Predigt am 7. Oktober über Jakobus 2,1-13

Der Predigttext Jakobus 2,1-13 war zuvor als Schriftlesung gelesen worden.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Ich kann mir die Situation so gut vorstellen, die der Apostel Jakobus da vor Augen hat. Sie ist so schön menschlich: Wer nach etwas aussieht, hat gute Aussichten hofiert zu werden, besonders dann, wenn von ihm Geld zu erwarten ist. Gerade auch in der frühesten Zeit des Christentums wird es so gewesen sein, denn die Gemeinden bestanden oft aus den eher ärmeren Schichten der Bevölkerung. Wenn dann ein Reicher kam, war die Versuchung groß, diesen besonders zu ehren, weil man sich von ihm Unterstützung erhoffte – für die Gemeinde natürlich, für einen guten Zweck. Und wer eben nach Nichts aussah, bekam auch keine Aufmerksamkeit, wurde an den Rand gedrückt.

Und diese beiden Teile der geschilderten Szene passieren immer wieder und überall. In christlichen Gemeinden und in unseren Gruppen und Vereinen wahrscheinlich ebenso wie in der großen weiten Welt. Ich denke zum Beispiel an zwei Szenen aus dem Film Pretty Woman: Noch hat die junge Titelheldin Vivian ihre alten, uneleganten Klamotten an und versucht in den eleganten Geschäften einzukaufen, aber sie bekommt nichts. Die Verkäuferinnen in den exquisiten Kleiderläden lassen sie links liegen. Nur durch die Hilfe des Chefportiers klappt es dann doch noch mit der Abendgarderobe. Etliche Filmminuten später geht es erneut zum Kleiderkaufen und Vivian und ihr Gönner Edward Lewis kommen auch in das Geschäft, wo Vivian ein paar Tage zuvor abgewiesen wurde. Nun – in eleganten Kleidern – reißen sich die Verkäuferinnen um sie; doch Vivian lässt nun ihrerseits die Verkäuferinnen stehen, nachdem sie sie an die Szene wenige Tage vorher erinnert hat.

Auf der anderen Seite kann ich die Menschen in den Gemeinden, die Jakobus vor Augen hat, gut verstehen. Die Leiter der Gemeinde wollen natürlich die Gemeinde voran bringen und wenn dann jemand kommt, der oder die offensichtlich die finanziellen Möglichkeiten hat, dann sind sie ganz schnell dabei, diesen Menschen alles erdenklich Gute zu tun, damit er bleibt und der Gemeinde etwas von seinem Reichtum abgibt – bestimmt nicht zum Vorteil der Einzelnen, sondern eben zum Vorteil der Gemeinde und damit sogar – so kann ich mir ihre Argumentation vorstellen – zur Ehre Gottes.

Und es muss dann nicht unbedingt der finanzielle Reichtum sein, es können auch andere Gaben und Begabungen für eine Gemeinde wichtig werden, sodass diejenigen besonders umworben werden, die sie mitbringen: gute Prediger und gute Musiker, gute Organisatoren und gute Seelsorger. Alle Gaben, die der Gemeinde nützlich sein können, verführen dazu, die Träger dieser Gaben so zu behandeln, dass die Würde der anderen darunter leiden kann. Das ist der entscheidende Maßstab: die Würde der anderen. Mit Jakobus bleibt dann festzuhalten: „Haltet den Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn der Herrlichkeit, frei von allem Ansehen der Person.“

Mit einem ganz eigenartigen Gefühl von Beklemmung verfolge ich die Diskussionen, die es in den letzten Jahren immer wieder gegeben hat: Da wird die Forderung erhoben, die Kirche solle sich doch den Eliten der Gesellschaft nicht verschließen, soll sich vielmehr um diese Eliten bemühen. Vielleicht sehe ich diese Anfragen ja zu problematisch – aber ich frage mich schon, was es zu bedeuten hat, wenn diese Forderung immer wieder und so vehement erhoben wird. Natürlich sind auch Menschen in der Kirche willkommen, die den sogenannten oberen Zehntausend der Gesellschaft angehören. Sie haben das gleiche Recht, in der Kirche zu sein, wie jeder andere auch, sie sollen sich natürlich auch wohlfühlen. Aber ist es nötig, sie besonders zu hofieren? Es bleibt immer eine spannende Frage, wo ein gutes Miteinander, das die Würde aller im Blick hat, aufhört und wo das ungute „Honig um den Bart schmieren“ im Sinn des Jakobus anfängt, wo dann andere im wahrsten Sinn des Worte an die Wand und an den Rand gedrängt werden.

Wir müssen – und ich sage das Wort „müssen“ mit Absicht und allem Nachdruck – wir müssen in der Kirche ein Miteinander leben, in dem sich Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft zwanglos begegnen können – Menschen unterschiedlicher gesellschaftlicher Stellung, Menschen aus unterschiedlichen Regionen der Erde mit unterschiedlichen Hautfarben und Gewohnheiten, Menschen unterschiedlicher politischer Ansichten und Menschen unterschiedlicher Frömmigkeitsrichtungen; Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechtes, Menschen mit und ohne gesundheitliche Einschränkungen und Behinderungen. Und ich bin überzeugt: Wir können es auch!

Jakobus erinnert uns an die Worte Jesu, die als Evangelium über diesem 18. Sonntag nach Trinitatis stehen: Liebe Gott und liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Und damit wir diese Grundforderung Jesu nicht vergessen, dazu ist es gut und richtig, dass wir zum Beispiel durch den Abschnitt im Jakobusbrief und viele andere Stellen immer wieder einmal dran erinnert werden, unser kirchliches Miteinander zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern.

Liebe Gott und liebe deinen Nächsten wie dich selbst. „Wie dich selbst“ – das ist wichtig, denn nur, wenn ich mich selbst liebe, kann ich auch andere lieben. Wie gut, dass uns Gott seine Liebe schon längst zugesprochen hat. Wir dürfen uns schon längst geliebt wissen, bevor wir mit dem Lieben der anderen anfangen. Und wer der andere, der Nächste ist, das hat uns Jesus mit der Geschichte vom barmherzigen Samariter nur zu deutlich vor Augen gemalt: Es gibt keine Volksgrenzen und keine Religionsgrenzen und keine anderen Grenzen.

Und Jakobus scheint die Menschen gut zu kennen, denn er beantwortet gleich noch eine Zusatzfrage: „Wenn es um das Wohl der Gemeinde geht, indem ich den Reichen so bevorzugt behandle, dann darf man doch wohl eine Ausnahme machen.“ Die Antwort des Jakobus ist klar und deutlich: Es gibt keine Ausnahme; es gibt nichts, was wir gegen den Willen Jesu tun dürften; es gibt nichts, was eine Demütigung der Armen rechtfertigen würde. Denn, so argumentiert Jakobus: Es gibt keine Teilchristen, es gibt keine Teilzeitchristen. Entweder ganz oder gar nicht.

Wenn wir Menschen mit der Taufe in die Gemeinschaft Jesu aufnehmen, dann sind sie mit uns allen zu einem Leben in der geschwisterlichen Freiheit berufen, die die Würde jedes anderen achtet. Es ist also bestimmt nicht so, dass sich durch die Taufe im täglichen Leben nichts ändert. Ganz im Gegenteil: Wir bekommen einen anderen, einen neuen Blick auf die Menschen um uns herum: Denn in Christus sind weder Sklaven noch Freie, wie Paulus es im Galaterbrief schreibt, weder Mann noch Frau, weder Juden noch Griechen; im Sinn von Jakobus: weder Arme noch Reiche; sie – besser: wir – sind alle vielmehr eins in Christus. Und weil Jesus für sich keine Grenzen gezogen hat zu den Menschen, die ihn brauchten, so können und dürfen auch wir keine Grenzen ziehen. Eine Kirche, die nur und ausschließlich an sich denkt, übersieht, dass ihr Jesus gerade auch in den Armen dieser ganzen Welt gegenübertritt.

Wenn wir Abendmahl feiern, wird das deutlich. Da stehen wir um den Tisch Jesu, an den er uns eingeladen hat: Ganz gleich, ob wir hoch sind oder niedrig, ob wir arm sind oder reich, ob wir schuldig dastehen oder unschuldig, ob wir glauben oder meinen, wir können es nicht. Denn – auch daran erinnert uns Jakobus – Gottes Barmherzigkeit ist größer als wir mit unserem Wollen und es dann doch nicht hinbekommen – als Einzelne und Gemeinde. Wie gut. Amen.

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