Liebe GoSpecial-Gemeinde!
Es gibt, wenn ich das so überschlage nur zwei Ausdrücke, die es in den letzten Jahren so weit gebracht haben, dass sie immer wieder zitiert und zu so etwas wie geflügelten Worten geworden sind.
Das eine dieser Worte ist der Wahlkampf-Slogan von Barak Obama vor seiner ersten Präsidentschaft. Sein „Yes, we can!“ brachte nicht nur Menschen jenseits des Atlantiks dazu, voller Zuversicht in die Zukunft zu sehen. Sein „Yes, we can!“ bewirkte auch hierzulande, dass viele Menschen sich aufgemacht und engagiert haben. „Yes, we can!“ – da werden Möglichkeiten eröffnet, da werden Träume geboren und Visionen nicht nur sichtbar, sondern greifbar. Das „Wir schaffen das!“ von Angela Merkel im vergangenen Jahr zu den Herausforderungen der Flüchtlingskrise klingt wie die Weiterführung des Mottos von Obama an anderem Ort und zu anderer Zeit und mit ganz anderem Hintergrund.
Der andere Ausdruck ist der, der dem heutigen Gottesdienst die Überschrift gegeben hat: der Satz, der alles offen lässt, und der als Buchtitel von Hape Kerkelings Bestseller eben auch zum geflügelten Wort geworden ist: „Ich bin dann mal weg!“ Aus meiner Sicht von vielen Menschen als eine neue und andere Art verwendet, um „Tschüss“ zu sagen oder „Auf Wiedersehen!“ Viele wissen von dem Buch und haben gehört, dass es etwas mit dem Jakobsweg zu tun hat. Was jedoch wirklich hinter dem Buch und damit hinter dem Satz steht, das wissen – glaube ich jedenfalls – die wenigsten. Denn hinter diesem Satz stehen der Zusammenbruch und die Flucht aus dem, was bisher war.
„Yes, we can!“ – „Ich bin dann mal weg!“ Welten trennen diese beiden Sätze: Hier die Vision des Machbaren, dort das Scheitern eines Menschen, trotz allem Erfolg. So sieht es auf den ersten Blick aus. Auf den zweiten Blick sind sich die Personen doch sehr nahe, denn Barak Obama hat sein „Yes, we can!“ trotz mancher Erfolge nicht durchgehalten, manche sprechen davon, dass er als Präsident gescheitert ist. Zumindest ist aus dem strahlenden Bewerber ein müder und frühzeitig ergrauter Mann geworden.
In einer biblischen Person vereint werden die beiden Sätze „Yes, we can!“ und „Ich bin dann mal weg!“ in der alttestamentlichen Gestalt des Propheten Elia: Eben war er noch der strahlende Sieger, der das „Yes, we can!“ nicht nur als Vision vermitteln konnte, sondern der diese Vision auch noch umgesetzt hat, indem er die Baalspriester am Karmel umgebracht hatte, und dann verkehrt sich sein Leben vollständig.
Hören wir einen Abschnitt aus dem 1. Buch der Könige, im 19. Kapitel (Lutherbibel 1984*):
19,1 Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte. 2 Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast!
3 Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort. 4 Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.
So weit zunächst. Aber gehen wir noch einmal an den Anfang zurück: Was für ein Mensch, was für eine Siegerfigur war Elia und könnte Elia heute sein? Es muss ja gar nicht so gewalttätig sein wie damals. Heute geht es ja auch anders. Welche Figur könnte Elia heute sein? Einer der alles richtig macht, dem alles gelingt und der die Welt erobert: im Showgeschäft von Musik oder Kino oder Fernsehen, auch in der Politik oder in der Wirtschaft, im Sport, wenn einer im Alleingang bei der EM seine Mannschaft bis ins Finale schießt oder auch in der Kirche, wenn er oder sie die Massen begeistert? Vielleicht haben wir ja Namen und die dazu gehörigen Personen vor Augen, ob wir sie nun mögen oder nicht – jetzt im Moment oder zu einer früheren Zeit die Shootingstars der Gesellschaft: Menschen wie Helene Fischer oder Stefan Raab, Christian Wulff und eben Barak Obama, wie Steve Jobs und Bill Gates, Christiano Ronaldo, Jürgen Klopp, Robert Enke und Sascha Lewandowski oder Thomas Müller, Margot Käsmann und eben Hape Kerkeling.
Und dann passiert irgendetwas, was das Gleichgewicht dieser Menschen aus dem Lot bringt – ob selbstverschuldet oder von außen ist ganz egal, manchmal ist es nur eine Keinigkeit. Aller Erfolg verfliegt, alles Hochgefühl ist wie weggeblasen.
So wie es bei Elia auch war. Nichts war mehr übrig von dem berserkerhaften Gotteskämpfer, der mit den Anhängern Baals kurzen Prozess gemacht hatte. Aller Mut hatte ihn verlassen, was eben noch so wunderbar ausgesehen hatte, war ihm zu einem Nichts zerronnen. Aus dem „Yes, we can!“-Visionär war der „Ich bin dann mal weg!“-Aussteiger geworden; einer, dem alles gleichgültig geworden war, dem der frühere Erfolg nur noch bitter schmeckte und der unter der Last der Depression zusammengesackt war.
„Ich bin dann mal weg!“ – das inzwischen geflügelte Wort von Hape Kerkeling steht am Wendepunkt im Leben dieses Künstlers. Er sagt es, als er sich zurückzieht, um mit sich und dem, was ihn umgibt ins Reine zu kommen und um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Er verwendet dazu einen uralten Ritus, der einen weiter kommen lässt, nachdem die ersten Schritte erst einmal getan sind: Pilgern – also Bewältigen der Krise durch Überwinden einer Wegstrecke möglichst mit einem Ziel, auf das man sich hinbewegen kann: ein geographisches Ziel, das gleichzeitig auch ein geistliches Ziel ist.
Ebenso war es auch bei Elia gewesen: Nach dem ersten fluchtartigen Aufbruch beginnt sein Pilgerweg. Hören wir weiter aus dem 1. Buch der Könige im 19. Kapitel:
5 Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss! 6 Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen. 7 Und der Engel des HERRN kam zum zweiten Mal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. 8 Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb. 9 Und er kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des HERRN kam zu ihm: Was machst du hier, Elia? 10 Er sprach: Ich habe geeifert für den HERRN, den Gott Zebaoth; denn Israel hat deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet und ich bin allein übrig geblieben, und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen.
Elia erfährt nach dem Zusammenbruch und nach dem Aufbruch Kraft und Stärkung. Ich glaube, dass das vielen Menschen so geht, die einmal dieses „Ich bin dann mal weg!“ für sich haben Wirklichkeit werden lassen. Die Füße finden wohl wie von allein ihren Rhythmus, und es geht immer weiter – einen Schritt nach dem anderen. Und während dieses Weges beginnt etwas in dem Menschen zu arbeiten.
Das, worauf es ankommt geht mit. Wir haben eben das Lied von Silbermond gehört, einer Band, die aus der christlichen Jugendarbeit, genauer gesagt aus dem TENSING-Bereich kommt, und die mit ihrem Lied etwas anspricht, was zu dieser Form des Weges gehört: das leichte Gepäck. Tabea hat bei unserem Vorgespräch und auch eben noch einmal erzählt, wie wichtig das Packen für einen Pilgerweg ist: dass man sich dafür minimieren muss: mit ganz Wenigem auszukommen, mit dem, was äußerlich unbedingt nötig ist: Kleidung und Reiseutensilien, Verpflegung und ganz wenige weitere Kleinigkeiten. Denn es ist ja noch genug anderes mit dabei, das wir mit uns auf einem solchen Weg herumschleppen.
Wir sind ja – wie Elia damals auch – mit uns selbst unterwegs. Denn auch wenn Menschen zu zweit oder zu dritt auf einem Pilgerweg unterwegs sind, gehen sie doch sehr bald den eigentlichen Weg jeweils für sich alleine. Da – wenn wir mit uns selbst unterwegs sind – kommt vieles zu Vorschein, was uns ausmacht: Manches, was wir wissen, was oben auf liegt; manches aber auch, was irgendwo tief in uns geschlummert hat, was uns aber um so mehr prägt und uns unter Umständen das Leben so unendlich schwer macht – oft genug, ohne dass es uns bewusst ist. Dieses Zu-sich-selbst-Kommen braucht die Einsamkeit des Weges. Ich bin mir sicher, dass der Kopfhörer im Ohr und der Bildschirm des Smartphones mit den neuesten Nachrichten vor Augen in unserer heutigen Zeit für so etwas nicht nur wenig hilfreich, sondern kontraproduktiv sind.
Es ist wie bei Elia, der durch die Einsamkeit der Wüste geht und dann auf die Frage Gottes, was er denn hier mache, antwortet und Gott all seinen Kummer, seine Niedergeschlagenheit und seine Enttäuschung über die Fruchtlosigkeit seines Wirkens erzählen kann.
Alles das braucht Zeit. Ich weiß nicht, wie lang die kürzeste Strecke ist, die man gehen muss, um als erfolgreicher Jakobspilger zu gelten. Aber ganz wenig ist es bestimmt auch nicht. Nicht umsonst sind die Ziele der Pilgerwege gerade nicht in 3 Kilometern und in 5 Minuten zu erreichen. Elia geht vierzig Tage und Nächte zum Horeb. Solche Wege also brauchen Zeit. Diese Zeit ist nötig, damit im Inneren des Menschen sich etwas entwickeln kann, während der äußere Mensch mehr oder weniger mechanisch einen Fuß vor den anderen setzt.
Dann – nach dieser Zeit des Weges und nachdem wir das, was gewesen ist, ergeben sich neue Erkenntnisse und Perspektiven. Hören wir noch einmal auf einen Abschnitt aus 1. Könige 19:
11 Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR wird vorübergehen. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben. 12 Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. 13 Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle.
Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: […]
15 Geh wieder deines Weges durch die Wüste und geh und salbe […] Elisa, den Sohn Schafats, zum Propheten an deiner statt. […] 19 Und Elia ging von dort weg und fand Elisa, den Sohn Schafats […].
Elia ist am Ziel: seines Weges und seiner Sehnsucht. Er begegnet Gott – aber ganz anders, als es sich der kämpferische Streiter für Gott, der Elia einmal gewesen war, hätte träumen lassen. Elia begegnet Gott und aus dieser Begegnung heraus bekommt er einen neuen Auftrag und einen neuen Weg, den er gehen soll.
Nach dem Pilgerweg verwandelt sich vieles, einiges vielleicht schon auf dem Weg. Es gibt dabei keine Garantie, dass es genau dieses oder jenes ist, was ich gerne loswerden möchte, aber Menschen gehen verändert aus einem solchen Weg hervor. Tabea hat erzählt, dass sie mit einem abgelegten Stein auch manches ablegen konnte, dass sich ihre Gedanken in eine große Dankbarkeit verwandelt haben und sich so – das ist jetzt meine Interpretation – dass sich so ihre Sicht auf das Leben und auch auf Gott noch einmal sehr verändert haben.
Das so visionäre und siegessichere „Yes, we can!“ erweist sich bei näherem Hinsehen allzu oft als eine unglaubliche Selbstüberschätzung. Denn ganz oft müssen wir in unserem Leben feststellen, dass wir gerade nicht und nichts können. Elia war dann mal weg und ging durch die Kraft Gottes vierzig Tage und Nächte bis zum Gottesberg, dem Berg Horeb: Zielsicher ausgerichtet, so wie die Pilger auf dem Jakobsweg die große Kathedrale im Nordwesten von Spanien vor ihrem inneren Auge haben und sie schließlich auch in der Realität sehen.
Und wo sollen wir hingehen? Wir können doch nicht alle zum Horeb wandern oder eben nach Santiago unterwegs sein und das noch unser ganzes Leben lang? Wohin sollen wir gehen? Welches Ziel müssen wir vor Augen haben, um wie Elia mit einem neuen Blick auf unser Leben das Richtige und das Nötige zu tun?
Die rhetorische Frage der Jünger an Jesus (Johannes 6,66-69), die durch Petrus ausgesprochen wird: „Herr, wohin sollen wir gehen?“ und die direkt darauf von Petrus auch gegebene Antwort zeigen uns die entscheidende Richtung: In Jesus Christus ist uns die Richtung unseres Lebensweges gegeben; auf ihn, auf Jesus Christus hin gilt es diesen Weg zu gehen – mit der Beharrlichkeit eines Elia und eines Jakobspilgers. Und – und das ist nicht weniger wichtig – von Jesus Christus werden wir dann wie Elia von Gott auf einen weiterführenden Weg geschickt, den es mit einer ebenso großen Beharrlichkeit zu gehen gilt.
„Ich bin dann mal weg!“ – Aus christlicher Sicht: Ein Satz, der viel mehr bedeutet als „Tschüss, machts gut!“. Ein Satz, der sagt: „Ich will ins Dasein und ins Leben!“ Einen guten Pilgerweg! Amen.
Die Bibeltexte aus: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart