Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus! Liebe Gemeinde!
Eine Woche lang Bibelwoche: Visionen und Prophetensprüche; eine Woche lang Texte aus einer längst vergangenen Zeit vor etwas über 2500 Jahren, die sich als absolut aktuell erweisen. Die Tage noch einmal im Schnelldurchlauf:
Tag eins, Sonntag – Wenn etwas in Bewegung kommt: Nicht mehr Stillstand und trügerische Ruhe 70 Jahre nach der Zerstörung des Tempels und Beginn des Exils in Babylon; Gottes Erbarmen über Jerusalem heißt: es geht los mit Trost und Tempelbau.
Tag zwei, Montag – Wenn man sich öffnen kann: Jerusalem von der Bedrohung durch die alten Feinde befreit und zum Wiederaufbau vermessen und mit der Spezial-Firewall ausgestattet, damit sie sonst keine Abschottung durch Tore nach außen braucht.
Tag drei, Dienstag – Wenn Gott neue Kleider bereithält: Die Verbindung zu Gott ist gesichert, denn Gott selbst beruft seinen Hohenpriester; Gott selbst nimmt Sünde und Schuld weg und kleidet neu ein; Gott schafft so Begegnung und lässt die Menschen untereinander teilen.
Tag vier, Mittwoch – Wenn Frieden greifbar wird: Nicht als Kriegskönig zu Pferd, sondern als Friedenskönig auf dem Esel, dem klugen Reittier der Könige Israels kommt der, der den Frieden bringt – als Diener Gottes und damit mit dem Mut zum Dienen. Wir sehen Jesus, wie er an Palmsonntag in Jerusalem einreitet.
Tag fünf, Donnerstag – Wenn Siege weh tun: Der Weg zum Leben aller führt für einen in den Tod und durch den Tod hindurch. Der Sieg über Sünde und Unreinheit aus der Quelle des Lebens ist mit der Klage erkauft, dass die vier davidischen Familien über den einen klagen müssen. Wir sehen Jesus am Kreuz von vier Frauen beweint.
Tag sechs, Freitag – Wenn der Hirte stirbt: Es geht nicht den einfachen und den schönen Weg, wie viele sind es, die mitkommen? Gott sagt: nur ein Drittel – und die haben eine schmerzhafte Läuterung vor sich. Aber hervor gehen Gold und Silber, hervor geht ein gegenseitiges Bekenntnis: Gottes zu seinem Volk und die Menschen seines Volkes zu ihrem Gott.
Und jetzt – heute: Tag sieben, Sonntag – Wenn man gemeinsam Schweigen lernt: Ein Einschub von Sacharja nach der dritten Vision, in einer verunsicherten Situation, denn der Prophet muss seine ganze Autorität aufbieten. Wir haben es eben vor der Predigt gehört: Geradezu fluchtartige Rückkehr nach Jerusalem ist nötig, denn Gott wird die Babylonier endgültig vernichten; Zion, der Augapfel Gottes, wird nicht nur gerettet werden, sondern den Bedrückern soll das widerfahren, was dem Volk Gottes widerfahren ist: wie mit einem Spiegel soll auf die Unterdrücker das Los des Gottesvolkes zurückgeworfen werden. Sacharja setzt seine ganze Autorität in diese Verheißung.
Es geht Gott – und damit Sacharja – aber nicht nur um eine Art Rache gegenüber den ehemaligen Bedrängern. Viel wichtiger ist die folgende positive Aussage, die so etwas wie die Vorlage für den so bekannten Vers aus dem 9. Kapitel ist: „Freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen.“
Gott will bei Jerusalem, den Tochter des Zionberges, wohnen. Und wie so oft kommt Gott nicht allein, sondern er bringt die vielen Völker und Nationen quasi als Gäste gleich mit. Viele werden sich anschließen und ebenso Gottes Volk sein, wo Gott die Mitte ist.
„Ich komme und will bei dir wohnen.“ Ich höre schon die Zweifler: Das ist doch nur Zukunftsmusik. Zukunftsmusik? Wir sehen hier ein eschatologisches Zionslied, wie es in der Theologensprache heißt, denn es erfüllt sich nicht einfach so geschichtlich greifbar, sondern dann, wenn Gott mit seinem Volk und mit der Geschichte an sein Ziel kommt. Zukunftsmusik – schon damals und bis heute und über heute hinaus Zukunftsmusik. Aber eine Zukunftsmusik, die – äußerlich unsichtbar – Auswirkungen hat, denn sie hat Kraft und gibt Trost und Mut.
Eine Aussage, die die Zukunft als ganz nahe sieht, auch wenn die Nähe sich noch steigern lässt, wie uns dies Jesus in der Offenbarung des Johannes zuruft: Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“
So wird Zukunft greifbar, so wird sie schon im Hier und Jetzt wirksam – jedes Mal, wenn wir im Gottesdienst in Jesu Namen und unter seiner Verheißung: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ versammelt sind. Jedes Mal, wenn wir – wie auch heute – das Mahl, das Abendmahl feiern – nach der Verheißung der Offenbarung.
Ja. Gott ist da. Und eben deshalb gibt es nicht nur den jubelnden Empfang mit „Tochter Zion, freue dich“ in barocker Fülle. Eben weil Gott da ist, braucht es auch das: „Psst, seid still vor dem Herrn!“ Die Gemeinde schweigt angesichts der Erscheinung des Gottes mit einem ehrerbietigen und gefüllten Schweigen, mit einem freudigen und erwartungsvollem Schweigen, so wie wir zu Beginn gesungen haben: „Gott ist in der Mitte, alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge.“
Das Schweigen vor Gott ist also gerade keine ängstliche Sprachlosigkeit, die uns zitternd stumm bleiben lässt. Dieses Schweigen vor Gott ist die das Herz erwärmende Gewissheit, dass Gott schon hier und jetzt mit seiner heilvollen Nähe unser Leben erfüllt: Er hat sich schon längst von seiner himmlischen Wohnung her aufgemacht, um bei uns Wohnung zu nehmen.
Für Sacharja und die Menschen seiner Zeit war der Ort, wo Gott Wohnung nimmt, natürlich der nach der Zerstörung im Jahr 587 vor Christus neugebaute und im Jahr 515 vor Christus eingeweihte Tempel. Auch für Jesus war das noch so: Als 12-jähriger weist er seine Eltern darauf hin, dass er in dem sein muss, was seines Vaters ist: im Tempel. Für das junge Christentum blieb der Tempel schon bald verschlossen. Vor allem deshalb und auch durch die erneute Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 nach Christus durch die Römer, musste sich die Vorstellung von dem Ort, an dem Gott seine Wohnung nimmt, weiter entwickeln.
Auch das junge Christentum blickte in die Zukunft. So berichtet Johannes in seiner Vision der Offenbarung über das neue, das himmlische Jerusalem: „Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.“
Einen ganz anderen Akzent setzte der Apostel Paulus, der die Menschen als Ort der Gegenwart Gottes sieht. Paulus schreibt in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth im 3. Kapitel: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ Mit der Taufe kann Gott bei uns einziehen, auch wenn er – wie Joachim Schierbaum es einmal treffend gesagt hat, sein Wohnrecht nicht mit Gewalt wahrnimmt. Die Vorstellung von Paulus, dass Gott in uns wohnt – in jeder und jedem einzelnen von uns – sie hat ihre ganz besonderen Auswirkungen: Unser ganzes Leben sollte auf diese Mitte bezogen sein und unsere Gedanken, Pläne, Ziele – auch unser gesellschaftliches Leben in Politik und Wirtschaft bestimmen. Nicht, weil wir unsere eigenen, menschlichen Ideen von Gott durchsetzen wollten, sondern weil Gott durch seinen Geist in uns wirkt.
Wie wäre es also, wenn Gott so unmittelbar unser Leben prägen würde: Wenn sich das Leben selbst bei uns einnistet – dann gibt es keinen Tod mehr. Wenn die Liebe selbst ihr Zelt unter uns aufschlägt, dann heilen die Herzen von Menschen, dann entsteht Versöhnung, dann kommen Menschen nach Hause und werden geliebt, so wie sie sind. Wenn sich die Zukunft bei uns niederlässt, dann stehen uns alle Türen offen und Träume werden wahr und Pläne scheitern nicht mehr an der Hoffnungslosigkeit und an den Verhältnissen. Wenn die Freude selbst unter uns Wurzeln schlägt, dann kommt das Glück, um zu bleiben. Wenn der Segen selbst uns umgibt, dann kann uns nichts mehr von Gott trennen – auch unsere eigene Vergangenheit nicht. Wenn das Licht selbst uns überflutet, dann vergeht die Dunkelheit – auch im eigenen Herzen und zwischen den Menschen. Wenn der Friede selbst einzieht, dann enden alles Morden und alle Vertreibung und alle Ungerechtigkeit und alle Gewalt – überall und bei jedem! (1)
In einem Satz: Gott spricht: „Ich komme und will bei dir wohnen.“ Und ich höre schon die Zweifler: „Das ist doch nur Zukunftsmusik.“ Das haben wahrscheinlich genügend Leute auch zur Zeit Sacharjas gesagt. Aber er, Sacharja, hat mit der Gegenwart Gottes gerechnet. Und sein Vertrauen wurde nicht enttäuscht, auch wenn Gottes Weg mit seinem Volk an manchen Stellen doch ganz anders aussah, als Sacharja sich das gedacht hat.
Mit Jesus, der als der von Sacharja verheißene Friedenskönig in Jerusalem eingezog, ist der rettende und erlösende Christus erschienen, der uns in seinem Heiligen Mahl zur Gemeinschaft mit Gott vereint. Und mit dem Heiligen Geist an Pfingsten und in der Taufe ist uns der Geist gegeben, den schon Sacharja verheißen hatte: Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der HERR Zebaoth.
Amen.
(1) Dieser Absatz ist wörtlich übernommen aus: Thomas Pola, Kerstin Offermann „Augen auf uns durch“, Auslegungen, Bibelarbeiten und Anregungen zum Sacharjabuch (Texte zur Bibel 31), S. 143.