
Vorbemerkung: Der Predigttext Lukas 3,1-20 ist in den Erzählfaden der Predigt eingewoben. Wo der Bibeltext (fast) wörtlich erscheint, ist er kursiv beziehungsweise in Großbuchstaben gesetzt. Die beiden Abschnitte in Großbuchstaben wurden von einer anderen Stimme gelesen. Der Bibeltext folgt der 2017er Revision der Lutherbibel (© 2016 Deutsche Bibelanstalt).
(Ort: Vor dem Altar)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Der heutige Predigttext steht im Evangelium nach Lukas, im 3. Kapitel. Ich werde den Text jedoch nicht als ganzen vorlesen und dann auslegen, sondern in erzählender Form kommentieren. Stellen Sie sich einfach vor, dass es wie beim Heute-Journal oder bei den Tagesthemen eine Live-Schaltung an den Ort des Geschehens gibt; die Schaltung heute überwindet aber nicht nur die Entfernung, sondern auch die Zeit. Der Korrespondent spricht von damals in unsere Zeit heute im 21. Jahrhundert hinein.
Die Regie blendet jetzt also von dem Moderator zu dem Korrespondenten über:
(Ortswechsel: auf der Kanzel)
Ich melde mich aus Palästina. Wir befinden uns [1] im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war und Herodes Landesfürst von Galiläa und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Landesfürst von Abilene, [2] als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren. In dieser Zeit gibt es noch keine weltumfassenden und allgemeingültigen Jahreszahlen. Um ein Geschehen in seinen geschichtlichen Zusammenhang einordnen zu können, werden die Regierungsdaten bekannter Herrscher mit Ereignissen und Daten aus der näheren Umgebung verbunden, die allen bekannt sind. So könnte bei Ihnen das Jahr 2019 als „im 15. Jahr der Regierung von Angela Merkel, als Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und Berndt Hedtmann Bürgermeister von Porta Westfalica war“ beschrieben werden. So wissen alle: Das Geschehen ist wirklich passiert.
Im Mittelpunkt meines Berichtes steht ein gewisser Johannes, der in der letzten Zeit hier in Palästina viel Aufsehen erregt hat. Schon die Umstände seiner Geburt waren sehr besonders, weil die Eltern für Kinder eigentlich schon zu alt waren und die Namensgebung allen Gepflogenheiten widersprach. Schon damals – so wurde mir erzählt – fragten sich die Leute, was wohl aus diesem Kind werden würde. Auch sein Vater Zacharias, ein Priester, muss so eine Ahnung von der Zukunft seines Sohnes gehabt haben, denn er hat seine Sicht auf die Situation und das Kind in einem besonderen Lied festgehalten, das im Bericht eben zu hören war.
Vor einiger Zeit nun hat dieser Johannes wohl von seinem Gott einen Auftrag bekommen, als er sich in der Wüste befand. [3] Und er kam wenig später in die Gegend am Jordan und predigte.
Als er auf sein Selbstverständnis hin angesprochen wurde, hat dieser Johannes keine lange Rede gehalten, sondern nur auf eine Stelle in den alten Schriften seiner Religion verwiesen, die er sich zu eigen gemacht hat. [4] Da heißt es im Buch eines gewissen Propheten Jesaja: »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige eben! [5] Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden, [6] und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen.« Mehr bräuchte man über seinen Auftrag nicht zu wissen. Nach allem, was man zu dieser Schriftstelle finden kann, geht es um eine sehr intensive und hoffnungsvolle Erwartungshaltung: Denn mit seiner Ankunft soll das universale Heil dieses Gottes verwirklicht werden. Die Jahrhunderte alte Sehnsucht der Menschen nach Frieden und Gerechtigkeit soll erfüllt werden, weil die Ankunft Gottes ganz nahe bevorstehe.
Nötig für dieses universale Heil ist für Johannes, dass sich die Menschen von ihrem bisherigen Lebensstil abwenden. Dieser bisherige Lebensstil wird von Johannes als Sünde bezeichnet und besteht in einem Leben, das nicht den Geboten Gottes entspricht. Das Ziel des Johannes ist es, die Menschen dazu zu bringen, sich wieder neu seinem Gott zuzuwenden. Um diese Neuausrichtung sichtbar zu machen, – damit es also nicht nur bei einem Lippenbekenntnis bleibt – verbindet Johannes seine Predigt mit einer Zeichenhandlung: Diejenigen, denen es mit der Neuausrichtung auf Gott ernst ist, lassen sich von Johannes im Wasser des Jordan untertauchen. So sollen die bisherigen Sünden abgewaschen werden. Johannes nennt diesen Akt die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden.
Von einigen Theologen bin ich allerdings darauf aufmerksam gemacht worden, dass diese landläufige Bezeichnung Taufe der Buße missverständlich sein könne. Denn in vielen Sprachen wird mit Buße eine Strafe verbunden. So wie Bußgelder für irgendwelche Vergehen zu zahlen sind. Für die lateinisch sprechenden Römer hier im Land mag das so sein. Die griechisch sprechenden Menschen können mit dem Aspekt „Strafe“ dagegen überhaupt nichts anfangen. Denn in ihrer Übersetzung bedeutet das, was Johannes sagt und tut, Taufe der Umkehr, also Taufe mit radikaler Neuausrichtung durch eine 180-Grad-Wende im Leben. Vielleicht ist das, was er fordert, bei Ihnen im Jahr 2019 mit einer 180-Grad-Wende bezüglich des Klimaschutzes zu vergleichen.
Das Interesse an der Predigt des Johannes jedenfalls ist riesig. Jeden Tag ist er von einer Menschenmenge umlagert, die ihm zuhört und nicht wenige lassen sich dann auch wirklich von ihm in den Jordan tauchen. Allerdings geht er nicht gerade zimperlich mit den Leuten um. Ganz im Gegenteil. Fast möchte man meinen, er will sie sogar von dieser Taufe abhalten, denn er schnauzt sie geradezu an. Hören Sie sich das einmal an: [7b] Ihr Otterngezücht, wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? [8] Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. [9] Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
Wer möchte schon gerne so unter Generalverdacht gestellt werden, es nicht ehrlich zu meinen: Otterngezücht oder Schlangenbrut – das ist nicht wirklich nett. Aber das Geraderichten beim Kommen Gottes, das Johannes mit den Worten des Propheten Jesaja ankündigt, wird wohl nicht so ganz einfach sein – eher schmerzhaft. Wer würde sich da, um dem zu entgehen, nicht gerne ein Hintertürchen offenlassen? Wenn man hier und da ein paar gute Beziehungen hat, wird es dank dieser Beziehungen doch nicht so schlimm werden? Und das Vitamin „B“ zu Abraham, dem Stammvater des jüdischen Volkes, könnte da ja eine wichtige Rolle spielen. Solche Gedanken sieht Johannes bei der Menge vor ihm wohl sehr deutlich.
Aber sich in solcher falschen Sicherheit zu wiegen, das ist nicht nur für die Menschen ein Problem, die zu Johannes kommen. Auch bei Ihnen in Deutschland und der übrigen westlichen Welt meinen viele Menschen, es könnte einfach so weitergehen wie in den letzten sechzig, siebzig Jahren, man könne sich so durchlavieren. So schlimm werde es schon nicht werden. Dass die Weltgeschichte einen ganz anderen Verlauf nehmen kann, als gedacht, und dass ganz sicher geglaubte Privilegien plötzlich nicht mehr gelten, kann womöglich schneller Wirklichkeit werden, als es sich viele Menschen träumen lassen. Deshalb fordert Johannes einen echten Wandel.
Was allerdings die rechtschaffenen Früchte der Umkehr sein sollen, von denen dieser Prophet spricht, ist der Menge hier vor Ort auch nicht klar. Immer wieder habe ich gehört, wie [10] Johannes aus der Menge heraus gefragt wurde: Was sollen wir nun tun? Die Antworten kamen aber immer prompt und ließen an Klarheit nichts zu wünschen übrig: [11b] Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso. Teilhabe an einem Leben in Würde für alle. So ließe sich sein Programm wohl am besten umschreiben: Hunger und seine Blöße nicht bedecken zu können ist mit der Würde eines Menschen nicht vereinbar. Dass alle Menschen zumindest das Nötigste für ihr Leben haben, ist für Johannes aber wohl noch zu wenig.
Die Gerechtigkeit, die zwischen Menschen entsteht, wenn beide Seiten sich wirklich auf Augenhöhe begegnen können, ist für ihn wohl die vorweggenommene Gerechtigkeit, die dieser Prophet Jesaja vor Augen hat. Und Johannes ist auch hier unbequem deutlich. „Entweder ganz oder gar nicht!“, scheint er zu sagen: Nur den Ärmel eines Hemdes abzugeben, ist genau so sinnlos, wie eine knappe Handvoll Reis zu geben, die zum Überleben auch nicht reicht.
Immer wieder kommen auch Fragen aus der Menge, in denen es um spezielle Gruppen geht. [12] Es kam kürzlich eine Gruppe Zöllner, um sich taufen zu lassen. Im Leben der Menschen hier nehmen sie eine besonders schwierige Stellung ein: korrupt und mit den herrschenden Römern im Bunde. Auch deren Frage war: Meister, was sollen denn wir tun? [13] Auch hier eine klar und deutliche Antwort: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! Wer die Verhältnisse hier kennt, weiß allerdings, dass das für diese Menschen eine Forderung ist, die an Radikalität nicht zu überbieten ist. [14] Dies gilt auch für eine weitere Gruppe, die sich an den Täufer gewandt hat: Soldaten. Die Antwort des Johannes war eine Absage an jede Gewalt und Habsucht: Tut niemandem Gewalt noch Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!
Liebe Zuschauer in Deutschland, der Auftritt des Täufers hat weite Kreise gezogen. [15] Bei vielen, die sich den Traditionen und Verheißungen der Propheten verbunden fühlen, lässt sich eine unterschwellige Erregung wahrnehmen: Es gibt immer wieder Spekulationen, ob Johannes der Täufer vielleicht der „Christus“ wäre, der als der entscheidende Heilsbringer von diesen Leuten erwartet wird. Damit würde vor allem die – in den Augen vieler so verhasste – Römerherrschaft zu Ende sein.
Johannes hat allen diesen Spekulationen aber eine Absage erteilt. Da zeigen sich sein Realismus und seine charakterliche Größe. Denn auf diese Fragen [16] antwortete er allen: Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber der, der stärker ist als ich; ich bin nicht wert, dass ich ihm die Riemen seiner Schuhe löse; der wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. [17] In seiner Hand ist die Worfschaufel, und er wird die Spreu vom Weizen trennen und den Weizen in seine Scheune sammeln, die Spreu aber wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen.
Mit diesen Worten, so scheint mir, hat Johannes zwar die Aufmerksamkeit von seiner Person etwas ablenken können. Was die Erwartungen an den kommenden Erlöser betrifft, da hat er wahrscheinlich eher Öl ins Feuer gegossen. Die Spannung hat sich noch einmal gesteigert. Und sehr deutlich bin ich in der letzten Zeit auf die Ereignisse hingewiesen worden, die sich fast parallel zu der Geburt des Täufers zugetragen haben: Die lassen das Geschehen jetzt in einem besonderen Licht erscheinen.
Denn nach den allgemein zugänglichen Informationen haben sich damals vor etwa dreißig Jahren in der Verwandtschaft des Johannes sehr bemerkenswerte Dinge zugetragen: Ein halbes Jahr nach Johannes wurde in Bethlehem, der Heimatstadt des unvergessenen Königs David, ein gewisser Jesus geboren. Dessen Eltern stammten aus Nazareth und waren beide mit David verwandt.
Noch sind sich Johannes und dieser Jesus, der damals unter so bemerkenswerten Umständen geboren wurde, nicht begegnet; aber vieles – auch mache Äußerungen des Täufers – deuten darauf hin, dass dieser Jesus mit den Verheißungen des Propheten Jesaja noch in viel stärkerem Maße verbunden ist.
Die Erwartungen hier jedenfalls sind hoch und die Atmosphäre ist angespannt, denn [18] mit vielem andern mehr ermahnte Johannes das Volk und predigte. Hier am Jordan ist es jetzt allerdings ruhig geworden. Der Täufer ist zunächst weiter gezogen. Die Menge hat sich verlaufen. Und dann haben wir kurz vor dieser Schaltung eine Nachricht erhalten, die die Situation noch schwieriger machen wird: [19] Herodes, der Landesfürst, der von Johannes zurechtgewiesen wurde wegen seines Verhältnisses mit Herodias, der Frau seines Bruders, und wegen all des Bösen, das er getan hatte, [20] fügte zu dem allen noch dies hinzu: Er warf Johannes ins Gefängnis.
Ich bin gespannt wie es mit dem Täufer und der ganzen Situation hier weiter geht. Und damit gebe ich zurück nach Deutschland ins 21. Jahrhundert.
(kurze Pause) Damit blendet die Regie wieder zurück.
(Ortswechsel: vor dem Altar)
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Bruder und Herrn. Amen.