Predigt am Heiligen Abend in Holtrup

Predigt-Icon5Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Gemeinde am Heiligen Abend!

Mit Geheimnissen ist das so eine Sache. Wir alle kennen die schönen Geschichten von kleineren Kindern, die vor lauter Begeisterung, dass sie zum Beispiel mit ihrem Papa zusammen ein Geheimnis haben, es prompt der Mama verraten: „Mama, Mama, Papa und ich habe ein Geheimnis und ich verrate dir bestimmt nicht, dass du von Papa ein neues Armband bekommst.“

Auch vom christlichen Glauben wird gerne gesagt, dass er ein Geheimnis enthielte oder gar ein Geheimnis wäre. Seit frühester Zeit ist das so, der Predigttext für den Heiligen Abend beginnt mit der Feststellung dieses Geheimnisses. Im 1. Timotheusbrief heißt es im 3. Kapitel am Anfang von Vers 16: Groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens.

Was ist das für ein Geheimnis? Es gibt doch nichts, was aus dem christlichen Glauben nicht bekannt wäre. Alles ist öffentlich und kann nachgelesen werden. Es ist seit der Zeit der frühen Kirche immer wieder betont worden, dass es im Christentum gerade keine Geheimlehren gäbe, die man erst nach einer besonderen Prüfung erfahren dürfte. Es gibt keine Christen erster und zweiter Klasse. Alle sind sie durch ihre Taufe und damit auch vor Gott gleich, alle haben sie in ihrer Taufe den Heiligen Geist empfangen.

Auf der anderen Seite machen Menschen in unserer Zeit die Erfahrung, dass sie mit dem christlichen Glauben nicht zurecht kommen, weil sie ihn nicht verstehen, weil sich dieser christliche Glaube – und damit auch Weihnachten – der Betrachtung mit naturwissenschaftlichen und historischen Methoden entzieht. Also doch ein Geheimnis, das nicht alle entschlüsseln können?

Es tut mir leid, ich tue es aber auch sehr gerne: Ich muss Sie am Heiligen Abend ein wenig in die Feinheiten der griechische Sprache entführen, um zu klären, warum der christliche Glaube – und damit auch Weihnachten – beides ist: so etwas wie ein Geheimnis und doch offenbar; oder: kein Geheimnis im heutigen Sinn und doch für manche unverständlich.

Das griechische Wort, das an unserer Textstelle mit „Geheimnis“ übersetzt wird, ist Musthrion. Und dieses Wort meint vor allem etwas anderes, als dass ein Sachverhalt geheim wäre. Das Wort Mysterion kennzeichnet den Inhalt einer kultischen Feier; und es kennzeichnet diesen Inhalt als unaussprechbar, weil – und das ist das Entscheidende – weil dieser Inhalt dem Verstand nicht zugänglich ist. Der Eingeweihte hat am heiligen Geschehen nicht rational-erkennend Anteil – es geht nicht um das Verstehen dessen, was da vorgeht; sondern der Feiernde wird in einer tieferen Schicht des Erlebens ergriffen. Der Inhalt der Mysterienfeier, der Inhalt des Mysteriums ist in diesem alten Sinn also nicht geheim, sondern er ist schlicht mit menschlichen Worten nicht zu erklären.

Das gilt eben auch für den christlichen Glauben: Er ist nicht geheim aber er ist eben mit unseren heutigen und auch mit den damaligen Denkstrukturen nicht zu erfassen. Um christlichen Glauben zu erfahren, muss man dabei sein und mitfeiern; man muss sich mit hineinnehmen und etwas an sich geschehen lassen. Deshalb ist für mich die absolute Konzentration auf die Predigt als eine Art Wissensvermittlung, wie Gottesdienst auf evangelischer Seite lange verstanden wurde, so wenig hilfreich. Glauben, das Mysterium des Glaubens beruht nicht zuallererst auf Wissen.

Das macht es zum Beispiel im Konfirmandenunterricht so schwer, über Taufe und Abendmahl zu sprechen – im Gegensatz zu Themen wie Bibel, Jesus Christus, 10 Gebote und Geschichte Israels. Taufe und Abendmahl sind so sehr Teil von diesem Mysterium, das so unaussprechlich und nur im Vollzug erfahrbar ist.

Deshalb möchte ich unseren Predigttext lieber so anfangen: Groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Mysterium des Glaubens. – Nicht, weil es so schön exotisch klingt, sondern weil das Wort „Geheimnis“ uns auf eine falsche Spur führt. Ein Geheimnis im Sinn der Weihnachtsüberraschung mit dem Armband kann gelüftet oder verraten werden, und wird dann wertlos. Das Mysterium will gefeiert werden und behält im Feiern seinen Wert.

Natürlich müssen Christen auch über ihren Glauben reden. Christen mussten – damals in den ersten Jahren ebenso wie wir heute – in Worte fassen, was die Hoffnung ist, die Christen durch das Leben trägt. Das Mysterium des Glaubens kann und soll auch beschrieben werden, allerdings ist das nur in Annäherungen möglich: Annäherungen, die unseren Verstand auf der einen Seite zufrieden stellen, die auf der anderen Seite aber Raum lassen für das, was unaussprechlich ist. Der Rest des Predigttextes ist so ein Versuch einer Annäherung an das Mysterium des Glaubens.
Da schreibt Paulus nach seinem Einleitungssatz „Groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Mysterium des Glaubens“: Christus ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, / erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, / geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.

Es sind drei Begriffspaare, die jeweils einander entgegengesetzt sind: offenbart im Fleisch – gerechtfertigt im Geist, / erschienen den Engeln – gepredigt den Heiden, / geglaubt in der Welt – aufgenommen in die Herrlichkeit. Diese drei Begriffspaare sind – wenn wir so wollen – eines der ältesten Christus- und damit Glaubensbekenntnisse, die uns überliefert sind. Es spricht von der besonderen Rolle, die Christus in der Ordnung der Welt einnimmt.

Ich will ein Bild verwenden, um zu beschreiben, wie das mit den Gegensatzpaaren funktioniert. Sie alle wissen, wie ein Würfel aussieht: Er hat sechs Seiten, von denen jeweils zwei einander gegenüber liegen und einander zugeordnet sind, sodass die Summer der Augen immer sieben ist. Stellen wir uns dazu diesen Würfel nicht aus einem Stück Material vor, sondern als einen Raum mit sechs Seitenflächen, so haben wir ein Bild als Verstehenshilfe für den Predigttext. So einen Würfel, so einen Raum der Annäherung hat uns der Apostel überliefert: Sechs Aussagen zu dem Mysterium Jesus Christus, von denen zwei sich jeweils gegenüber liegen, und die so einen Erfahrungsraum des Glaubens bilden, in den wir als Christen hineingestellt sind.

Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist – Mit dem ersten Flächenpaar des Glaubens-Würfels sind wir mittendrin im weihnachtlichen Geschehen. Er – gemeint ist Christus – ist offenbart im Fleisch: Im Menschen Jesus ist Gott uns ganz nahe gekommen – gegen alle Erwartung und in unsere menschliche Welt wird dieses Kind geboren! Ins Dunkel hinein, in eine verlorene Welt, ins Zerbrochene, Unfertige – bis heute. Weihnachten erinnert wieder neu daran, dass Gott seine – also unsere – Welt nicht abgeschrieben hat. Es gilt für jede und jeden von uns und für alle Welt gemeinsam: „Christ der Retter ist da.“

Aber so sehr dieser Retter ein Mensch ist, so sehr wurde er von einem Einfluss bestimmt und getragen, der sich in dieser Form uns Menschen entzieht: Jesus war ganz und gar bestimmt vom Heiligen Geist, der ihn zum Sohn Gottes machte. Und alle, die in diesem Jesus die göttliche Herkunft entdecken, werden selbst durch Gott neu geboren und zu Gottes Kindern.

Erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden: Es ist ein Denken in zwei Welten. Das zweite Flächenpaar des Glaubens-Würfels verdeutlicht uns das ungeheure Ausmaß der Verkündigung. Jesus gehört als Sohn Gottes in die Welt der Engel. Und seine Botschaft reicht unvorstellbar weit: Dass der christliche Glaube heute unseren Erdball umspannt, scheint für uns nach 2000 Jahren Geschichte des Christentums nichts Besonderes mehr zu sein. Aber welch eine Vision, welch eine strahlende Zuversicht müssen die ersten Christen gehabt haben, dass sie den Horizont ihrer eigenen Verkündigung nicht an der Grenze ihrer Stadt, sondern irgendwo am Ende der Welt bei den Heiden enden ließen. Sie reicht über Grenzen und Zeiten bis zu uns heute, denn Gott ist es wichtig, dass wir von seinem Heil für uns erfahren. „Gepredigt den Heiden“ ist da nur eine kleine Andeutung von dem Ausmaß der Verbreitung des Glaubens.

Das letzte Flächenpaar des Glaubenswürfels vergegenwärtigt uns in einer weiteren Variation den Gegensatz und zugleich die Beziehung zwischen den beiden Extremen von himmlischer Sphäre und menschlicher Welt: Geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.

Geglaubt in der Welt, schreibt Paulus. Auf dem ganzen Erdkreis, verbreitet unter der ganzen Menschheit, aber nicht: geglaubt von der ganzen Welt oder von allen Menschen. Es gibt Menschen, die das alles nicht glauben – nicht glauben können oder wollen. Paulus denkt ganz realistisch. Das Mysterium erschließt sich ja nur, wenn ich mich ihm öffne und mich hineinbegebe. Aber: Geglaubt in der Welt – alles, was wir heute Abend bedenken und feiern, ist eine Einladung zum Glauben.

Mit der gegenüberliegenden Seite des Würfels wird uns die Perspektive des Lebens eröffnet: Aufgenommen in die Herrlichkeit. So verdeutlicht Paulus, dass Christus nicht im Fleisch, im Leben der Menschen geblieben ist und damit auch nicht im Tod der Menschen. Mit der Auferstehung nach seinem Tod am Kreuz verbindet sich die irdische Welt neu mit der himmlischen Sphäre und schließt so den Kreis, der mit der Menschwerdung begonnen hatte. So scheint etwas von Gottes Zukunft auf. Wir blicken schon jetzt in die Zukunft, die unserem vergänglichen Leben zugesagt ist. Wir sehen die Strahlen des Lichterbaums, der die Herrlichkeit von Gottes Schöpfung spiegelt, und hören in unserem Weihnachtsgesang den Klang jener himmlischen Chöre, die den Kosmos, für uns nicht wahrnehmbar, immer erfüllen. Wir leben unter Menschen mit ihren guten, aber auch schlimmen Geheimnissen und dürfen ahnen, dass unsere guten wie unsere schlechten Seiten durch Christi Tod und Auferstehen in unermesslicher Gnade aufgehoben sein werden.

Am Ende frage ich mich, ob das denn eine Weihnachtspredigt war. Der ganze Weihnachtsgottesdienst, das ganze Weihnachtsfest ist eine Feier des Mysteriums von der Verbindung Gottes zu uns Menschen. Auf viele, immer neue und verschiedene Weisen werden wir von Gott in seine Wirklichkeit hineingenommen. Auch die Weihnachtsgeschichte des Lukas, die wir vorhin wie jedes Jahr gehört haben, ist eine Annäherung und Umschreibung des Mysteriums des christlichen Glaubens, die uns in Bildern anschaulich macht und erleben lässt, was es heißt, dass der unendliche Gott sich den Menschen zugewandt hat. Die Weihnachtsgeschichte ist wahr, sogar unabhängig davon, ob sich alles so – historisch nachweisbar – zugetragen hat, wie Lukas das beschreibt, oder nicht. Denn mit dieser Weihnachtsgeschichte erleben wir etwas vom Mysterium Gottes in unserer Welt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Bruder und Herrn. Amen.

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