Predigt zum Erntedankfest über Matthäus 6,19-23

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Erntedankfest 2013:
Es war einmal ein armer Schuster, der war den ganzen Tag guter Laune. Er war so glücklich, dass er von morgens bis abends vor Freude sang. Immer standen viele Kinder vor seinem Fenster und hörten ihm zu. Gleich neben dem Schuster lebte ein sehr reicher Mann. Dieser blieb die ganze Nacht auf und zählte seine Goldstücke. Am Morgen ging er dann zu Bett. Er konnte aber nicht schlafen, weil er den Schuster singen hörte. Eines Tages hatte er eine Idee, wie er den Schuster am Singen hindern könnte. Er lud ihn zu sich ein, und der Schuster kam sogleich. Zu seiner großen Überraschung schenkte ihm der reiche Mann einen Beutel voller Goldstücke. Als der Schuster wieder zu Hause war, öffnete der den Beutel. Nie in seinem Leben hatte er so viel Geld gesehen. Sorgfältig begann er es zu zählen, und die Kinder schauten ihm zu. Es war so viel, dass der Schuster Angst hatte, es auch nur schnell aus den Augen zu lassen. So nahm er es nachts mit ins Bett. Aber auch dort musste er immer an das viele Geld denken, und er konnte nicht einschlafen. So trug er den Beutel auf den Dachboden, aber er war gar nicht sicher, ob das nun ein gutes Versteck sei. Früh am Morgen stand er auf und holte den Beutel wieder herunter. Er hatte beschlossen, ihn im Kamin zu verstecken. „Ich bringe das Geld ins Hühnerhaus", dachte er etwas später. „Da sucht es bestimmt niemand." Aber er war noch immer nicht zufrieden, und nach einer Weile grub er ein tiefes Loch im Garten und legte den Beutel hinein. Zum Arbeiten aber kam er gar nicht mehr. Er war zu bedrückt, um auch nur einen Ton hervorzubringen. Und, was am schlimmsten war, auch die Kinder kamen ihn nicht mehr besuchen. Zuletzt war der Schuster so unglücklich, dass er den Beutel wieder hervorholte und damit zu seinem Nachbarn lief. „Bitte nimm dein Geld zurück“, sagte er. „Die Sorge darum macht mich ganz krank, und auch meine Freunde wollen nichts mehr von mir wissen. Ich möchte lieber wieder der arme Schuster sein, der ich vorher war." Und so wurde der Schuster bald wieder genauso vergnügt wie zuvor und sang und arbeitete den ganzen Tag.

Erntedankfest 2013 – was hat die so anrührende Geschichte vom Schuster mit dem Erntedankfest zu tun? Ganz einfach: Sie erzählt auf ihre Weise das, was Jesus den Menschen auch erzählt, wenn es um Ernte und das Einsammeln dessen geht, was Menschen sich erarbeitet haben. Auch der Predigttext für den heutigen Sonntag aus dem Evangelium nach Matthäus, im 6. Kapitel liegt auf dieser Linie. Das sagt Jesus im Rahmen der Bergpredigt:

Matthäus 6,19-23

Liebe Gemeinde am Erntedankfest!
Wahrscheinlich haben wir alle uns schon einmal gewundert, welche Texte uns zum Erntedank-Fest angeboten werden. Da ist eben nicht, wie wir es wohl erwarten würden, einfach nur von der überschwänglichen Freude die Rede: „So viel haben wir mit unserer Hände Arbeit erwirtschaftet und geerntet, so viel ist uns von Gott geschenkt. Wie wunderbar!“ Was uns in jedem Jahr neu zu Erntedank durch die Predigttexte in Erinnerung gerufen wird, ist: Sich einfach nur zu freuen – das verfehlt den Sinn des Dankens. Immer steht für die Bibel die Frage im Raum, zu was diese Freude uns bringt, was wir aus dem uns geschenkten Gut machen.

Der Schuster aus der kleinen Geschichte hat für sich erfahren, was passiert, wenn die Angst um den eigenen Reichtum das Herz besetzt. Sein Herz war plötzlich nur noch bei dem Geld und mit seinem Herz sein ganzes Denken und Fühlen und Handeln. Die weiteren Folgen waren für ihn dann umso schrecklicher: Nicht nur, dass er nicht mehr singen konnte, weil die Sorge um das Geld ihm die Stimme nahm; auch und vor allem der Kontakt zu den Menschen – in der Geschichte sind es die Kinder – war ihm verloren gegangen.

Jesus bietet seinen Zuhörern dann einen Ausweg an: Schätze im Himmel sollen sie sammeln. Auf den ersten Blick eine tolle Idee: Dann sind wir frei von der Fixierung auf irdische Güter und alles ist gut. Ja, auf den ersten Blick. Und auf den Zweiten? Lukas berichtet uns von einem Gleichnis, das Jesus erzählt: von einem Menschen, der das so gemacht hat – der alle Regeln des Glaubens eingehalten hat und sich dann voller Stolz in den Tempel stellen und aufzählen konnte, welche Schätze er sich im Himmel schon angesammelt hatte. Und am hintersten Eingang stand einer, der den Blick nicht zu erheben wagte und nur sagte: „Gott sei mir Sünder gnädig.“ Letzterer ging frei und gerechtfertigt aus dem Tempel und nicht der, der mit so stolzgeschwellter Brust seinen himmlischen Kontostand aufgezählt hatte. Denn der war mit seinem Herzen auch nur bei seinem Reichtum – auch wenn es himmlischer Reichtum war – und er war nicht mit seinem Herzen bei Gott.

Vielleicht ist es so wie mit den Speichermöglichkeiten in der heutigen Computerwelt: Wer seine Daten und seine Arbeit am Computer sichern will, diesen so wunderbaren und unendlich wichtigen Schatz, der muss sehen, wo er sie am Besten hinpackt. Eine Lösung: Die eigene Festplatte oder eine externe Festplatte –und da beginnen die Sorgen: Was ist, wenn der Blitz einschlägt, was mache ich, wenn das Haus abbrennt und alles ein Raub der Flammen wird; oder wenn die Motten der Computertechnik, die Viren, alles lahmlegen und zerstören?

Das Zauberwort heißt ‚Cloud‘ – auf Deutsch Wolke. Und es meint, dass man seine Daten irgendwo auf einem Server in der riesigen Wolke des Internets auslagert und so zusätzlich speichert. Da sind sie dann sicher – Uff! Bis genau dieser Speicher dann abbrennt oder durch einen Hackerangriff gekapert und zerstört wird.

Reichtum im Himmel und Reichtum auf der Erde – beides bleibt problematisch, wenn das Herz davon gefangen genommen wird. Jesus will bestimmt nicht, dass wir die eine Abhängigkeit durch die andere ersetzen. Was aber meint Jesus, wenn er uns sagt, wir sollen uns Schätze im Himmel sammeln?
Bei den irdischen Schätzen denken wir wahrscheinlich alle an Geld und Besitz, an Vermögen, Reichtum und Überfluss. Fragen wir von diesen Begriffen ausgehend, was denn wohl das Gegenteil davon ist, kommen wir wohl ganz schnell zu Worten wie: Wohltätigkeit und Almosen, Güte, Freigebigkeit und Ehrlichkeit.

Und wir können feststellen, dass mit diesen Worten, Begriffen und Vorstellungen das dazu kommt, was bisher immer außen vor geblieben ist: die Menschen neben uns und um uns herum. Da soll unser Schatz sein und deshalb auch unser Herz. Bei den Menschen, die etwas von uns brauchen, was wir ihnen geben können. Und das ist mehr als nur, dass wir ihnen etwas von unserem Überfluss hinwerfen. Was diese Menschen brauchen, ist unsere Aufmerksamkeit, was diese Menschen brauchen, ist unser Herz.

Der französische Film „Von Menschen und Göttern“ – 2010 entstanden – erzählt davon. Die Mönche im Trappistenkloster von Notre-Dame d‘Atlas leben in einem kleinen algerischen Dorf unter lauter Muslimen. Sie wollen nichts für sich, nichts für die Kirche. Das Wort Mission fällt in ihren Gesprächen nur ein einziges Mal, als sie zueinander sagen: „Unsere Mission hier ist noch nicht vollbracht.“ Also: Wir werden hier gebraucht. Kann man die Orientierung an irdischen Schätzen konsequenter verweigern? Aber unabhängig sind die Neun darum nicht, im Gegenteil. Sie hängen an denen, bei denen ihr Herz ist. Sie binden ihr Schicksal an das Schicksal des Dorfes Tibhirine, widerstehen ihrer Angst, Opfer der Kämpfe zwischen Rebellen und Regierungssoldaten zu werden, und der Verlockung, ins sichere Frankreich zurückzukehren. Als solidarische Gemeinschaft bilden sie ab, was sich über Gott sagen lässt: Auch für Gott gilt, dass sein Herz da ist, wo sein Schatz ist. Gottes Herz ist bei uns. Was liegt also näher, als dass unser Herz nicht bei irgendwelchen gemachten Dingen, sondern bei ihm ist? Gott ist nicht unabhängig, und die Menschen, die Schätze im Himmel sammeln, sind es auch nicht. Sie hängen an denen, die ihnen ans Herz gewachsen sind. „Wo sollen wir Kraft schöpfen, wenn Sie nicht mehr da sind?“ fragt eine der Frauen die Mönche, als sie fürchtet, die könnten fortziehen.

Auch für Gott gilt, dass sein Herz da ist, wo sein Schatz ist. Gottes Herz ist bei uns Menschen, bei uns hier und heute und ebenso bei den anderen, die er zu unseren Nächsten macht. Was liegt also näher, als dass auch unser Herz bei diesen Nächsten ist?
Amen.

Die Geschichte vom Schuster habe ich gefunden in "Bibel AnDenken 2013" (edition aej, S. 110). Der Abschnitt über den Film "Von Menschen und Göttern" stammt weitestgehend aus der Predigtmeditaion von Pfr. Klaus Eulenberger, die in den Göttinger Predigtmeditationen (Heft 67/4, S. 428) erschienen ist.

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