
Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Gemeinde am Erntedanktag!
Es ist einer der freudigsten Tage im Kirchenjahr: Wir sollen und wir wollen ja auch gerne „DANKE!“ sagen für das, was wir in einem Jahr als Ergebnis unserer Arbeit vor uns sehen. Und ich bin davon überzeugt, dass es bei vielen auch in diesem Jahr ganz viel ist, was wir vorzuweisen haben – ja auch trotz, bei manchen wegen Corona.
Dass wir im Herbst auf die Arbeit des Jahres zurücksehen – am Sonntag nach dem Michaelistag – und nicht an einem anderen Tag, liegt in unserer Geschichte als agrarischer Gesellschaft begründet. Sonst hätte es ja auch der 1. April sein können (da endete früher das Schuljahr) oder der 31. Juli (wenn heute das Kindergartenjahr endet). Es könnte auch der 31. Dezember sein (wenn das Kalenderjahr endet) oder der 1. Advent, wenn ein neues Kirchenjahr beginnt.
Aber: Wir bedenken die Arbeit eines Jahres und wir danken für den Ertrag eines Jahres im Herbst, am ersten Sonntag im Oktober – weil Michaelis seit Alters her der Tag der Abrechnung von Steuern und Abgaben auf den Höfen war; denn dann war da ja etwas zu holen – nach der Ernte. Das Pachtjahr orientiert sich bis heute daran.
Unsere Arbeit bedenken und ihr Ergebnis – sichtbar ist das hier in der Kirche mit den Erntegaben – den Früchten vom Feld und aus dem Garten mit seinen Bäumen und Büschen. Und das ist wichtig, denn das alles erinnert uns daran, dass es diese grundlegenden Dinge sind, die unser Leben sichern. Ohne Essen und ohne Trinken – das ist bestimmt genau so wichtig – wäre alles andere in unserem Leben nicht möglich.
Und trotzdem sind diese Früchte und das, was wir aus ihnen gemacht haben – Kartoffeln und Marmelade, eingemachte Gurken und frische Birnen – auch ein Zeichen für das, was wir in ganz anderer Form gearbeitet haben und dessen Ertrag wir hoffentlich betrachten können: in der Firma, in der wir arbeiten, und in der Schule; in dem Verein, in dem wir uns engagieren und in unserer Familie (im Haushalt, bei der Erziehung der Kinder und bei der Betreuung und Begleitung der altgewordenen Generation).
Mit all dem sind wir heute Morgen da; wir haben es bestimmt ganz deutlich vor Augen und können mit dem tiefen Gefühl von Dankbarkeit diese fünf Buchstaben als Wort formen: „DANKE!“ Denn wir wissen, dass es nicht nur unsere Leistung ist, dass es so gekommen ist. Wir glauben, dass Gott die Grundlage dafür ist, dass uns dieses oder jenes gelungen ist. Wir glauben, dass Gott die Grundlage dafür ist, dass wir auch nach Lebens-Trockenheit und Lebens-Sturm, dass wir trotz mancher Niederlagen immer noch etwas haben, wofür wir danken können – manchmal vielleicht wirklich nur unter bitteren Tränen, aber eben doch. Ja – das glauben wir; und angesichts der Unwägbarkeiten der Zukunft wollen wir auf Gott vertrauen, dass wir im neuen Jahr mit seiner Hilfe mit unserer Arbeit Erfolg haben werden und eine Ernte einbringen können.
Deshalb ist Erntedank einer der freudigsten Tage im Kirchenjahr. Die dankbare Freude über die so vielfältige Ernte dieses Jahres entsteht nämlich nicht vor der Negativfolie dessen, was in unserer Welt und in unserem Leben schief läuft. Wir müssen nicht erst über intensive Landwirtschaft einerseits und die unzureichenden Erträge der Landwirte aus ihrer Arbeit andererseits schimpfen; wir müssen nicht über die weltweite Gefährdung der Natur und das Artensterben durch die Klimakatastrophe lamentieren oder die Überflussgesellschaft mit ihrer Wegwerfmentalität anprangern – bloß um uns dann mit schlechtem Gewissen doch noch ein wenig und über die eigene Ernte unserer Arbeit zu freuen.
Das ist jedoch in vielen Predigten, die ich zum heutigen Tag gelesen habe, die Struktur. So kommen wir aber nicht weiter; ein Erntedank mit schlechtem Gewissen über das eigene Ungenügen ist bestimmt nicht im Sinn Gottes und es setzt doch keine Energie frei. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Aus der freudigen und glaubenden Dankbarkeit über Gottes Güte, die uns das Gelingen und die Frucht unserer Arbeit schenkt, erwächst die Kraft, auch das zuversichtlich anzugehen, was in diesem Arbeits- und Erntejahr nicht gut gewesen ist. Denn wir wollen und wir dürfen uns bestimmt nicht davor verschließen, dass in vielen Bereichen unseres Lebens und unserer Erde die Not groß ist, oft genug viel größer, als wir es uns vorstellen können.
An dieser Stelle kommt für mich der Predigttext ins Spiel, den wir eben gehört haben. Ich lese ihn als eine Anweisung Jesu, wie wir aus der Freude über Erntedank ganz grundsätzlich leben sollen:
Jesus sieht die Menschen, die ihm zugehört haben: wieder einmal eine große Menge. Die Menschen haben Hunger nach dem, was er ihnen von Gott sagen kann; sie kommen, weil sie von ihm geistliche Speise erhoffen. Markus berichtet nicht, dass Jesus dafür dankt, aber es ist ein großer Grund für Dankbarkeit. Jesus sieht aber auch die Not der Menschen, die nicht nur hungrig nach dem Wort Gottes sind, sondern auch einen knurrenden Magen haben. Jesus sieht sie und es geht ihm richtig an die Nieren.
Und so macht er Bestandsaufnahme: Was haben wir? Und auch wenn es angesichts der großen Zahl von Menschen nicht der Rede wert zu sein scheint, sagt er zu allererst für die sieben Brote „DANKE!“ Dann teilt er sie und lässt sie von den Jüngern verteilen. Ebenso sagt er Gott für die paar Fische „DANKE!“ Und er lässt auch die verteilten.
Sieben Brote – und es reicht. Die Leute werden satt und es bleibt sogar etwas übrig! – Ein Wunder? Ich weiß es nicht. Es macht aus meiner Sicht jedenfalls keinen Sinn, mit einer plumpen psychologischen Erklärung zu kommen, die einfach sagt: Die Menschen haben doch noch etwas in den Taschen gehabt und es dann einfach mit den anderen geteilt. Vielleicht ist es das auch gewesen. Aber es ist darüber hinaus noch etwas Anderes geschehen, das über solche einfachen Erklärungen hinaus geht, und was für die Beteiligten so beeindruckend war, dass sie es glaubwürdig weiter erzählt haben.
Ich möchte auf die Fülle sehen, die sich in den sieben Broten verbirgt. Denn „Sieben“ – das ist die Zahl der Vollkommenheit. Diese sieben Brote waren einfach genug – genug sogar, um das Übriggebliebene aufzusammeln und wiederum in sieben Körbe zu füllen.
Schließlich lässt Jesus die Menschen gehen – wieder hinaus in ihr je eigenes Leben: Nach drei Tagen mit ihm, mit Jesus, in der tödlichen Wüste lässt Jesus die Menschen aufstehen und zurück in ihr Leben gehen. Das hat für mich einen ganz besonderen Klang: Nach drei Tagen aufstehen und ins Leben gehen – das heißt für mich: Auferstehung zum Leben nach dem Dank für die Fülle Gottes in den sieben Broten.
Mögen auch wir aufstehen und auferstehen und so gestärkt in unser Leben zurückgehen: Mit dem fröhlichen Dank für die Ernte dieses Jahres und mit der Kraft, die uns auch die Not unseres Lebens angehen und wenden lässt, dass wir das tun was not-wendig ist. Amen.