes folgen als die Aufforderung, zur Krippe zu kommen. Ich weiß nicht, ob es den vielen Menschen bewusst ist, die – vielleicht nur – am Heiligen Abend in die Kirche kommen, dass sie die Worte von Paul Gerhardt erfüllen: „Stellt euch ein groß und klein, eilt in großen Haufen, […] schaut den Stern, der euch gern, Licht und Labsal gönnet.“ Wer weiß, was in den Menschen geschieht, wenn sie die vertrauten Worte des Engels und der ganzen Weihnachtsgeschichte hören. Ich will gerne darauf vertrauen, dass Gott die Menschen auch in diesem einen Moment am Heiligen Abend erreicht durch allen Vorbereitungsstress und alle Schwierigkeiten hindurch, die sonst noch da sein mögen.
Die weihnachtliche Freude, die das Herz springen lassen soll, ist für Paul Gerhardt ja keine bloße Hurra-Freude, die nur aus Freudengeschrei und seichter Unterhaltung besteht. Die Jahre, bevor er dieses Lied gedichtet hat, waren keine einfachen Jahre, das Land hatte immer noch unter den Nachwirkungen des 30-jährigen Krieges zu leiden, viele Landstriche waren durch Krankheiten fast entvölkert. Not und Elend herrschten weithin, viele fühlen sich mit Schuld beladen und waren der Verzweiflung nahe. Ihnen wird diese Aufforderung in den Strophen acht bis elf, die heute wohl nicht zu den meist gesungenen gehören, damals aus der Seele gesprochen haben. Aber auch heute werden manche, die in der Weihnachtszeit das Gesangbuch zur Hand nehmen, diese Zeilen wichtig werden. Was nützt die Aufforderung, das Herz fröhlich springen zu lassen, wenn die Aufforderung die Menschen zunächst gar nicht erreicht? Weil sie in ihrem Leid und in ihrer Schuld meinen, sie dürften sich gar nicht angesprochen fühlen? Die Strophen nehmen noch einmal die Worte des Kindes in der Krippe der siebten Strophe auf und entfalten sie: „Lasset fahrn, o liebe Brüder, was euch quält, was euch fehlt, ich bring alles wieder.“
Leid und Schmerz sind nicht weg; das, was das Herz beschwert, löst sich nicht in Wohlgefallen auf. Das ist der Unterschied zu vielen anderen Religionen, die mit einem Schwupp alles wegwischen wollen. So wie die Hirten in Bethlehem nach der Weihnachtsnacht nicht plötzlich Menschen waren, die keine Sorgen mehr hatten, so lösen sich Leid und Trauer nicht in Luft auf, bloß weil Weihnachten ist. Aber so wie den Hirten durch die Botschaft der Engel eine neue Zukunft eröffnet worden ist, so will auch dieses Kind in der Krippe den Menschen helfen, ihr Leid, ihre Schuld und ihren Schmerz zu tragen und zu überwinden. Die Wunden in den Herzen sollen geheilt werden. „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“
Die letzten vier Strophen wechseln noch einmal die Perspektive: Sie sind ein Bekenntnis des singenden Menschen und geben so Antwort auf die Botschaft von Weihnachten: Das Kind in der Krippe ist der Garant für das eigene Leben: Keine Schuld muss den singenden Menschen niederdrücken, weil Jesus uns diese von unserem Rücken nimmt. Ja viel mehr noch: Er überkleidet uns mit Ehre und Schmuck, er zieht uns das Ehrenkleid der Kinder Gottes an.
So wird alles zusammengeführt, zurück auf die Herzen der singenden Menschen, die eben nicht nur Springen sollen vor Freude, sondern dieses Kind auch in sich aufnehmen. Damit öffnet sich auch der Blick hinaus in die Zukunft, auf die Zeit nach Weihnachten.
Paul Gerhardt schließt sein Lied noch einmal mit einem Blick auf das, was hier für uns noch nicht greifbar ist, auf das, was mit der Geburt im Stall begonnen hat und das uns für dereinst verheißen ist: Die ungefährdete und unbegrenzte Freude über das Sein bei Gott: „mit dir will ich endlich schweben, voller Freud ohne Zeit, dort im andern Leben.“ Aus dieser Verheißung heraus leben wir heute und jetzt in diesem Leben. „Gott wird Mensch, dir Mensch, zugute, Gottes Kind, das verbind‘t sich mit unserm Blute.“ Davon singen die Engel in dieser Zeit. Die weihnachtliche Freude darüber, die unser Herz fröhlich springen lassen soll, ist der Vorgeschmack auf die ewige Freude, die dann voller Freud und ohne Zeit sein wird. Möge auch Euch das Herz fröhlich springen, denn: Hört, hört, wie mit vollen Chören, alle Luft laute ruft: Christus ist geboren. Amen.