Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Der Predigttext für den heutigen Festtag steht im Evangelium nach Johannes, im 17. Kapitel. Es ist ein kleiner Abschnitt aus dem sogenannten „hohepriesterlichen Gebet“:
20 Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, 21 dass sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. (© Lutherbibel 2017)
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Kurz vor seinem Tod – schon in Jerusalem – tut Jesus das, was wohl alle Menschen tun, wenn sie vor einem entscheidenden Moment ihres Lebens stehen; besonders dann, wenn es wie bei Jesus auch buchstäblich um Leben und Tod geht. Jesus wird grundsätzlich und er hält seinen Jüngern eine Abschiedsrede, in der er noch einmal alles zusammenfasst, was ihm wichtig ist – drei lange Kapitel. Und danach geht diese Rede in ein großes Gebet über, in dem Jesus die Seinen der Liebe Gottes anbefiehlt.
Kurz vor seinem Tod hat Jesus seine Abschiedsreden gehalten und dieses Gebet gesprochen. Für die Jünger war es wohl kaum zu überblicken, was Jesus damit sagen wollte, welchen Horizont er ihnen damit eröffnet hat. Das ist ihnen erst nach Ostern klar geworden. Und für alle, die später zum Glauben an Jesus als den Christus gekommen sind, ist es das entscheidende Vermächtnis geworden, wie sie ihren Glauben und damit ihr Leben gestalten sollen.
Das macht dieses Gebet, das uns Johannes überliefert so bedeutsam. Und die beiden Verse, die es heute zu bedenken gilt, atmen schon den Geist des auferstandenen Christus; sie spiegeln den so wunderbar weiten Horizont, der uns mit Himmelfahrt gegeben ist. Denn an Himmelfahrt geht es nicht um die Frage, ob und wie auch immer Jesus in den Himmel entschwebt ist. Natürlich kann man das fragen, aber es hilft uns nicht weiter. Denn wir können es schlicht nicht beantworten. Wir können es nur als Bericht des Lukas zur Kenntnis nehmen.
Es geht bei der Himmelfahrt Christi um etwas ganz anders. Es geht – etwas überspitzt gesagt – um die Frage: „Wem gehört Jesus?“ Oder etwas ausführlicher: Wer kann für sich behaupten, dass er Jesus komplett für sich in Anspruch nehmen kann – und damit die Deutungshoheit über das, was das Christentum, den christlichen Glauben ausmacht? Wäre Jesus irdisch geblieben, hätten diejenigen das für sich tun können, die Jesus bei sich hatten: „Bei uns ist Jesus; wir haben unsere Informationen ganz direkt von ihm, niemand kann es authentischer sagen und bezeugen als wir!“ Alle anderen hätten keine Chance, auch wenn ihre Art, den christlichen Glauben zu leben, dem Glauben Jesu vielleicht viel mehr entsprochen hätte.
Einem solchen Besitzdenken einzelner Gruppen haben Gott und Jesus mit der Himmelfahrt einen ganz grundsätzlichen Riegel vorgeschoben. Keine christliche Gruppe konnte sich nach diesem Ereignis mehr in völliger Absolutheit auf die körperliche Gegenwart Jesu berufen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass es kein endgültiges Grab Jesu nach seiner Auferstehung gibt, das dann von diesen oder jenen gehütet würde, wodurch die dann auch eine Art Besitzanspruch auf Jesus geltend machen könnten.
Ich muss zugeben: Viele christliche Gruppen und Strömungen haben das bis heute immer wieder mit beängstigender Absolutheit behauptet: „Wir vertreten den absoluten Glauben; wir haben den einzig wahren Christus.“ Ich gestehe: Mir macht das Angst, wenn ich so etwas höre. Denn schon der irdische Jesus hat die Menschen um sich herum immer wieder in Erstaunen und sogar in Ärger oder Entsetzen versetzt, weil er ganz anders geantwortet und gehandelt hat, als es die Menschen um ihn herum erwartet hatten. Um wieviel mehr gilt das für Gott und den auferstandenen Christus? Um wieviel mehr gilt das, wo doch schon im Neuen Testament so unendlich viele Zugänge zu Jesus und Gott beschrieben werden, die sich zum Teil sogar gegenseitig ausschließen?
Ja. Es ist wichtig, so ernsthaft und deshalb so nah wie nur irgend möglich an das heranzukommen, was Jesus uns – auch in seinen Abschiedsreden – anvertraut hat. Aber: Wer das auf Kosten der anderen tut, die auch auf diesem Weg der Suche sind, ist wohl kaum noch auf dem Weg Jesu. Denn die Einheit aller, die sich auf Jesus berufen, ist von ihm in dem Abschnitt des Hohepriesterlichen Gebets als das entscheidende Merkmal aller Christen ganz besonders herausgestellt worden: „Auf dass sie alle eins seien!“
Jesus geht es nicht nur um seine aktuellen Jünger, seine direkten Nachfolger. Er sieht sie schon unterwegs in die Welt hinaus, um mit Worten und Taten davon zu zeugen, dass in diesem Jesus Christus das Leben zu finden ist. Alle, die durch Worte und Taten von Jüngerinnen und Jüngern zum Glauben finden – also auch wir und die, die durch uns nach uns kommen – sollen in dieser Einheit des Glaubens verbunden sein. Nicht in eintöniger Gleichheit. Das würde schon dem Wesen der Jüngergruppe nicht entsprechen. Wie unterschiedlich waren doch schon die Zwölf und und die Frauen und alle, die noch zum engeren Kreis der Nachfolger Jesu gehörten! Wie anders war schon Paulus, der Jesus persönlich ja nie kennengelernt hatte und doch zum Apostel berufen wurde. Nein – die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu sind so bunt und vielfältig, wie Jesus sie beruft und in unterschiedlichsten Gemeinschaften zusammenführt. Entscheidend ist der innere Zusammenhalt zwischen Gott und Jesus, den Jesus auf die Jünger überträgt. Wie er und sein Vater eins sind, so sollen, so werden auch die eins sein, die ihm nachfolgen – getragen von gegenseitiger Liebe und Achtung, wie Jesus sie den Jüngern vorher in seinen Abschiedsreden anbefohlen hat.
Wem gehört Jesus? Wir stellen fest, dass die Perspektive der Frage falsch ist. Durch die Himmelfahrt hat sich Jesus allem absoluten Besitzdenken jeder nur erdenklichen christlichen Gruppe entzogen. Wenn es eine Frage oder einen Satz mit einem „Wer gehört wem?“ gibt, dann ist es nur der eine Satz: „Wir gehören Jesus.“ Wir sind sein Eigen – zusammen mit allen, die mit uns auf diesem Weg sind; zusammen mit denen, die wir gut akzeptieren können, und mit denen, die es uns in unseren Augen nicht so einfach machen, die wir oft genug auch nicht verstehen. Das ist der Horizont, den Jesus uns mit seinem Gebet und mit seiner Himmelfahrt eröffnet. „Wir gehören Jesus!“ Das gilt es zu leben: als die eine Christenheit in aller ihrer Verschiedenheit. Dazu gibt uns Gott seinen Segen. Amen.