Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus am Weihnachtsmorgen!
„Und sie hatten keinen Raum in der Herberge.“ Dieser Satz aus dem ersten Teil der Weihnachtsgeschichte geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Und zwar nicht erst seit den letzten Wochen: seit die Bilder von Flüchtlingen uns allabendlich im Fernsehen und morgens in der Zeitung beschäftigen – vor allem in Verbindung mit Demonstrationen, bei denen Menschen sich auch gegen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge und für ein rigoroseres Abschieben von abgelehnten Flüchtlingen einsetzen. Ich weiß – Maria und Joseph sind in dem Moment, als sie in Bethlehem ankommen keine Flüchtlinge – noch nicht. Aber sie sind eben auch nicht freiwillig unterwegs. Maria und Joseph stehen in ihrer Notsituation vor zugeknallten und damit wieder verschlossenen Türen.
Wie reagieren wir, wenn jemand bei uns vor der Tür steht und uns eröffnet: Ich will bei dir wohnen? Manche haben vielleicht noch die Zeiten direkt nach dem 2. Weltkrieg vor Augen, als Menschen vor der Tür standen, die einziehen sollten, weil die Behörden das so verfügt hatten. Da stand die Macht der Behörde dahinter und es gab keine Ausflüchte.
Aber stellen wir uns vor: Heute steht jemand ganz unverhofft vor der Tür – ein entfernter Verwandter; ein Bekannter, der gerade aus seiner Wohnung rausgeflogen ist – wie auch immer. Und er oder sie sagt: „Ich will bei dir wohnen!“ Wir würden wohl erst einmal schlucken und dann fallen uns tausend Gründe ein, warum das gerade nicht geht: „Es ist nicht aufgeräumt; es passt nicht, weil ich gleich noch einmal für längere Zeit weg muss; ich habe nur ein Badezimmer!“ Wir könnten die Liste von Gründen unendlich fortsetzen. Es finden sich immer noch andere Gründe, warum es nicht gehen würde. Ja, wenn es ein Schlagerstar oder sonst eine Berühmtheit wäre, dann … Von dem oder der würden wir uns ja auch einen Vorteil erhoffen, welchen auch immer. Aber bei diesen Habenichtsen vor der Tür? Da kommt eben das Badezimmer zum Tragen.
Wichtig ist in meinen Augen bei allen diesen Gründen eines: Sie werden vorgebracht, weil sich die Situation des Wohnungsinhabers von einem auf den anderen Augenblick radikal verändern würde. Es bleibt ganz gleich, welche angeblichen Gründe vorgebracht werden: Aufräumen kann ganz schnell geschehen und ein Badezimmer kann man nacheinander benutzen. Menschen – wir – sind oft genug unfähig, uns mal eben auf eine neue Situation einzustellen und unser Leben umkrempeln zu lassen. Wenn, dann soll es gut überlegt sein – alle Risiken sollten mit den Vorteilen abgewogen sein. Und dann wären wir – vielleicht – bereit, unser Leben zu ändern. Selber zu ändern, nicht von außen ändern zu lassen. Ich sage es nicht als Vorwurf, ich stelle es einfach nur fest und bin mir ganz sicher: Mir geht es ebenso.
Und nun steht wirklich einer vor der Tür und sagt: „Ich will bei dir wohnen!“ Ja, er sagt auch noch dazu: „Freue dich und sei fröhlich!“ Diese Worte sind in das unaufgeräumte Leben von Menschen hineingesprochen, die selber gar nicht wissen, wie es weiter gehen soll; die selber kein Badezimmer haben, weil rings um sie herum noch alles in Trümmern liegt und die Zukunft nur düster aussieht, weil es einfach nicht vorangeht. Lange vor Weihnachten hören die Menschen in Jerusalem einen Propheten solche Worte sagen: Sacharja spricht zu den Verunsicherten und Verzagten, die aus dem Exil zurückgekommen sind und erleben müssen, dass es gar nicht so einfach ist, bei Null anzufangen und auf hundert zu kommen.
Im 2. Kapitel des Propheten Sacharja heißt es: 14 Freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen, spricht der HERR. 15 Und es sollen zu der Zeit viele Völker sich zum HERRN wenden und sollen mein Volk sein, und ich will bei dir wohnen. – Und du sollst erkennen, dass mich der HERR Zebaoth zu dir gesandt hat. – 16 Und der HERR wird Juda in Besitz nehmen als sein Erbteil in dem heiligen Lande und wird Jerusalem wieder erwählen. 17 Alles Fleisch sei stille vor dem HERRN; denn er hat sich aufgemacht von seiner heiligen Stätte!
Trostworte in schwierigen Zeiten mit einem doch etwas anderen Klang als beim berühmten „Tochter Zion, freue dich“, wie wir es im Gesangbuch singen. Trotzdem werden manche fragen: Ist das nicht doch eher der besondere Gast, von dem wir etwas erwarten könnten? Gerade, wenn es um die schwierigen Zeiten des Volkes Israel damals geht? Ja und Nein.
Ja, weil die Menschen damals und bis heute Gott eben wirklich so gesehen haben: als den Strahlenden, der mit Pauken und Trompeten einzieht und alle Sorgen und Ängste beiseite wischt und alles auf einmal gut sein lässt. Den würden sie und wir alle ganz schnell einlassen. Ja, weil es unserer Wunschvorstellung entspricht.
Aber auch Nein, weil die Art und Weise, wie Gott nach christlicher Überzeugung kommt, um auch diese Verheißung zu erfüllen, so ganz anders ist, als es sich Menschen vorstellen und akzeptieren können. So wie er schon damals zur Zeit des Sacharja nicht als der Supermann gekommen ist, um ganz einfach ein wenig an den Hebeln zu drehen.
„Freue dich und sei fröhlich! Ich will bei dir wohnen!“ So sagt es Gott und steht nicht als strahlender Held vor der Tür, sondern als wanderndes Paar, die Frau kurz vor der Niederkunft und auf den ersten Blick ist klar: Die Situation des Herbergswirtes in der Weihnachtsgeschichte und die Situation des modernen Wohnungsinhabers werden sich von einem auf den anderen Augenblick radikal verändern, wenn er oder sie dieses Paar aufnimmt und damit vor allem das Kind, das geboren werden soll.
Die Botschaft von Weihnachten ist in jedem Jahr wieder neu eine Zumutung an uns, die wir sie hören. Da helfen auch keine künstlichen Schneeflocken, Glühweinstände und „Driving Home for Christmas“-Töne, um diese Zumutung von unseren Ohren und Herzen fern zu halten. „Freue dich und sei fröhlich! Ich will bei dir wohnen!“ So steht einer auch in diesem Jahr vor unserer Tür – nämlich vor unserer Herzenstür und weiß: Wenn er, wenn sie mich einlässt, wird sich das Leben dieses Menschen radikal verändern.
Angelus Silesius, Johannes Scheffler aus Schlesien, hat es in seinem Buch vom Cherubinischen Wandersmannkurzen in wunderbarer Weise auf den Punkt gebracht: „Wird Christus tausendmal zu Betlehem geboren und nicht in dir; du bleibst noch ewiglich verloren.“ Und wir singen es betend in der Adventszeit immer wieder neu: „Ach zieh mit deiner Gnade ein, dein Freundlichkeit auch uns erschein!“ in „Macht hoch die Tür“ und „Zieh in mein Herzen hinein vom Stall und von der Krippen“ in „Mit Ernst, o Menschenkinder“. Und an den Weihnachtstagen singen wir mit Paul Gerhardt „Ich steh an deiner Kippen hier“, das wie kaum ein anderes Lied das „Willkommen“ an das Kind im Stall formuliert. Auf seine so kunstvolle Weise verbindet Paul Gerhardt den Zuspruch des Sacharja mit der Zumutung, die das Weihnachtsgeschehen immer wieder neu für uns bereit hält.
„Und sie hatten keinen Raum in der Herberge.“ Dieser Satz aus dem ersten Teil der Weihnachtsgeschichte geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Und er lässt mir keine Ruhe mehr, seit spazierengehende Demonstranten Türen schließen oder zu lassen wollen – aus Angst, es könnte sich etwas verändern. Wer dagegen Türen aufmacht, um Menschen aufzunehmen, die auch unsere Hilfe brauchen, wird feststellen, dass er – oft genug ohne es zu wissen – Engel, Boten Gottes beherbergt hat, wie es im Hebräerbrief heißt.
„Und sie hatten keinen Raum in der Herberge.“ Dieser Satz aus dem ersten Teil der Weihnachtsgeschichte geht mir nicht mehr aus dem Kopf, vor allem, weil ich eine Szene vor Augen habe, die in kindlicher Einfachheit die so bedrängende Situation des Heiligen Paares entschärft. Ich denke an eine Szene aus dem Weihnachtsspiel „Karli, der Herbergswirt“, in der zum Schrecken aller Kinder, die das Krippenspiel aufführen, Karli auf die Bitte des Joseph um eine Herberge vor Freude strahlend antwortet: „Ja, gerne! Kommt nur herein. Für Euch habe ich noch Platz!“ Wir können es uns nur zu gut vorstellen, wie den anderen Kindern das Schauspielerherz in die Hose rutscht: Da wird die ganze Szene auf den Kopf gestellt, die Pointe ist weg und der Fortgang der Weihnachtsgeschichte entscheidend gefährdet. Und Karli antwortet mit strahlendem Gesicht: „Ich sage nicht NEIN! Ich sage JA! Sie sind mir herzlich willkommen.“
Die Spielleiterin greift ein und rettet die Situation: „Spielt nur weiter! Aber geht jetzt nicht zur Krippe, sondern in Karlis Haus. Dort wird Jesus geboren. Dort ist heute Weihnachten. Bei ihm. Nicht im Stall. Karli hat etwas erkannt, was wir alle begreifen müssen: Man darf das heilige Paar nicht wegschicken. Wenn GOTT bei uns anklopft, müssen wir ihm öffnen. Spielt einfach weiter!“ Und so geht das Spiel dann zuende: Die Hirten bekennen: „Da ist es, das Kind! – Der neugeborene König! – Der Sohn Gottes … geboren in einem Haus … mit offener Tür!“ Und Karli, der Herbergswirt macht eine wunderbare Erfahrung, als er sein kindliches Leben von einem zum anderen Augenblick verändern lässt. Er erkennt und bekennt für sich – und das sind die Schlussworte des Stückes: „Ich bin so glücklich! Bei mir sind sie eingekehrt. Gut, dass ich sie nicht weggeschickt habe!“
Mögen auch unsere Türen immer offen sein: für das Heilige Paar, für das Kind in der Krippe, das in unseren Herzen neu geboren werden will, für die Menschen in Not, für Gott. Amen.