Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Bemühen im Reden und Hören. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
„Wann reißt der Himmel auf? – Auch für mich, auch für mich? Wann reißt der Himmel auf? – Auch für mich, auch für mich?“ So singt die Band Silbermond auf ihrer neuesten CD. Und in den Strophen schildern sie zwei Menschen: einen, dem das Leben immer wieder aus der Hand gleitet, eine, die Drogen nimmt, weil sie die soziale Kälte in unserem Land sonst nicht ertragen könnten; zwei, die in einem Tunnel gefangen sind, die noch nicht einmal das berühmte Licht am Ende des Tunnels sehen können. Und immer wieder dann der Refrain mit diesem Ruf der Sehnsucht: „Wann reißt der Himmel auf? – Auch für mich, auch für mich?“
Es ist ein Lied, das mit an eines aus der Adventszeit erinnert: „O Heiland, reiß die Himmel auf“ – die Sehnsucht ist die gleiche, nur 390 Jahre früher von Friedrich Spee gedichtet. „Wann reißt der Himmel auf? – Auch für mich, auch für mich?“ Und man möchte fortfahren: „Wann reißt der Himmel auf? – Auch für mich, auch für mich? – Und rettet mich – rettet mich jetzt.“ So rührt sich bei mir immer wieder neu die Erkenntnis, dass es nicht reicht, beim Bibellesen und im Gottesdienst nur daran zu denken, dass vor etwa 2000 Jahren ein Kind geboren wurde, dass dieses etwas 30 Jahre später zum Mann gewordene Kind erstaunliche Dinge gesagt und getan hat und dann noch etwas später einen schimpflichen Tod am Kreuz gestorben ist, dass es nicht reicht, zu erzählen, dass kurz danach, am dritten Tag nach seinem Tod, das Grab leer war und die Anhänger dieses Menschen verkündeten, dass eben dieser Mensch von den Toten auferstanden sei. Es reicht nicht, vom damals zu sprechen, wenn dieses Damals keine Verbindung zum Heute hat und keine Antwort gibt auf die Frage von Silbermond und Friedrich Spee: „Wann reißt der Himmel auf? – Auch für mich, auch für mich?“
Noch viel früher – vielleicht um das Jahr 100 nach Christus – gab es diese sehnsuchtsvolle Frage auch schon – nicht allzu lange, nachdem Jesus gelebt hatte. Es waren Menschen in Kleinasien, der heutigen Türkei, die durch Verfolgung unter dem Kaiser Domitian schwer zu leiden hatten, die sich in ihrer Existenz bedroht sahen und voller Sehnsucht das Ende der Zeit und damit die Erlösung aus der Verfolgung erwarteten: „Wann reißt der Himmel auf? – Auch für mich, auch für mich?“
Und sie – die Gemeinden in Kleinasien – haben eine Antwort bekommen; eine Antwort, die bis heute aktuell ist und die auch auf die sehnsuchtsvollen Fragen von Friedrich Spee und Silbermond eine Antwort geben kann.
Diese Antwort steht in der Offenbarung des Johannes, im ersten Kapitel. Es ist der Predigttext für den heutigen Tag:
4 Johannes an die sieben Gemeinden in der Provinz Asien:
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind, 5 und von Jesus Christus, welcher ist der treue Zeuge,
der Erstgeborene von den Toten und Herr über die Könige auf Erden!
Ihm, der uns liebt und uns erlöst hat von unsern Sünden mit seinem Blut 6 und uns zu Königen und Priestern gemacht hat vor Gott, seinem Vater, ihm sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
7 Siehe, er kommt mit den Wolken, und es werden ihn sehen alle Augen und alle, die ihn durchbohrt haben, und es werden wehklagen um seinetwillen alle Geschlechter der Erde. Ja, Amen.
8 Ich bin das A und das O, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige.
Liebe Gemeinde am Himmelfahrtstag!
Warum dieser Text zu diesem Fest Christi Himmelfahrt? Es ist eben der Text, der von dieser ganz besonderen Spannung zwischen Himmel und Erde spricht, die durch die Himmelfahrt Jesu geschaffen ist: Gerade weil er nicht mehr auf der Erde, sondern bei Gott und zur Rechten Gottes ist, kann er allen Menschen nahe sein. Es sind nicht umsonst sieben Gemeinden, denn mit der Zahl sieben verbindet sich in der jüdisch-christlichen Tradition die Vorstellung der Vollkommenheit: Diese sieben Gemeinden repräsentieren die ganze Kirche – über Grenzen und Zeiten hinweg und also auch uns.
Dieser Abschnitt ist die Antwort auf die Sätze der Engel aus der Apostelgeschichte: „Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da und seht in den Himmel?“ Es ist damit der Text, der uns so auch und besonders an diesem Tag in Erinnerung ruft, dass es beim christlichen Glauben eben nicht um das ruhige Betrachten von netten Worten aus einem Buch geht, das vor knapp 2000 Jahren entstanden ist und irgendwie bis heute gelesen wird. Denn es kommt etwas auf uns zu, besser: Es kommt jemand auf uns zu: Jesus Christus.
Dieser Abschnitt erinnert uns daran, dass es bei der biblischen Botschaft um die Gegenwart, um unsere Gegenwart geht, denn nur wenn wir Kraft und Trost und Zuversicht für unsre Gegenwart haben, können wir in den Bedrängnissen bestehen, in die wir wie schon die Menschen in den kleinasiatischen Gemeinden geraten können.
„Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.“ So beginnt unser Abschnitt und im Grunde die ganze Offenbarung: ein Gruß. Und ein ganz anderer, als wir heute uns meistens grüßen: Hi, hallo, vielleicht friesisch mit „Moin“ oder ostwestfälisch kurz: „Und?“, worauf dann mit einem ebenso kurzen „Muss!“ geantwortet wird. Der Gruß des Johannes ist anders: Johannes hat etwas mitzuteilen, hat etwas mit den anderen zu teilen und an sie auszuteilen: Gnade und Frieden von Gott. Nebenbei bemerkt: Dieser Gruß kann uns auch einmal zum Nachdenken bringen, ob wir nicht auch etwas mit denen, denen wir begegnen, zu teilen haben, ob wir nicht auch etwas auszuteilen haben von der Liebe Gottes, die uns jeden Morgen neu geschenkt ist, die Gnade und Frieden noch einmal zusammenfasst.
Aber zurück zu Johannes: Gnade und sein Frieden kommen nicht irgendwoher, sondern von dem Gott, der ist, der war und der kommt. Es geht nicht um irgendwelche kurzfristigen Momenterfahrungen, wenn wir die Nähe und den Frieden Gottes zugesprochen bekommen. Sie gelten ohne zeitliche Einschränkung. Und ganz wichtig: Es geht mit dem „ist“ los: Gott, der ist, der war und der kommt. Darauf liegt die Betonung: Gott ist, er ist da! In der Gegenwart und deshalb eben auch heute an Himmelfahrt im Jahr 2012 nach Christi Geburt. Christlicher Glaube also ist weder Vergangenheitsträumerei noch Zukunftstspinnerei.
In den folgenden Versen wird in einem ganzen besonderen Glaubensbekenntnis den Menschen vor Augen geführt, was das Christusgeschehen bedeutet: „Er ist der treue, der vertrauenswürdige Zeuge,
der Erstgeborene von den Toten, denn er ist auferstanden, und er ist Herr über die Könige auf Erden!“
Dann weitet sich der Blick und es folgt ein bekenntnishafter Jubelruf: „Ihm, der uns liebt und uns erlöst hat von unsern Sünden mit seinem Blut und uns zu Königen und Priestern gemacht hat vor Gott, seinem Vater, ihm sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“ Auch hier ist der Grundton zu erspüren, der die ganze Botschaft des Evangeliums, aber auch im Besonderen die Botschaft der Offenbarung durchzieht: Jesus Christus liebt uns. Deshalb hat er uns erlöst aus unserer Gottesferne und uns an die Seite Gottes gestellt: als Könige, als Priester. Auch dies ist Gegenwart und keine unbestimmte und seichte Zukunftsmusik. Dass wir dem nicht immer entsprechen gehört zu unserer menschlichen Unzulänglichkeit, zu unserer freiheitlichen Unvollkommenheit; es ist eben kein Fehler Gottes.
„Siehe, er kommt mit den Wolken, und es werden ihn sehen alle Augen und alle, die ihn durchbohrt haben, und es werden wehklagen um seinetwillen alle Geschlechter der Erde. Ja, Amen.“ Da höre ich Silbermond wieder im Duett mit Friedrich Spee singen: „Wann reißt der Himmel auf? – Auch für mich, auch für mich?“ Und ich höre die Antwort: Das Himmelfahrtsgeschehen wird umgekehrt.
Christus wird aus dem Himmel heraus sichtbar und erfahrbar. Denn es geht eben nicht mehr nach dem alten Motto: „Aus den Augen aus dem Sinn.“ Vielmehr: Christus kommt in die Augen und damit in den Sinn. Alle werden ihn sehen, schriebt Johannes. Alle: die Gemeinden und damit wir alle, Juden und Heiden, Nicht-Christen und anderes Gläubige. So wird aus dem kleinen Kreis der Jünger, der die Himmelfahrt vierzig Tage nach Ostern erlebte, zu einer den Kosmos umfassenden Menge.
Auf sie alle, auf uns alle kommt Christus zu: in den Geringsten seiner Brüder und Schwestern: wie so oft in denen, die so ganz anders sind, als ich es bin; die so ganz anders sind, als ich es mir von Jesus vorstelle. Und ich spüre trotzdem: Da gehöre ich hin, weil dieser Jesus Christus den Himmel aufreißt, für diese anderen, für die Kirche und für mich, um uns in aller unserer Bedrängnis nicht nur das Licht am Ende des Tunnels zu zeigen: seine Gerechtigkeit, seinen Frieden und seine Gnade, die alle andere Macht zunichte macht, weil Gottes Macht allumfassend ist. Denn „ich bin das A und das O, spricht Gott, der Herr, der ist und der war und der kommt, der Allherrscher. Darum feiern wir Himmelfahrt, heute, 2012.
Amen.
Vielen Dank für manche Anregung aus der Predigtmeditation von Eberhard Hauschild (in: Göttinger Predigtmeditationen 2/2012, S. 248-254) und natürlich auch vielen Dank an Silbermond und Friedrich von Spee. :yes: