
Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Gemeinde am 3. Advent!
Zacharias – sein Lobgesang steht im Mittelpunkt und damit er selbst. Zacharias, der Vater von Johannes dem Täufer, der der entscheidende Wegbereiter für Jesus werden sollte. Zacharias, dem der Engel Gabriel im Tempel von Jerusalem erschien, um ihm seinen Sohn Johannes anzukündigen, obwohl Zacharias und Elisabeth für Kinder doch schon viel zu alt waren. Zacharias, der als Priester am Tempel in Jerusalem seinen Dienst tat und als Vater des Johannes zu einer entscheidenden Übergangsgestalt vom Alten zum Neuen wurde.
In den Evangelien sind diese Übergänge vom Alten zum Neuen ganz wichtig. Bei Matthäus und Lukas gibt es die Geburts- und Kindheitsgeschichten zu Beginn und die Auferstehungs-, Himmelfahrts- und Aussendungsgeschichten als Nachklang. Geprägt sind diese Abschnitte durch Menschen wie Zacharias. Sie sind – um es in ein Bild zu fassen – wie Fährleute, die die Leserinnen und Leser vom einen auf das andere Ufer der Zeit geleiten.
Für den Übergang von der Zeit mit dem irdischen Jesus in die nachösterliche Zeit des „Nicht-Schauens“ ist Thomas, der Zweifler, die klassische Übergangsgestalt: für die Zeit nach Ostern, wenn Jesus nicht mehr greifbar ist.
Diesem Zweifler Thomas entspricht am Anfang des Evangeliums der alte Zacharias bei Lukas. Zacharias ist der Thomas des Advents – angesichts der kommenden Zeit des irdischen Jesus. Wie Thomas fordert er ein Zeichen und bekommt es – aber ganz anders als er es erwartet. So wird er zur Übergangsgestalt zwischen Altem Testament und dem Beginn der Christusgeschichte.
Schon sein Name Zacharias ist dabei Programm, denn der bedeutet „Der Herr gedenkt“ und was der Erzengel Gabriel ihm im Jerusalemer Tempel sagt, enthält die letzten Worte der griechischen Fassung des Alten Testamentes als Brücke zwischen dem Alten und dem Neuen. Ja, mit dem Engel Gabriel bei Zacharias erfüllt sich die Verheißung des Boten Gottes im Tempel in Jerusalem aus dem Propheten Maleachi. Das Kommen Jesu ist das Gedenken Gottes an sein Volk.
Zacharias reagiert auf die Ankündigung des Neuen in drei Schritten: mit Zweifeln, mit Schweigen und schließlich mit Singen. Und er ist damit zum Vorbild geworden für alle, die das Evangelium als etwas immer wieder neu Irritierendes erfahren.
Am Anfang steht der Zweifel. Zacharias ist zusammen mit Thomas auch beileibe nicht der Einzige, dem es so ergeht. Ob Ostern und Weihnachten – das Neue, das Wunderbare, das Evangelium löst bei den Menschen zuerst Skepsis, Vorbehalte und Missverstehen aus. Denn der Glaube an das Evangelium ist eine unmögliche Möglichkeit. Mit Martin Luther im Kleinen Katechismus gesprochen: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann.“ Und weil das für Ostern wie für Weihnachten gilt, braucht es jeweils eine entsprechende Vorbereitungszeit: Advent und Passion – als Kopfwüsten des Glaubens. Zweifel, Vorbehalte und Skepsis sind notwendig um das Neue vorzubereiten. Kein Glaube ohne Zweifel, kein Ostern ohne Thomas, kein Advent ohne Zacharias. Thomas Latzel, Leiter der Ev. Akademie in Frankfurt, sagt es so: „Zweifel sind die notwendigen kreativen Wehen von Wahrheit und Wundern.“
Im zweiten Schritt wird Zacharias selbst zu dem Zeichen, das er sich wünscht: Er kann nicht mehr reden, denn das, was ihm geschehen ist, das lässt sich nicht in Worte fassen. Ganz ähnlich wie das Zweifeln hilft das Schweigen, das Geschehen werden zu lassen – es ist vielleicht so etwas wie der Dienst einer Hebamme bei der Geburt. So wie Zacharias neun Monate nicht redet, so schweigt und fastet Jesus 40 Tage in der Wüste, bevor er zu wirken beginnt; und in der Passionsgeschichte schweigt Jesus ab einem bestimmten Zeitpunkt vor Pilatus.
Zacharias verschlägt es durch die unglaubliche Anrede des Engels die Sprache und dadurch hat diese Anrede in Zacharias den Raum, den sie braucht: zur inneren wie äußeren Vorbereitung auf das Neue, das kommt. Vielleicht wäre das auch für heute etwas sehr Heilsames: Ein „Wörter-Fasten“ in der Kirche des Wortes. Ja, in Zeiten von medialer Dauerbeschallung mit Wort und Bild möchte ich manchmal auch still und stumm und so zum Zeichen werden: „Und sagt kein einziges Wort.“ – als Predigt, als Verkündigung, die statt auf die Stimme, auf die Beredtheit der Stille traut.
Für Zacharias ist die Stille nicht selbst gewählt; sie widerfährt ihm von außen. Und so führt diese Stille auch wieder aus ihm heraus in einen aus der Stille geborenen Gesang – nach dem Zweifel und dem Schweigen das Singen als dritter Schritt. Was die Träume der Weisen und Josephs in den Vorgeschichten bei Matthäus sind, das sind die Lieder bei Lukas: die Lobgesänge von Maria, Zacharias und Simeon. Sowohl durch die Träume bei Matthäus als auch durch die Lieder bei Lukas wird die göttliche Wirklichkeit für die Menschen erfahrbar.
Diese göttliche Wirklichkeit ist nicht einfach so zu sagen und zu erzählen, sie ist unsagbar. Wovon man aber nicht sprechen kann, davon muss man schweigen oder singen. Denn das Singen macht den ganzen Leib zum Klangkörper; die Menschen werden beim Singen selbst zum Resonanzraum. Ich erfahre so an mir selbst, was ich sage; ich bin, was ich singe. Auf diese Weise gewinnt das Neue, die Frohe Botschaft, durch mein Lied an und in mir selbst Gestalt, wird das Erhoffte zur anbrechenden Wirklichkeit. Deswegen, wegen seiner vorwegnehmenden Wirkung, ist das Singen von so zentraler Bedeutung im Advent: Es wird schon zeichenhaft Wirklichkeit, wovon es verheißungsvoll spricht. Nicht von ungefähr galt Johannes, der Täufer, deshalb früher einmal als Patron der Kirchenmusik, weil seine Geburt die Lippen seines Vaters gelöst hatte.
Das „Benedictus“, der Lobgesang des Zacharias, ist zusammen mit dem „Magnificat“, dem Lobgesang der Maria, und dem „Nunc dimittis“ des greisen Simeon fester Bestandteil im gesungenen Stundengebet in der katholischen und in der evangelischen Kirche. Gesungen wird das Benedictus in der Laudes, also im Morgengebet und spiegelt damit das Nachdenken über den neuen kommenden Tag mit einer „morgendlichen Theologie“: voller träumender Erinnerung und hoffnungsvollem Neuanfang, die sich in den zwei Teile des Gesangs verbinden.
Der erste Teil von Zacharias Lobgesang erinnert an und bewahrt den Zusammenhalt mit dem Vergangenen. Er erinnert an David, an die Väter und den Heiligen Bund, den Eid, den Gott Abraham geschworen hat. Das Evangelium, das Lukas in den folgenden Kapiteln erzählt, ist also ganz tief und fest in der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel verankert. Hier spricht der Priester Israels, der Zacharias war.
Im zweiten Teil geht es dann um das Kind Johannes und damit um den Blick nach vorne in die Zukunft. Johannes ist der Wegbereiter Christi; er ist der vorausweisende Prophet und vermittelt das so sehnlich erwartete Licht. Er setzt alle, die sich darauf einlassen, auf den richtigen Weg, auf den neuen Weg des Friedens. In einem Film könnte das ganze folgende Evangelium so etwas wie ein Roadmovie über diesen Friedensweg sein.
Die „morgendliche Theologie“ blüht in den letzten Versen besonders auf: das Licht aus der Höhe, das aufgeht und es denen hell macht, die vorher noch in Finsternis und Todesschatten gesessen haben; das aufgehende Licht, das die Füße der Menschen auf den Weg des Friedens ausrichtet. Anbrechendes Licht – Vergehen der Nacht – Aufbruch auf einen neuen Weg. Das meint Advent.
Und der zweifelnde, schweigende und zum Schluss singende Zacharias kann auch für uns heute ein Wegbereiter für Christus sein. Zusammen mit dem zweifelnden Thomas am Ende umfasst er am Anfang das eigentlich unsagbare Evangelium von der Liebe Gottes zu den Menschen. Damit eröffnet Zacharias auch uns heutigen Menschen mit unseren Fragen und Zwiespälten den Raum, den wir brauchen. So wird er für uns zur Übergangsfigur in die Zeiten des anbrechenden Lichtes aus der Höhe.
Amen.
Die Predigt basiert auf den Gedanken von Thorsten Latzel in den Göttinger Predigtmeditationen, die ich gerne aufgenommen und an einigen wenigen Stellen (fast) wörtlich zitiert habe (Gött. Predigtmed. 75, S. 37-43).