Predigt am 4. Advent 2016 (18.12.)

Predigt-Icon5Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Der Predigttext für den heutigen 4. Sonntag im Advent steht im Evangelium nach Lukas, im 1. Kapitel:

Lukas 1,26-38

Großer Gott, dein Heiliger Geist ist Herr über Reden und Hören. Segne unser Bemühen durch Christus, unseren Bruder und Herrn. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

„Ich wollte dir ein Liebeslied schreiben, / Eines, das nur von Dir erzählt, / In dem nicht die „Triebe“ die „Liebe“ vertrieben / Und das nicht unter die „Schnulzen“ fällt. / Es sollte Dir einfach: „Ich liebe Dich“ sagen, / Mit ein paar Worten und Tönen dazu. / Doch ist‘s gar nicht so einfach, es einfach zu sagen, / Mir fehlen ganz einfach die Worte dazu.“ So singt Reinhard Mey, um mit der letzten, unabgeschlossenen Strophe zu enden: „Hab‘ Lieder von weltbewegenden Dingen, / Nur, das, was mir am nächsten liegt, / Ganz einfach: „Ich liebe Dich“ zu singen, / Das hab‘ ich bis heut‘ noch nicht fertiggekriegt.“ (von der LP „Ich wollte wie Orpheus singen“)

Und in diesem Lied geht es nur um Liebe, für das er, Reinhard Mey, keine Worte und – das gehört immer auch mit dazu – für das er nicht den richtigen Ton findet. Und so mag dieser Poet Reinhard Mey das Paradebeispiel sein für die vielen, vielen anderen Dinge und Momente, Erlebnisse und Erfahrungen in unserem Leben, für das wir eben keine Worte finden; oder für das wir uns zwar Worte suchen, die in unseren Augen aber gar nicht dem entsprechen, was wir sagen wollen. Sie sind immer nur Annäherungen, die im besten Fall einmal mehr und – in unseren Augen und Ohren– oft genug weniger deutlich und nur unzureichend sagen, was wir meinen.

Ich wiederhole es gerne noch einmal: In seinem Lied geht es Reinhard Mey nur um die Liebe. Natürlich weiß ich, dass es in dieser Welt nichts Größeres und Schöneres gibt als diese so tief empfundene Zuneigung zu einem anderen Menschen, die dann hoffentlich sogar noch erwidert wird. Daneben – neben der Liebe – gibt es, so glaube ich, nur noch eines, mit dem wir uns schwer tun, es in Worte zu fassen, und ich meine nicht die spezielle oder die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein.

Ich meine die Schwierigkeiten, die wir haben, wenn wir von Gott reden und von dem, was er sagt und tut; von dem, wie wir ihn sehen und wie er sich uns zeigt. Denn Gott ist und bleibt der „ganz andere“. Er lässt sich nicht komplett in Worte oder in Gedanken fassen, wir können immer wieder neue Seiten an ihm entdecken, er kann uns in immer neuen Weisen entgegenkommen.

Und das heißt: keine Beschreibung, die wir versuchen, kein Bild, das wir von Gott machen – auch kein sprachliches, schafft es auch nur annähernd, Gott gerecht zu werden: Es ist immer unvollständig und zu klein. Das ist der Grund, warum wir uns kein Gottesbild machen sollen, wie es in den 10 Geboten heißt: damit wir Gott nicht klein machen, damit wir ihn nicht einengen und auf das beschränken, was unser oft so kleiner Verstand denken kann.

Trotzdem wollen wir natürlich über Gott reden, trotzdem müssen wir von Gott reden. Und zwar wir alle, nicht nur ich als Pastor, denn wir sind alle durch unsere Taufe zur Verkündigung der frohen Botschaft aufgerufen. Wir sollen, wollen, müssen von diesem größten Geheimnis, das wir Gott nennen, reden: weil er der Ursprung und die Grundlage unseres Lebens ist, weil wir von ihm gesagt bekommen, wie unser Leben gelingen kann, weil er sich uns in Liebe zuwendet – besonders dadurch, dass er sich in seinem Sohn Jesus Christus ein menschliches Gesicht gibt.

Was tut nun so jemand wie Reinhard Mey, wenn er das mit dem „Ich liebe dich“ nicht in der angemessenen Art und Weise in Worte fassen kann? Er – und nicht nur er – macht aus seinem Problem ein Lied, er dichtet, er verdichtet das, um was es geht, und – o Wunder – wir verstehen auf eine viel tiefere Weise, was Reinhard Mey hat sagen wollen. Mit Poesie, mit gedichteter, also verdichteter Sprache kommen wir viel weiter, wenn es darum geht, das Unsagbare sagbar zu machen.

Und so ist es auch, wenn wir von Gott reden; vor allem dann, wenn wir davon reden, wie dieser unfassbare und unaussprechliche Gott Mensch wird und sich ein Gesicht gibt. Die Geburt als solche ist eine ganz normale; anders als bei den Göttern der griechischen Mythologie: keine Kopfgeburt wie Pallas Athene, die dem Zeus aus dem väterlichen Kopf entspringt, und keine Meergeburt wie Aphrodite, die aus dem Schaum des Meeres geboren wird. Die Geburt als solche ist eine ganz normale; aber trotzdem geschieht mit der Inkarnation, der Fleischwerdung Gottes das größte Drama aller Zeiten, wie die berühmte Kriminalschriftstellerin Dorothy Sayers es bezeichnet und in einem Essay geschrieben hat.
Wie also sollen wir davon sprechen, wie sollen wir in Worte fassen, dass Gott, das größte Geheimnis, Mensch wird. Um die Liebe zu einem Menschen einigermaßen angemessen in Worte zu fassen, braucht es Poesie. Um wieviel mehr braucht es Poesie, wenn wir davon reden wollen, dass Gott Mensch wird. „In dieser Perspektive ist die Jungfrauengeburt“ – so schreibt der Theologieprofessor Martin Nicol – „kein Problem von Weltbild, modernem Denken und zeitgemäßem Verstehen. Sie gehört vielmehr zu der poetischen Hülle, die die Bibel um ein Geschehen legt, das sich dem Verstehen entzieht.“ [1]

Lukas und seine Maria sehen die Situation nach dem Gruß des Engels und der Ankündigung ganz klar, nüchtern und – so möchte ich fast sagen – naturwissenschaftlich. Es brauchte nicht das aufgeklärte 20. Jahrhundert, um festzustellen, dass das mit der Jungfrauengeburt nicht so einfach wäre. Auch die dreizehn- bis vierzehn-jährige Maria wusste das: „Wie soll das zugehen, da ich von keinem Mann weiß?“ Die Antwort des Engels ist Bildsprache, ist Poesie, die deutlich macht, dass an dem, was da geschehen soll, eben nichts normal ist: Wenn die Macht des Höchsten Maria überschatten soll, dann geschieht das, was in der Geschichte von der Verklärung geschieht: Jesus wird mit den drei Jüngern, die ihn begleiten von einer lichten Wolke überschattet: Gott ist da. Wenn die Macht des Höchsten Maria überschatten soll, dann geschieht das, was Lukas in der Apostelgeschichte beschreibt: Der Schatten des Petrus soll auf die Kranken fallen, damit sie gesund werden: Gott ist da.

So auch hier in der Szene von Maria mit Gabriel. Ich möchte dem Poetischen in dieser Szene nachgehen, das in so zarten Bildern gezeichnet ist. Diese Zartheit jener Begegnung hat in der Kunst immer wieder Staunen und neue Zartheit in Farben und Bildern, Tönen und Worten hervorgerufen. [1]

Ich erinnere dazu an das große Filmepos „Jesus von Nazareth“ des italienischen Regisseurs Franco Zeffirelli aus dem Jahr 1977. Gezeigt wird Maria, schön wie von Fra Angelico oder Botticelli gemalt. Licht fällt in den Raum, die Luft bewegt sich. Woher das rührt, weiß man nicht. Marias Mutter, unbemerkt von der Tochter, sieht zu. Ihr geht es wie uns heute: Da geschieht Wundersames, aber wir nehmen ausschließlich wahr, was vor Augen ist. Der Engel bleibt für uns unsichtbar, die Szene irdisch, das Geschehen geheimnisvoll. Zu hören sind nur Marias Antworten aus einem mutmaßlichen Gespräch.

Zeffirelli schreibt die zarten Andeutungen der Bibel mit der Bildsprache des Films fort. Die Frage nach der Jungfrauengeburt wirkt plötzlich unangemessen. Die bohrende Frage nach einem Problem weicht der staunenden Frage, wie so viel Schönheit in der Welt sein kann. Wo doch Gott in die Welt kam, um Sünde, Tod und Teufel zu besiegen. Wo doch schon binnen weniger Monate viele Kinder ihr Leben durch Gewalt verlieren müssen, damit das eine Kind gerettet werde. Wo doch nicht nur Frieden, sondern auch das Schwert zur Sendung des Sohnes gehören werde, wie Jesus es später selber sagen wird. (Mt 10,35; vgl. Lk 2,35). Nein, so viel Schönheit, wie sie in dieser leisen, zarten Szene angedeutet wird, ist selbst in der großen Geschichte vom Handeln Gottes mit den Menschen und der Welt selten.

Gott kommt gewissermaßen pianissimo. Nicht immer, aber immer wieder. Im Jahr 1975 hat der Pianist Wilhelm Kempff, um solche leisen Momente im Erleben von Musik zu markieren, auf eine Epiphanie, eine Gotteserscheinung von vergleichbarer Zartheit verwiesen: „Irgendwo in der Heiligen Schrift steht geschrieben, dass der Heilige Geist nicht in Sturmesbrausen, sondern im sanften Wehen daherkomme. […] In der Musik eines Bach, in einem Largo von Beethoven dürfen wir Menschen in dieser apokalyptischen Zeit die verlorengeglaubte Stimme Gottes vernehmen.“

Angespielt wird auf die Geschichte, wie der Prophet Elia am Berg Horeb Gott begegnet (1. Kön 19,9-21): „Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam von dem Herrn her; der Herr aber war nicht im Winde.“ Ein Erdbeben kam und danach ein Feuer. Aber Gott war auch darin nicht. Nach dem Feuer aber kam ein, wie es in der Lutherbibel heißt, „stilles, sanftes Sausen.“ Jetzt erst ertönte Gottes Stimme. Nicht im erwartbaren Pathos von Naturgewalten erschien Gott dem Propheten, sondern unerwartet im „stillen, sanften Sausen“ oder, wie Kempff sagte, „im sanften Wehen“. Möglicherweise rührt die kaum merkliche Luftbewegung bei Zeffirelli aus einer biblischen Tradition, für die die Stelle aus dem 1. Königebuch 19 den bekanntesten Beleg darstellt.
Gott kommt pianissimo, mit zarten Bildern von großer Schönheit, die viel tiefer gehen als vordergründiges Gepolter. Dorothy Sayers hat recht mit ihrer Hochschätzung der Inkarnation. Wer hören will, wie sie klingt, kann sich zum Beispiel Johann Sebastian Bach und seiner Vertonung des „et incarnatus est“ in der h-Moll-Messe überlassen. Wo die „Jungfrauengeburt“ so klingt, könnte sie sich als Problem modernen Denkens auch einmal erledigt haben. [1]

Es geht also nicht darum, mit irgendwelchen abstrusen Erklärungen einen Weg zu finden, um die Jungfrauengeburt biologisch möglich zu machen oder sie historisch zu verifizieren. Es geht auch nicht darum, unseren Verstand am Eingang zum Glauben abzugeben. Es geht darum, in poetischer Sprache Worte zu finden, die das Unsagbare sagbar machen. Es geht darum, das mit Worten zu bekennen und davon zu singen, was neben dem naturwissenschaftlich Beweisbaren auch Wirklichkeit ist. So wie die Liebe zwischen zwei Menschen nicht naturwissenschaftlich beweisbar, und trotzdem Wirklichkeit ist und in der Poesie des Liebesliedes besungen werden kann.

Und Maria sagt Ja; ja, mir geschehe, wie du gesagt hast. Was ihr Ja ausgelöst hat, wissen wir nicht. Aber wenig später singt sie von ihrem glaubenden Vertrauen. Wir können dieses Ja auch sagen: zu dem, wozu uns Gott beruft: dieses ja, mir geschehe, wie du gesagt hast. Und auch wir können von unserem Glauben, von unserem Vertrauen in Gottes Macht singen. Heute soll Maria dazu den Ton angeben und uns ihre Worte in den Mund legen: Es erhebt meine Seele den Herrn. Amen.

Es folgt nach einer weiteren Textlesung mit der Begegnung von Maria und Elisabeth (Lukas 1,39-45) das Magnificat, wie es in Taizé  als „Magnificat 3“ mit den Soloversen gesungen wird.

[1] Diesen Satz wie auch den Abschnitt über den Film von Zeffirelli und über die Musik verdanke ich Martin Nicol: Fanfaren der Freude und Ankunft im Pianissimo, in: Pastoraltheologie 2016/11 = Göttinger Predigtmeditationen 71/1, S. 36-42.

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