Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Ich kann es mir sehr gut vorstellen, wie Menschen durch die Straßen der Metropolen dieser Welt gehen oder fahren: New York, Shanghai, Dubai, Rio, Chicago und wie sie alle heißen; wie diese Menschen die Wolkenkratzer mit ihrer atemberaubenden Architektur und ihren schicken Glasfassaden bewundern; wie historische Bauwerke, moderne Industrieanlagen und Knotenpunkte der Mikroelektronik und vieles mehr unserer modernen Welt bestaunt werden. Ja, es ist atemberaubend, die Leistungen der Menschheit zu sehen und die Pracht zu bewundern, mit denen das menschliche Können herausgestellt wird.
Und dann hören wir immer wieder auch die Mahner und Zweifler, oder drastischer: die Untergangspropheten, die vorhersagen, dass es mit all dieser menschlichen Schönheit ein Ende haben wird – und zwar ganz schnell. Und die Filmindustrie hat dazu in den letzen Jahrzehnten ein ganz eigenes Genre entwickelt: der Apokalypsenfilm, in dem gezeigt wird, wie die bestehende Welt untergeht – durch Naturkatastrophen, durch Außerirdische, durch den Menschen selbst. Wer in diesen Film-Katastrophen überlebt und ob überhaupt, das bleibt offen. Klar ist nur, dass die Filmemacher mit dieser Sorte Film die Menschen erreichen und die Massen in die Kinos stürmen.
Dass in vielen Bereichen unserer Erde solche Weltuntergangsstimmungen ganz reale Hintergründe haben, weil Naturkatastrophen und Kriege, politische Extremisten und der steigende Meeresspiegel die Welt der Menschen, ihre Lebensräume zerstören – das macht die Situation nur um so problematischer. Die Verunsicherung, ja die Angst bei vielen Menschen wächst. Und es gibt immer wieder diejenigen, die sich die Verunsicherung und die Angst der Menschen vor einer solchen chaotischen Zukunft zu ihren eigenen Gunsten zunutze machen.
Schnitt – eine ganz andere Zeit, eine andere Welt.
Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, wie es damals war – damals, nachdem Jesus mit seinen Jüngern in Jerusalem eingezogen war und die Diskussionen über ihn und seine Mission so richtig angefangen hatten; wie Jesus auf das endzeitliche Gericht durch Gott hingewiesen hatte, um die Menschen zur Umkehr, zu einem besseren und Gott gefälligen Leben zu ermutigen; wie er zum ersten Mal etwas angedeutet hatte, dass es mit der Schönheit und Pracht des Jerusalemer Tempels nicht mehr lange weiter gehen würde. Es hatte heftige Diskussionen mit den damals führenden Gruppen gegeben – auch darüber, was echte Frömmigkeit wäre, und ob überhaupt – und wenn ja – in wessen Namen Jesus predigen dürfe.
Und wie in den Tagen zuvor hatte Jesus dann am Abend den Tempel verlassen, um sich mit seinen Jüngern einen Ort zum Schlafen zu suchen. Hier setzt der Predigttext ein, der für den heutigen Sonntag vorgesehen ist. Der Evangelist Matthäus berichtet in den ersten 14 Versen im 24. Kapitel seines Evangeliums:
Liebe Gemeinde!
Es ist zu allen Zeiten, seit Markus, Lukas und eben auch Matthäus diese Szene in je eigener Zuspitzung aufgeschrieben haben, versucht worden, in diesem Abschnitt die Gegenwart des Betrachters wiederzuentdecken. Das ist, glaube ich, nicht besonders schwer, denn es hat zu allen Zeiten die geschilderten Ereignisse gegeben – mal intensiver, mal gemäßigter; wir heute in Europa sehen gerade wohl auf eine eher gemäßigte Zeit von gut sechzig Jahren zurück. Andere Teile der Welt sehen das bestimmt ganz anders. Trotzdem ist immer wieder auch bei uns – oft mit Blick auf die weltweite Situation – ein Weltuntergangsszenario heraufbeschworen worden.
Wollte Jesus das: Dass die Menschen sich vor lauter Endzeitfurcht klein machen und in die hintersten Ecken verkriechen? Dass sie auf diese Weise handzahm gemacht werden und sich von diesem oder jenem knechten lassen, der daher kommt und zum Teil sogar behauptet in Jesu Namen zu sprechen? Ich bin überzeugt: Jesus wollte das gerade nicht.
Aber zunächst ein Blick auf Jesu Reaktion auf die Bewunderung der Jünger für den Tempel. Die waren absolut beeindruckt von der Pracht und Majestät, die der herodianische Tempel ausstrahlte. Jesus rückt die Verhältnisse zurecht; er war eben kein Träumer, sondern Realist. Und als solcher war für ihn schon zu seiner Zeit die Entwicklung absehbar, die siebzig nach Christus zur Zerstörung des Tempels führen sollte. Und er war damit bestimmt nicht der Einzige. Menschliche Werke vergehen – manchmal ganz langsam durch den Zahn der Zeit, manchmal helfen Menschen nach. Dann geht es deutlich schneller.
Aber viel entscheidender als der Blick auf die Vergänglichkeit menschlicher Pracht und Herrlichkeit ist das Gespräch mit den Jüngern hinterher auf dem Ölberg. Jesus lässt die Frage der Jünger, wann das Ende der Welt kommt und welche Anzeichen dafür zu erwarten sind, unbeantwortet und warnt statt dessen: „Lasst Euch nicht irreführen und verführen!“ Denn: Wie schnell sind Leute da, die alles das, was den Menschen Angst macht, für ihre eigenen Zwecke missbrauchen. Wir sehen es in unseren Tagen doch ganz deutlich: Die Verunsicherung und die Verängstigung vieler in der Bevölkerung in Deutschland und in vielen andern Staaten in der Welt ist groß – durch so vieles, was sich unter dem Stichwort „Globalisierung“ zusammen fassen lässt. Das wird von bestimmten politischen Kräften gerne aufgenommen und zuerst verstärkt. Und dann kommen diese Leute mit der Ankündigung: „Und wir haben die Lösung, und sie ist sogar ganz einfach!“ Was folgt, sind Parolen, die die Grundwerte unserer nach wie vor christlich geprägten Gesellschaft ins Gegenteil verkehren: Da sollen keine Flüchtlinge nicht mehr ins Land gelassen oder die schon angekommenen komplett wieder ausgewiesen werden; da werden Helferinnen und Helfer bedroht, da wird auf übelste Art und Weise gegen Politiker Stimmung gemacht und vieles mehr.
Jesus warnt: „Seht sie euch ganz genau an, die euch das Heil versprechen! Und achtet darauf, zu wessen Vorteil sie ihre Botschaft verbreiten!“ Und zwar gerade dann, wenn diese Irreführer sich auf Jesus selbst berufen. Wo führt es hin, wenn diese Leute an ihr Ziel kommen: Wird Armen immer noch geholfen, finden Verfolgte noch Aufnahme, werden die Hungrigen dieser Welt dann noch gespeist, wird die Würde aller Menschen noch geachtet? Oder wird die Liebe erkalten, weil die Weisungen Gottes nicht mehr be- und geachtet werden?
Alles, was Jesus schildert: Im allgemeinen Weltgeschehen die Kriege in der Nähe und in der Ferne, Revolutionen, Naturkatastrophen, Ablehnung des christlichen Glaubens und Verfolgung von Christen und Turbulenzen in der christlichen Gemeinde, die bis an die Grenzen des Aushaltbaren gehen werden – alles das sind gerade nicht die Zeichen dafür, dass das Ende schon da ist, sondern es sind „nur“ die Vorzeichen. Auch hier erweist sich Jesus als Realist, der die Ängste der Menschen auf der einen Seite und die Möglichkeiten für Verführer auf der anderen Seite gut einschätzen konnte: So ist die Welt – mit all ihren finsteren und schrecklichen Ansichten, und in dieser Welt gilt es zu bestehen.
Für die Jünger und damit auch für uns stellt sich die Frage: Wie sollen wir mit einer solchen Situation umgehen? Was trägt uns durch diese chaotischen und immer wieder so furchterregenden Zustände dieser Welt? In diesen Zeiten gilt es nach Jesus, standhaft zu bleiben; standzuhalten in der Hoffnung und – wie Dietrich Bonhoeffer es formuliert hat – standzuhalten „im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen“. Es gilt inneres Standhalten und sich im Gebet bestärken lassen und es gilt ohne Illusionen das Tun des Machbaren.
Und wie geht das? Was tröstet und macht dazu stark? Es ist die Botschaft vom Reich Gottes, die verkündet werden soll, damit alle Völker sie hören. Jesus hat in vielen Gleichnissen von diesem Reich gesprochen. Und er hat seine ganze Verkündigung darauf ausgerichtet, dass es – wie er sagt – „nahe herbei gekommen ist“.
Aber was meinte er mit nahe? Nahe im zeitlichen Sinn? Wahrscheinlich auch. Aber es sind inzwischen fast 2000 Jahre vergangen. Und so meint „nahe herbeigekommen“ nicht nur ein zeitliches Verständnis. Es gibt andere Stellen im Evangelium, die auch eine andere als die rein zeitliche Auslegung nahelegen. Der Wochenspruch dieser 2. Adventswoche aus dem Lukasevangelium gibt da einen guten Hinweis: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ Da geht es nicht nur um einen Zeitpunkt, da geht es darum, dass etwas oder jemand in unsere Nähe kommt, um uns zu erlösen. Und diese Erlösung hat – da sind sich die Autoren des Neuen Testamentes und seitdem alle Christen einig – diese Erlösung hat einen Namen. Das ist der Name Jesus von Nazareth, den wir als den Messias, den Christus bekennen.
Darauf bereiten wir uns in dieser wie in jeder neuen Adventszeit besonders vor: So wie Jesus damals gekommen ist, so kommt er auch heute zu uns und ist da: um uns beizustehen in all den oft furchtbaren Bedrängnissen der von Angst und Chaos bedrohten Welt. Nicht umsonst hat Matthäus seine Botschaft, was das Reich Gottes ausmacht, als letzten Satz an das Ende seines Evangeliums gesetzt – wie ein übergroßes Ausrufezeichen. Jesus sagt uns: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Dem sollen wir in uns Raum geben, das sollen auch wir verkündigen: gegen alle Katastrophenszenarien der Welt. Amen.