Barmherzigkeit Gottes, Misericordias Domini – das ist der Name dieses Sonntags. Und wie so oft sind Namen ja nicht nur irgendwelche aneinander gereihte Buchstaben, sondern haben ihre Bedeutung und ihren Sinn. Der Sonntag erzählt uns, was es mit diesem Gott auf sich hat, der sich mit Jesus Christus ein menschliches Gesicht gegeben hat. Er erzählt es mit einem uralten Bild, das trotz allen Fortschritts, trotz aller Maschinen und aller Technik immer noch verstanden wird, weil es ganz tief in uns etwas zum Schwingen bringt: Gott ist wie ein verantwortungsvoller Hirte, der sich aufopferungsvoll um die Menschen, seine Herde kümmert.
Aber es gibt auch Anfragen an dieses Bild: Zum einen wollen wir nicht einfach nur die Schafe sein, die sich lammfromm, also willenlos und unkritisch von ihrem Hirten führen lassen. Wir sind nicht unmündig und unfrei und wir wollen durchaus Verantwortung für das übernehmen, was wir tun. Aber das ist auch gar nicht Gottes Absicht mit uns. Er ruft uns immer wieder zu, diese Verantwortung für unser Leben wahrzunehmen. Mit seinem Hirtesein bietet uns Gott einen Lebens-Raum an, in dem wir unser Leben eigenverantwortlich leben können und sollen.
Zum anderen bringen Menschen das Bild vom guten Hirten in Misskredit, die zwar diese Funktion wahrnehmen, aber nicht seine Aufgabe erfüllen: Bei solchen Fake-Hirten steht der eigene Vorteil im Mittelpunkt und nicht die Fürsorge für die ihnen Anvertrauten. Vor allem beim Propheten Ezechiel geht Gott mit diesen falschen Hirten scharf ins Gericht. Jesus nimmt dies auf und verwirft den verantwortungslosen Mietling als ungeeignet.
Gerade in unseren Zeiten scheint es nun ganz leicht, Menschen in unterschiedlichsten Leitungspositionen als solche ungeeigneten Hirten zu identifizieren. Ob man mit solchen Urteilen und Verurteilungen recht hat, sei dahin gestellt. Ein pauschales Hirtenbashing würde in jedem Fall auf dem halben Weg stehen bleiben. Denn sowohl Gott bei Hesekiel als auch Jesus im Evangelium nach Johannes spannen den Bogen weiter.
Und hier kommt erneut zum Tragen, dass es keine blind-ergebenen Herdentiere sind, die unkritischen einem Leithammel hinterher trotten. Gott und Jesus stellen vielmehr ihr Hirtenprogramm vor und stellen es denen der Fake-Hirten gegenüber. So fordern sie uns zur Entscheidung heraus, wem wir denn folgen wollen. „Wem vertraue ich mich mit meinem Leben an?“ Diese uralte und immer neue Frage stellt sich uns angesichts der Unsicherheiten des Lebens und sie will und muss beantwortet werden. Denn wenn ich mich vor einer Antwort drücke, gebe ich denen von ganz alleine Macht über mich, die mich als Mittel zu ihrem Zweck brauchen.
Der Beter von Psalm 23 malt uns in einem Bekenntnis das Bild vom guten Hirten vor Augen. Und das ist weit mehr als nur eine romantische Kitschidylle, die heute ihre Strahlkraft verloren haben könnte. Es nimmt nicht nur unsere tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit auf. Das Bild vom guten Hirten fordert uns heraus, unseren Lebensweg bewusst selbst zu wählen.
Die Worte von Psalm 23 zeigen, wie ein Mensch in der Verbindung mit Gott lebt: im weiten Raum der Fülle, die Gott für seine Menschen bereitstellt – trotz der finsteren Täler mit Zeiten von Verunsicherung, Einschränkungen und Verzicht, die es im Leben auch immer wieder gibt.
Und von der Seite Jesu Christi gibt es für diese Entscheidung im Namen Gottes das Versprechen, bis zum Letzten da zu sein. Niemand bleibt bei Gott sich selbst überlassen und damit im entscheidenden Moment verlassen, niemand geht verloren. Denn das würde dem Willen Gottes widersprechen.
Daraus ergibt sich die Richtung, wie auch die handeln sollen, die in Gemeinschaft mit Jesus miteinander verbunden sind: voller Hingabe einander beizustehen und das Verlorene zu suchen, zu trösten und zu heilen. So wird die Barmherzigkeit Gottes, wie sie im Bild vom Guten Hirten beschrieben wird und dem Sonntag ihren Namen gegeben hat, sichtbar und erfahrbar. Amen.