Liebe Gemeinde am Pfingstsonntag!
Ich bin immer wieder fasziniert, was heutzutage möglich ist, wenn die Besten der Besten aus dem Trick-Bereich und dem Maskenbereich der Filmindustrie loslegen und uns die unglaublichsten Dinge auf die Kinoleinwand malen: die absonderlichsten Kreaturen erscheinen auf der Leinwand, die unglaublichsten Naturereignisse lassen uns erschauern, Licht- und Schattenspiele erzeugen atemberaubende Spannung, ganze Welten mit allem Drum und Dran entstehen und vergehen in Sekundenschnelle. Der Phantasie sind inzwischen im Film keine Grenzen mehr gesetzt.
Wenn ich dann verschiedene Abschnitte der Bibel lese, denke ich oft: Wie wäre es denn, wenn diese Filmprofis sich einmal an diesem Stoff versuchen würden: Aus manchen Stellen der Offenbarung des Johannes, mit der Schöpfungsgeschichte, dem Untergang von Sodom und Gomorra oder der Sintflut ließen sich ganz bestimmt faszinierende Filmszenen erstellen – ohne dass die biblischen Geschichten durch das Drehbuch ganz kaputt gemacht werden – wie das in der Noah-Verfilmung im vergangenen Jahr gewesen ist.
Wir alle haben bestimmt solche Filmszenen vor Augen, die uns diese ganz besondere Film-Realität vor Augen führen und uns erschauern lassen – faszinierend und oft gruselig zugleich. Und ich lade Sie jetzt ein, den Predigttext mit genau dieser Einstellung, diesem Filmgefühl zu hören und der eigenen Phantasie freien Lauf zu lassen. Denn der heutige Predigttext aus dem Propheten Hesekiel ist auch so ein Abschnitt, der für das große Kino auf der Leinwand und im Kopf bestens geeignet ist. Also: Aus dem Propheten Hesekiel im 37. Kapitel:
Liebe Gemeinde!
Das ist ganz großes Kino in den Köpfen – in unseren Köpfen heute und sicherlich auch damals, als diese Worte für die Israeliten gesprochen und aufgeschrieben wurden. Damals – das ist ziemlich genau 2600 Jahre her, als der König von Juda und die ganze Oberschicht der Israeliten in das Exil in Babylon verschleppt waren. Das Volk Gottes nicht nur am Boden, sondern eben tot, mausetot. Abgestiegen könnte man sagen.
Und dann bekommt der Priester Hesekiel nach vielen, vielen kritischen Ansagen mit dieser großen Vision vom Leben daher. Hesekiel verheißt Leben, nicht nur irgendwie, sondern mit Zusammenhalt und Substanz. Leben auch nicht irgendwo, sondern dort, wo sich für die Israeliten damals und bis heute Wohnen und Heimat mit Leben vereinen: im gelobten Land, in Palästina. Viele von seinen Zuhörer werden den Anfang allen Lebens vor Augen gehabt haben, wenn Hesekiels die Situation aus der Schöpfungsgeschichte aufgreift: die wiedererschaffenen Menschen werden erst dadurch wieder mit Leben erfüllt, dass sie vom Odem, dem Atem und Geist Gottes angeblasen werden wie Adam in der Schöpfungsgeschichte. Und vor allem: Weil Gott es soll will, wird es auch so geschehen.
Durch den Geist Gottes gibt es Leben. Das ist die Botschaft, die von Hesekiel an das Totenfeld ausgerichtet wird. Es ist wohl dieser Punkt, der dazu führt, dass dieser Text für das Pfingstfest neu in die Reihe der Predigttexte aufgenommen werden soll.
Es gibt weitere Situationen, die dem Totenfeld des Hesekiel zu entsprechen: Die eine Situation ist die der Jünger vor dem Pfingstfest, vor allem direkt nach Karfreitag: Keine Spur von Leben, nur Unsicherheit und Angst. Dann war Jesus zu ihnen gekommen und sie hatten wieder etwas Mut geschöpft, aber nach Himmelfahrt war es wohl auch wieder die Unsicherheit, die das Miteinander geprägt hatte.
Und dann kam an Pfingsten der Geist Gottes und hauchte den Jüngern eine solche Menge von Leben ein, dass es in Jerusalem wie in einem geschäftigen Bienenstock summte und brummte. Es kamen durch Gottes Geist an diesem einen Tag 3000 Menschen zu der gerade entstandenen Gemeinde dazu. Es ist geradezu unglaublich und für die anderen geradezu beängstigend, welche Dynamik das Christentum bekam.
Gott hat auf seine Weise die Jünger aus ihrem Grab der Unsicherheit und Perspektivlosigkeit gerissen und ihnen Zusammenhalt für die einzelnen Glieder der Gemeinde gegeben. Und Jesus hat ihnen mit seinem Auftrag, bis an die Enden der Erde zu wirken, einen Ort und ein Ziel gewiesen, wie es Ezechiel für das Volk Israel sechshundert Jahre vorher getan hatte.
Ich frage mich dann immer wieder, wo wir uns in der Vision von Ezechiel verorten können: Wir – die evangelische Kirche in Möllbergen und Holtrup-Vennebeck und Holzhausen und Costedt, im Evangelischen Kirchenkreis Vlotho; die Evangelische Kirche von Westfalen und weltweit: als Protestanten und in der großen Ökumene. Wo stehen wir? Wie begeistert sind wir? Haben wir immer wieder – um in den Worten von Hesekiel zu sprechen – neues Fleisch auf den Rippen und Sehnen, die uns zusammenhalten?
Und mich beschleicht manchmal die Befürchtung, dass es eher erst das Totenfeld ist, das Hesekiel beschreibt, als die wieder mit Leben erfüllten und mit dem Atem Gottes angeblasenen Wiederdererwachten.
Aber auch wir feiern heute Pfingsten – feiern, wie Gott den Jüngern seinen Geist gegeben hat und die Jesus-Bewegnung in Gang gesetzt hat, aus der dann das Christentum und die Kirche geworden sind. Durch unsere Taufe sind wir mit dem Geist Gottes begabt und wir dürfen getrost darauf vertrauen, dass er auch bei uns wirksam werden will, kann und wird. Wir feiern Abendmahl, das uns immer wieder neu zur Gemeinde Jesu Christi verbindet und uns stärkt.
Gott hat zugesagt, dass er es redet und dass er es auch tut. Darauf dürfen wir getrost vertrauen und uns von ihm in das Land bringen lassen, das er für uns bestimmt hat, also an den Ort, wo er uns will und braucht. Wahrscheinlich ist das gar nicht weit von uns entfernt. Wir müssen nicht in die ganz weite Welt hinaus. Diejenigen, an die Gott uns weist, treffen wir wahrscheinlich vor unserer Haustür oder vor der unserer Nachbarn.
Seien auch wir bereit und lassen wir uns von Gott begeistern, dass Gottes Lebenshauch die Totenfelder unserer Zeit bewegt – wie wir gleich singen werden – und dass es bei uns ebenso saust und braust wie damals in Jerusalem. Amen.