Predigt am Sonntag Quasimodogeniti (8.4.2018)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.

Liebe Gemeinde am 1. Sonntag nach Ostern!
Da ist der Schuster Vogt aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er vorher noch in der Kapelle gesungen hatte: „Bis hierher hat mich Gott gebracht.“ Nun steht er vor dem Gefängnistor und weiß nicht weiter. Schnell bekommt er heraus: Ohne Arbeit gibt es keine Wohnung, ohne Wohnung gibt es keine Arbeit. Das ist die Wirklichkeit der Welt im frühen 20. Jahrhundert – eine Wirklichkeit, die sich auch im 21. Jahrhundert nicht geändert hat. Was soll er tun?

In seiner Not verfällt er auf einen bizarren Gedanken, der ihn, wenn er denn erwischt würde, sofort wieder ins Gefängnis bringen würde: Er stiehlt die Uniform eines Hauptmanns der preußischen Armee, zieht sie an und – seine Probleme sind wie weggeblasen: „Jawohl, Herr Hauptmann!“ hier, „Aber sicher, Herr Hauptmann!“ dort.

Viele werden die Geschichte vom Hauptmann von Köpenick kennen, als Film mit Heinz Rühmann oder aus der Buchvorlage von Carl Zuckmayer; beides geht auf eine wahre Begebenheit im Jahr 1908 zurück. Bei aller Komik, die vor allem im Film zum Tragen kommt, macht die Geschichte vor allem eines deutlich: Sobald Menschen eine bestimmte Kleidung tragen, haben sie eine für andere Menschen unhinterfragbare Autorität. Was ein Hauptmann im damaligen Preußen sagte, war Gesetz; ausweisen musste er sich nicht – die Uniform, die er trug, war Ausweis genug.

So bewahrheitet sich das alte Sprichwort: „Kleider machen Leute!“ Wir benehmen uns nicht nur unterschiedlich, je nachdem, ob wir in Jogginghose oder Anzug, in Abendkleid oder Sweatshirt durch die Gegend laufen. Wir wirken auch ganz anders auf die Menschen, denen wir begegnen. Unsere Autorität ist eine ganz andere. Und umgekehrt: Wenn mir die Kleidung, die bei den anderen Menschen Ehrfurcht erweckt, abgenommen wird, bleibt von meiner Macht und Autorität nicht viel übrig.

Neu ist diese Erkenntnis nicht, sie ist auch viel älter als die Geschichte vom Hauptmann von Köpenick. Schon der Apostel Paulus hat sie verwendet, als er der Gemeinde in Kolossä, in der heutigen West-Türkei, in einem Brief beschreiben wollte, was durch Ostern, also durch die Kreuzigung und die Auferstehung Jesu mit den Mächten und Gewalten, die sonst die Herrschaft über die Menschen beanspruchen, geschehen ist. Paulus schreibt im zweiten Kapitel des Kolosserbriefes:

15 Gott hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und über sie triumphiert in Christus.

Mit diesem Satz kommentiert Paulus das Geschehen von Kreuzigung und Auferstehung in Jerusalem und macht deutlich: Alle dämonischen Mächte, die Gewalt über einen Menschen hatten, sind durch Kreuz und Auferstehung bloßgestellt worden und haben ihre Macht verloren; die Kleidung, die für die Herrschaft gesorgt hatte, ist ausgezogen und die dämonischen Mächte sind damit der Lächerlichkeit preisgegeben. In vielen Lieder wird auf diesen Bibelvers des Paulus Bezug genommen und werden die Mächte des Bösen verspottet.

Und was heißt das für uns – für uns, die wir getauft sind? Wir stehen als Getaufte eben nicht nackt da, wir müssen nicht vor Scham versinken. Wir stehen aufrecht und mit Zuversicht da, weil wir mit Christus wie mit einem Gewand bekleidet sind. Und dieses Gewand macht es möglich, dass wir so leben, wie es Jesus Christus entspricht.

Daran werden wir heute mit diesem Sonntag erinnert: dem Schlusspunkt der Osteroktav, also acht Tage nach Ostersonntag. Die Osternacht war im frühen Christentum, als vor allem erwachsene Menschen getauft wurden, der entscheidende Tauftermin. Die dann neu Getauften kamen nach einer Woche wieder in den Gottesdienst und trugen erneut ihre weißen Taufgewänder. So hat dieser Sonntag seinen besonderen Bezug zur Taufe bekommen: als Tauf-Bestätigung und damit als Tauf-Erinnerung.

Darum gehört auch die Geschichte von Thomas als Evangelium zu diesem Sonntag: Es ist eben dieser Tag eine Woche nach Ostern, als Jesus zum zweiten Mal zu denn Jüngern kommt und Thomas zu einem neuen Glauben finden lässt. Thomas wird ja so gerne der „ungläubige Thomas“ genannt. Aber dieser ‚Titel‘ trifft die Situation nicht. Thomas ist nicht ungläubig, er repräsentiert vielmehr den Menschen, der seinen Glauben gerne an greifbaren Beweisen festmachen will. Und damit ist er uns heutigen Menschen ganz nahe.

Thomas erfährt in der Szene mit Jesus, dass Glauben anders funktioniert als durch „Begreifen“ im wörtlichen Sinn. Glauben ist auf eine andere Weise Begegnung mit Jesus. Auch heute erfahren das Menschen immer wieder, weil Jesus in unsere verschlossenen Räume kommt, um uns zu begegnen; weil er die Mauern aus dem „Ich glaube nur, was ich sehe und was ich begreifen kann.“ durchbricht und plötzlich vor uns steht – auch fast 2000 Jahre nach dem Geschehen in Jerusalem. Es geschieht immer wieder.

Der Glaube von Thomas ist durch die Begegnung mit dem auferstandenen Jesus ein anderer geworden, er ist neu geworden. Thomas ist dadurch wie neu geboren, er lebt nach der Begegnung mit Jesus wie die Menschen, die nicht sehen und doch glauben; wie die Menschen, die durch die Taufe den Geist Gottes empfangen haben. Jetzt erst hat Thomas wirklich Anteil am Sterben und Auferstehen Jesu Christi bekommen.

So schließt sich in gewisser Weise der thematische Kreis dieser Woche, die an Ostern und mit den Fragen der Gemeinden in Thessalonich und Korinth begonnen hatte: „Haben wir – und vor allem – haben unsere inzwischen verstorbenen Gemeindeglieder denn auch Anteil an der Auferstehung? Oder hat der Tod doch gewonnen, weil sie gestorben sind, bevor Jesus wiedergekommen ist?“

Wir alle, die wir getauft sind, haben Anteil an dem Sterben und an der Auferstehung Jesu Christi. So antwortet Paulus auch der Gemeinde in Kolossä. Er erinnert sie daran, dass Jesus Christus der Grund des Lebens ist. Und stellt ihnen noch einmal theologisch dar, was bei ihrer Taufe geschehen ist – als sie drei Mal mit dem Wasser übergossen wurden, als sie drei Mal untergetaucht wurden. Paulus schreibt in den Versen vor dem, was wir eben über die Machtlosigkeit der Mächte gehört haben:

12 Mit Christus seid ihr begraben worden in der Taufe; mit ihm seid ihr auch auferweckt durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten.
13 Und Gott hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden. 14 Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn aufgehoben und an das Kreuz geheftet.

In der mittelalterlichen Taufpraxis war es noch sichtbar: Da wurde der Täufling dreimal komplett im Taufwasser untergetaucht, wurde so bildlich mit Christus begraben. Und er wurde natürlich auch drei Mal wieder aus dem Wasser der Taufe heraus gehoben, ist so bildlich mit Christus aus dem Todeswasser auferstanden.

Damit sind die getauften Menschen neu geworden, neu geboren worden, wie Thomas durch seine Begegnung mit dem Auferstandenen wie neu geboren war. Den getauften ist neues Leben geschenkt. Und das ist nötig gewesen, es ist bis heute nötig: Denn da ist die grundsätzliche Frage nach der Sünde, nach der Abkehr von Gott.

Paulus schreibt von dem Schuldbrief, der mit seinen Forderungen gegen uns war. Wir alle kennen solche Schuldbriefe: die harmlosen klemmen unter dem Scheibenwischer vorne an der Windschutzscheibe, wenn wir mal wieder die Parkregeln nicht beachtet haben; oder wir bekommen einen mit der Post zugeschickt, wenn wir am Bielefelder Berg mal wieder die 100 nicht beachtet haben. Aber es gibt auch andere Schuldbriefe, die nicht so harmlos sind.

Der Schuldbrief, von dem Paulus spricht, ist allerdings nicht mit solchen aus unserem Rechtssystem zu vergleichen, denn bei dem geht es um die grundsätzliche Abkehr von Gott. Das ist es, was die Bibel Sünde nennt. Nicht das dritte oder vierte Stück Torte oder die Tafel Schokolade, die plötzlich weg ist, obwohl ich doch nur einen Riegel essen wollte. Die Folge der Sünde, also die Folge der Abkehr von Gott als dem, der uns das Leben gibt und es erhält – die Folge der Sünde ist der Tod.

Gemeint ist mit dem Tod, von dem Paulus hier wie an anderen Stellen spricht, nicht das Sterben am Ende unseres irdischen Lebens. Gemeint ist mit Tod, dass wir, obwohl wir leben, tot sind und dass wir deshalb auch nach diesem Leben durch das Nichts des ewigen Todes verschlungen werden. Das ist der Schuldbrief, der gegen alle Menschen – und also auch gegen uns steht. Und der, dieser Schuldbrief, ist von Jesus mit an das Kreuz genommen worden und so beglichen worden. Dieser Schuldbrief über die Abkehr von Gott trifft uns nicht mehr.

Deshalb leben wir in diesem Leben und über dieses Leben hinaus. Mit der Taufe wird uns Christus angezogen und damit das Leben. Und weil das so ist, können wir auch Christus gemäß leben: Wie er es uns vorgelebt hat, wozu er uns als Christen berufen hat: Gott lieben von ganzem Herzen, ganzer Seele und aller unserer Kraft und unseren Nächsten wie uns selbst. Das ist das besondere österliche Kleid, das uns geschenkt ist. – Bei aller menschlichen Unvollkommenheit, die es natürlich auch gibt.

Ja, liebe Gemeinde! Kleider machen Leute. Die Kleider der lebensbedrohenden und dämonischen Mächte haben denen, die diese Kleider tragen, zwar Gewalt über Menschen gegeben. Gott aber hat durch das Kreuz Jesu und durch seine Auferstehung diesen Mächten ihre Kleider der Macht ausgezogen und abgenommen und sie so an den Pranger gestellt. Gott nimmt den Mächten die Macht und entlarvt sie als das, was sie sind: Zerstörer des Lebens durch Hass und Gewalt, Lüge und Mord. Von denen ist kein Heil zu erwarten; ganz gleich, was sie ausgestattet mit ihrer Machtkleidung zu sein vorgegeben haben.

Ja. Kleider machen Leute. Unser Kleid ist das österliche Taufkleid. Das lässt uns Christen Christus gemäß leben – schon jetzt in dieser Welt.
Amen.

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