Predigt zum Partnerschaftssonntag 2023 am 29. Januar in Möllbergen

Predigt über Galater 3,23-29

P: „Bwana Yesu asifiwe“ G: Amen.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
„Alles beginnt mit der Sehnsucht …“ – so beginnt ein Gedicht von Nelly Sachs. Sie schreibt weiter:

Alles beginnt mit der Sehnsucht,
Immer ist im Herzen Raum für mehr,
für Schöneres, für Größeres.
Das ist des Menschen Größe und Not:
Sehnsucht nach Stille,
nach Freundschaft und Liebe.
Und wo Sehnsucht sich erfüllt,
dort bricht sie noch stärker auf.

Ich glaube, wir alle kennen solche Sehnsucht aus unserem Leben: nach Geborgenheit, wenn wir uns bedrängt fühlen; nach Freiheit, wenn wir uns eingeengt fühlen; nach Klarheit, wenn wir uns unsicher und orientierungslos fühlen; nach Liebe, die uns unbedingt annimmt – Liebe, die uns ohne irgendwelche Bedingungen annimmt, Liebe, die es gibt, ohne dass wir dafür irgendwelche Voraussetzungen zu erfüllen haben.

Die Bibel ist voll von solcher Sehnsucht, sie ist voll von Menschen, in denen solche Sehnsucht wohnt. Es ist zwar nicht immer die Sehnsucht nach Gott, die diese Menschen bewegt. Es ist aber immer Gott, der diese Menschen zur Erfüllung ihrer Sehnsucht führt. Ich erinnere an die Sehnsucht von Abraham und Sara nach einem Sohn; an die Sehnsucht von Jakob nach seiner Heimat, als er in der Fremde bei seinem Onkel Laban zwar reich, aber nicht glücklich geworden war; ich erinnere an die Sehnsucht von David nach der Königswürde und die von Salomo nach der Weisheit eines gerechten Herrschers. Die größte Sehnsucht ist die des Volkes Israel nach der Freiheit gewesen: So groß war diese Sehnsucht, dass sie eine Wanderung von 40 Jahren durch die Wüste überstanden hat: Damals, als Mose dieses Volk im Auftrag Gottes aus der Sklaverei in Ägypten in das gelobte Land geführt hatte; so groß war diese Sehnsucht, dass sie auch die Zeit des Exils in Babylon überdauert hat.

Der Predigttext, den uns Frank Mtangi, der Superintendent des Kirchenkreises Tambarare für den Partnerschaftsgottesdienst in diesem Jahr herausgesucht hat, ist ohne eine solche Sehnsucht nicht zu verstehen. Der, in dem diese Sehnsucht gewohnt hat, ist der Apostel Paulus. Und die Sehnsucht, die in ihm war, teilte er sich mit dem Johannesevangelisten, der wie Paulus davon überzeugt war: Diejenigen, die Jesus als den Christus erkennen, sind nicht mehr auf bestimmte Orte der Anbetung und damit der Sehnsucht angewiesen. Es wird keinen Ort mehr geben, der heiliger wäre, weil er allein der richtige ist; denn der Geist Gottes vereint die Gläubigen an allen Orten und aus allen Glaubensrichtungen – wie es der Johannesevangelist Jesus am samaritanischen Brunnen sagen lässt, wie er es Jesus im Hohepriesterlichen Gebet an seinem letzten Abend sagen lässt: dass alle, die an Jesus glauben, eins sind. Und diese Einigkeit derer, die sich auf Jesus Christus berufen, ist verbunden mit einer ganz besonderen Freiheit. Der Predigttext steht im Brief des Paulus an die Gemeinden in Galatien im 3. Kapitel:

23 Ehe aber der Glaube kam, waren wir unter dem Gesetz verwahrt und eingeschlossen, bis der Glaube offenbart werden sollte. 24 So ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christus hin, damit wir durch den Glauben gerecht würden. 25 Da nun der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister.
26 Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. 27 Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. 28 Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus. 29 Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr ja Abrahams Nachkommen und nach der Verheißung Erben.

aus: Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung – revidiert 2017, © 2017, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

Liebe Gemeinde! Auch in Paulus lebt diese Sehnsucht nach Freiheit – allerdings ist es keine staatlich-politische Freiheit, sondern eine geistlich-seelische Freiheit, die ihm an der christlichen Botschaft so wichtig ist: Diejenigen, die – wie Paulus es sagt – in Christus sind, sind an die Zwänge einer unfrei machenden Gesellschaftsordnung nicht mehr gebunden, obwohl sie noch in dieser Gesellschaftsordnung leben. Paulus spricht ja ganz deutlich von einem Zuchtmeister der gesellschaftlichen Zwänge, die das Leben der Gemeindeglieder bestimmt haben, bevor sie zum Glauben und der christlichen Gemeinschaft dazu gekommen sind. Und eben diese gesellschaftlichen Zwänge und Unfreiheiten bleiben da außen vor, wo christliche Gemeinschaft Wirklichkeit wird.

Das heißt für Paulus natürlich nicht, dass es keine Regeln mehr geben würde. Paulus weiß die Weisungen Gottes mit den 10 Geboten ebenso zu schätzen wie die staatlichen Ordnungen, die ein Leben in Frieden und Freiheit ermöglichen. Paulus geht es um die Freiheit der Kinder Gottes, nach der es nicht nur keine Unterschiede mehr gibt, die Christinnen und Christen trennen; sie alle sind vielmehr in Christus eins. Paulus nennt als Beispiele drei Gegensatzpaare aus seiner damaligen gesellschaftlichen Lebenswelt: Juden und Heiden, Männer und Frauen, Sklaven und Freie.

Wir heute haben auch andere Gegensatzpaare vor Augen, die in Christus aufgehoben sind. Ich denke besonders an das Verhältnis von Christinnen und Christen aus Europa und Afrika, das lange als ein sehr einseitiges Abhängigkeitsverhältnis verstanden wurde: Die reichen Europäer brachten den armen Afrikanern den richtigen Glauben und die europäische Art zu leben. Nichts wäre im Licht des Predigttextes falscher als ein solches Ungleichgewicht. Wir haben keinen Patenkirchenkreis, wir sind Partner und bereichern uns gegenseitig in unserem Glauben und unserem Leben.

Was das Verhältnis von Frauen und Männern in der Kirche angeht, haben alle – Europäer wie Afrikaner – noch Luft nach oben. Wir sind auf dem Weg, aber immer wieder stolpern wir alle über noch eingefahrene Muster – trotz einer Superintendentin oder einer weiblichen Präses; und obwohl es auch im Kirchenkreis Tambarare inzwischen Pfarrerinnen gibt.

Im Vergleich zu Paulus sind wir heute im 21. Jahrhundert aber einen großen Schritt weiter: Der Apostel konnte sich ein Leben ohne Sklaverei nicht vorstellen; für ihn war aber auch eine Kirche unvorstellbar, die die gesellschaftlichen Ordnungen mitbestimmen könnte. Und deshalb war es auch nur auf der geistlich-gemeindlichen Ebene möglich, dass es keinen Unterschied mehr zwischen Sklaven und Freien geben sollte; im realen gesellschaftlichen Leben blieben Sklaven Sklaven und Freie Freie.

Heute gibt es zwar offiziell keine Sklaven mehr, die Wirtschaftssysteme – gerade auch im Verhältnis von Afrika und Europa – sind aber leider so, dass es den einen – den Europäern – auf Kosten der anderen – der Afrikaner – bedeutend besser geht. Aus den geistlichen Erfahrungen der Gemeinschaft müssen und können dann auch Veränderungen zu einem anderen politischen und wirtschaftlichen Verhältnis wachsen. Als christliche Kirche in ökumenischer Weite können wir heute – immer noch – gesellschaftliche Ordnungen und Einstellungen prägen.

Es gehört wohl unbedingt zur Sehnsucht der christlichen Gemeinde, bei aller Unterschiedlichkeit der Lebensbedingungen und anderen äußeren Umstände auf einer geistlichen Ebene eins zu werden und aus dieser gelebten Freiheit der Kinder Gottes heraus das Lob Gottes zu singen und zu sagen. Und aus diesem gemeinsamen Lob Gottes wird immer die neue Sehnsucht wachsen, den Schwestern und Brüdern am jeweils anderen Ende der Welt nahe zu sein und ihnen zu einem guten Leben zu helfen: die Menschen im Kirchenkreis Tambarare uns und wir den Menschen im Kirchenkreis Tambarare.

Dieses Mehr an Sehnsucht hatte schon Nelly Sachs in ihrem Gedicht beschrieben. Sie stellt die Sehnsucht der Menschen nach Gott der Sehnsucht Gottes nach den Menschen an die Seite und endet mit einer Bitte:

Alles beginnt mit der Sehnsucht,
Immer ist im Herzen Raum für mehr,
für Schöneres, für Größeres.
Das ist des Menschen Größe und Not:
Sehnsucht nach Stille,
nach Freundschaft und Liebe.
Und wo Sehnsucht sich erfüllt,
dort bricht sie noch stärke auf.
Fing nicht auch Deine Menschwerdung, Gott,
mit dieser Sehnsucht nach dem Menschen an?
So lass nun unsere Sehnsucht
damit anfangen,
Dich zu suchen,
und lass sie damit enden,
Dich gefunden zu haben.

Gott suchen und finden? Wo, wenn nicht in denen, die Gott uns zu unseren Nächsten macht: vor allem auch in den Geschwistern in Tambarare. Amen.

Predigt zum Partnerschafts-Gottesdienst am 30.1.2022

Bwana Yesu asifiwe! Amen!

Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Der Heilige Geist segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Wir feiern Partnerschaftsgottesdienst und sind darin mit den Geschwistern in Korogwe und Hale, in Mkata und Muheza, in Mombo und Handeni, in Kilindi und Mshihwi und all den anderen Gemeinden verbunden: im Beten und Singen, im Hören auf Gottes Wort; aber auch indem wir Sorgen und Ängste, Schwierigkeiten und Probleme, aber auch Freude und Glück miteinander teilen – so unterschiedlich die Situation auch ist: in Tanzania und in Deutschland. Nicht zuletzt durch die Auswirkungen der Coronapandemie stehen wir vor ähnlichen Fragen.

In diese Situation hinein ist für diesen Partnerschaftsgottesdienst ein Abschnitt aus dem Römerbrief als Predigttext ausgewählt worden, der alles das aufnimmt und uns – hier im Kirchenkreis Vlotho wie im Kirchenkreis Tambarare – auf die richtige Spur setzen will.

Paulus schreibt im 5. Kapitel des Römerbriefes: Römer 5,1-5

Dieser Gottesdienst steht unter der Überschrift „Glaube, Hoffnung, Liebe“. Unser Glaube, also das Vertrauen zu Gott gründet in der Liebe, die er uns durch Jesus Christus gezeigt hat. Diese Liebe macht uns zu Schwestern und Brüdern und will unter uns wirken auch in unserer Partnerschaft, aber auch weit über unsere christliche Gemeinschaft hinaus als Salz der Erde und Licht der Welt. Weil wir der Liebe Gottes vertrauen können, sind wir auch in der Lage, zuversichtlich in die Zukunft auch dieses neuen Jahres zu schauen, in der Hoffnung, dass uns Gott auch in schwierigen Situationen Halt geben kann und will.

Schwierige Situationen – ich habe dabei die Szene von der Sturmstillung vor Augen, die – wie sie eben als Evangelium gelesen wurde – für die Jünger Jesu zu einer echten Belastungsprobe ihres Glaubens geworden ist: Ein Wirbelwind macht aus der beschaulichen Bootsfahrt ein wildes und gefährliches Durcheinander.

Wie geht es uns wohl, wenn unser Leben ganz plötzlich durcheinandergewirbelt wird und plötzlich nicht mehr so wirklich klar ist, wo vorne und hinten, links und recht, oben und unten ist? In diesem Zustand sehen sich wahrscheinlich viele Menschen, seit vor so ziemlich 2 Jahren Corona angefangen hat und die Menschen in ein Auf und Ab von Hoffen und Bangen geworfen hat.

Ich weiß: Corona oder andere Unglücke und Katastrophen sind nicht einfach Auslöser einer Glaubenskrise, aber Verunsicherungen oder Chaos im alltäglichen Leben wirken sich immer auch auf das Vertrauen auf Gott und den Glauben an Gott aus. Auch die Jünger haben Angst vor dem Sturm, der als Naturerscheinung erst einmal gar nichts mit dem Glauben an Gott zu tun hat.

Die Jünger haben die Orientierung verloren und sind in Panik angesichts der Wellen und des Windes. Jesus aber ist nicht gegenwärtig: Er schläft. Für die Jünger wirkt es so, als sei Jesus ganz weit weg; vielleicht ist es so, wie wir das empfinden, wenn wir heute Gottes lebendige Nähe nicht so nahe bei uns spüren. Die panische Unsicherheit der Jünger heißt doch: „Wir erwarten, dass Jesus auf dem Schiff etwas von sich aus tut. Er müsste doch sehen, dass wir in Bedrohung sind.“ Die panische Unsicherheit heute ist – glaube ich – ganz ähnlich: „Das, was unser Leben durcheinanderbringt, da müsste Gott doch handeln und uns direkt helfen!“

Die Frage Jesu an die Jünger: „Wo ist euer Glaube?“ zeigt an, auf was es ankommt: nicht auf die Sturmstillung durch ihn. Die erscheint mir eher wie ein nettes Zugeständnis an die Jünger. Auch im Sturm kommt es auf den Glauben, auf das Vertrauen auf Jesus und Gott an: als innere Haltung, mit der wir den äußeren Ereignissen begegnen. Aus dem Vertrauen auf Gottes Gegenwart erwachsen Möglichkeiten, mit den schwierigen, ja lebensbedrohlichen Situationen umzugehen. Denn das Vertrauen auf Gott schafft eine innere Distanz zum Geschehen um uns herum und verhindert, dass wir uns in Panik verlieren.

Paulus schreibt, dass wir durch den Glauben an Jesus Christus Frieden mit Gott haben. Das bedeutet: Wir stehen nicht draußen und es steht noch etwas zwischen und uns Gott, das uns von ihm trennt; es bedeutet vielmehr, dass wir – trotz aller Unsicherheit und aller Wirbelwinde, die es in unserem Leben gibt – in der Gemeinschaft mit ihm ganz fest verwurzelt und gegründet sind. Das lässt uns die Bedrohungen des Lebens mit der nötigen inneren Distanz betrachten und dann angehen; wir brauchen nicht in Panik zu verfallen, denn: Wir sind in Gottes Liebe geborgen und haben so einen gegründeten Standpunkt.

Das bedeutet allerdings nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen könnten, um zu warten, bis Gott dann mal eingreift, so wie Jesus den Sturm gestillt hat, nachdem die Jünger ihn geweckt hatten. Es bedeutet vielmehr genau das Gegenteil: Im Vertrauen auf den sicheren Grund die Dinge ansehen, wie sie sind, und dann klug und umsichtig handeln, mit allen Möglichkeiten, die wir haben.

Paulus schreibt, dass wir Geduld haben können. Geduld zu haben meint für ihn, dass wir in den Bedrängnissen, die wir erleben ausharren, durchhalten und standhalten können, wie man das griechische Wort an dieser Stelle auch übersetzen kann. Und diese Erfahrungen des Standhaltens werden uns die nächsten Schritte gehen lassen: bestätigt durch die erfahrene Kraft des Heiligen Geistes.

Liebe Gemeinde!
Wir feiern heute die Gemeinschaft mit den Geschwistern in Tambarare. So weit die Menschen dort von uns auch entfernt sein mögen, wenn wir die Kilometer betrachten und die Stunden, die man braucht, um von hier zu ihnen zu kommen; wenn wir die Lebensumstände betrachten, die dort so ganz andres sind als bei uns; auch wenn wir die Art betrachten, wie dort der Glaube gelebt wird und welche Rolle Glauben und Gemeinde spielen: Wir sind durch eine Liebe miteinander verbunden, die uns alle ganz fest miteinander verbindet – über alle Unterschiede und Entfernungen hinweg: die Liebe, die Gott für uns hat. Durch sie sitzen wir gemeinsam in diesem einen großen Boot, das mit Jesus Christus unterwegs ist: vereint im glaubenden Vertrauen auf Gottes Nähe in Zeiten von Bedrängnis und fröhlicher Gegenwart, vereint in der Hoffnung auf Gottes Zukunft für uns und alle Menschen – in dieser Welt und darüber hinaus, vereint in der Liebe Gottes, die uns trägt und hält. Amen.

Kurz vor dem Partnerschaftsgottesdienst
Jeremia 33,3:  „Rufe mich an, so will ich dir antworten!“

Ansprache beim Gedenken für Familie Seelig in Costedt am 28.12.2021

Am 28. Dezember 2021 wurde in Porta Westfalica-Costedt eine Gedenkplakette der Öffentlichkeit übergeben, die an die Mitglieder der Familie Seelig erinnert, die im Dezember 1941, also vor 80 Jahren, aus Costedt in Richtung Riga deportiert wurden. Siehe dazu auch den Artikel im Mindener Tageblatt (MT+-Artikel). Als Vertreter der Kirchengemeinde war ich gebeten bei diesem Anlass zu sprechen. Hier meine Ansprache:

Sehr geehrte Damen und Herren!
„Wenn dein Kind dich morgen fragt …“ – so heißt es im 5. Buch Mose, im Deuteronomium, im 6. Kapitel. Das Volk Israel hatte von Gott die Gebote bekommen, um nach der Befreiung aus einem Leben in Knechtschaft nun anhand dieser Gebote ein Leben in Freiheit und Gerechtigkeit führen zu können. Der Sinn dieser Gebote erschließt sich für die Gegenwart – und noch wichtiger: für die Zukunft – der Sinn dieser Gebote erschließt sich nur aus dem Wissen um die Vergangenheit. Und es gilt, sich dieses Zusammenhanges schon heute bewusst zu sein, um morgen auf die Frage danach eine Antwort geben zu können.

„Wenn dein Kind dich morgen fragt …“ Heute bedenken, was morgen eine Frage sein könnte – seit dieser Vers im Jahr 2005 die Losung des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Hannover gewesen ist, beschäftigt mich dieser Zusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und der Verantwortung, die den Menschen im Heute zukommt, in besonderer Weise: Die Frage nach den Entscheidungen heute für die Zukunft entscheidet sich am Wissen und am Umgang mit der Vergangenheit; zu wissen, warum ich bin, wie ich bin; woher meine Überzeugungen kommen und mein Engagement kommt.

„Wenn dein Kind dich morgen fragt …“ Wir sind heute hier, um daran zu erinnern, dass eine Familie aus unserer Stadt im Dezember 1941 abgeholt wurde, um deportiert zu werden – in Richtung Riga: Die Familie Seelig hat hier in dieser Stadt, die damals ja noch keine Stadt war, sondern aus einzelnen selbständigen Dörfern bestand, gewohnt. Und war dann nicht mehr da. Wohl von einem Tag auf den anderen; wie so viele andere Menschen jüdischen Glaubens und jüdischer Herkunft, die in den Dörfern unserer Stadt gelebt haben.

Warum erinnern wir uns? Warum verlegen wir Stolpersteine oder gestalten Gedenktafeln, die wir wie hier und heute aufstellen? Wir wollen damit eine Antwort auf die Frage geben, die junge Menschen – wie unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden – irgendwann stellen: Wie steht ihr als unsere Eltern und Großeltern zu dem, was das Leben Eurer Großeltern geprägt hat? Und vor allem: Habt Ihr daraus etwas gelernt, damit der Weg in die Zukunft gelingen kann?

Es geht heute ja nicht darum, einen emotionalen Augenblick zu erleben, angesichts des schrecklichen Schicksals, das diese Familie erleben musste. Wollten wir mit dieser Veranstaltung auf einer reinen Gefühlsebene bleiben, bleiben wir im Erschrecken über das, was Menschen anderen Menschen antun können, stecken.

Ich bin auch der festen Überzeugung, dass es sich bei solchen Aktionen wie heute nicht um einen Schuldkult handelt, wie das von manchen deutlich rechtsgerichteten Menschen unserer Tage gerne formuliert wird. Es geht hier und heute um die Würde von Menschen und um die Zukunft, die aus dem Wissen um das damals Geschehene erwachsen kann.

Es geht darum, den Mitgliedern der Familie Seelig mit unserem Gedenken die Achtung zu erweisen, die ihnen als Menschen gebührt und die ihnen und so vielen, vielen anderen in so grausamer Weise in der Zeit vor 80 Jahren vorenthalten wurde.

Es geht dann aber auch darum, dass dieses Erinnern nicht folgenlos und fruchtlos bleibt. In den letzten Jahren hat das Nachdenken über die sogenannten „Kriegsenkel“ einen weiten Raum in der öffentlichen Diskussion eingenommen: Menschen mussten als Enkelinnen und Enkel derer, die den Krieg ganz bewusst miterlebt haben, feststellen, dass sie auf eine ganz eigene Art und Weise mit dem Geschehen des 2. Weltkrieges und der Zeit des Nationalsozialismus verbunden waren: Miterlebt hatten sie den Krieg nicht, waren sie doch erst Jahre später geboren; aber trotzdem waren sie auf das Engste damit verbunden.

Die Bibel rechnet damit, dass die Folgen von negativen Ereignissen und schuldhaften Taten über drei bis vier Generationen zu spüren sind und Wirkungen haben. Die nachfolgenden Generationen werden nicht auf das Tun oder das Unterlassen der Vorangegangenen festgelegt, und damit auch nicht auf deren Schuld. Aber sie müssen mit den Folgen dieser Taten und der Schuld umgehen. Das hat die Generation der Kriegsenkel feststellen müssen.

Es ist so unendlich wichtig, das alles nicht unter einer Falltür des geschichtlichen Vergessens verschwinden zu lassen. Denn nur der bewusste und damit verantwortliche Umgang mit dem Geschehen von damals hilft, darüber hinaus zu kommen: aber nicht als Abschluss, nach dem das Geschehen von damals für heute oder für die Zukunft nicht mehr wichtig wäre; sondern als Impuls für einen erfolgreichen und guten, weil menschenfreundlichen Weg in die Zukunft.

Eine Vergleichsmöglichkeit bietet vielleicht das Weihnachtsfest, das wir in diesen Tagen feiern: Wir feiern ja nicht Weihnachten, nur weil vor 2000 Jahren ein – wenn auch besonderes – Kind geboren wurde: Weihnachten ist nicht „es war einmal“, es ist auch nicht die Wiederkehr des Ewiggleichen mit „the same procedure as every year“. Weihnachten ist eine in die Zukunft hin offene Geschichte. Nachdem wir uns das Jahr über in so vielem festgefahren haben und in so vielem stecken geblieben sind, ermöglicht das Weihnachtsfest, das wir in diesem Jahr feiern, einen Weg „Zurück in die Zukunft“, indem Jesus als Kind in der Krippe in uns geboren wird!

In diesem Sinn eröffnet auch das Erinnern an die Familie Seelig für uns den Weg in die Zukunft: Denn auch heute stehen wir als Gesellschaft und als Kirche, als Stadt Porta Westfalica und als Kirchengemeinde Holzhausen und Holtrup an der Porta vor der Herausforderung, die Würde von Menschen zu wahren und zu schützen.

Wir sind heute hier, um daran zu erinnern, dass eine Familie aus unserer Stadt im Dezember 1941 abgeholt wurde, um deportiert zu werden – in Richtung Riga: Die Familie Seelig hat hier gewohnt. Aber wir sind nicht nur heute hier, um dies ein Mal zu tun: Das Erinnern bleibt eine immerwährende Aufgabe, weil der Weg in die Zukunft eine immerwährende Aufgabe ist.
Vielen Dank!

Video-Gottesdienst aus allem Kirchen Porta-Süd am 23. Juni 2021

Zum Pfingstsonntag am 23. Mai 2021 gibt es aus der Region und für Porta-Süd wieder einen Gottesdienst aus allen Kirche die Region. Um 10.00 Uhr ist am Pfingstsonntag Premiere: direkt bei Youtube auf https://youtu.be/PHfY9uwMzaw

Zur Kollekte:

An diesem Sonntag wird die Kollekte für die Bibelverbreitung in der Welt gesammelt. Nutzt für die Gabe der Kollekte bitte die Onlinemöglichkeit unter https://www.kollekte-online.de/ 

Video-Gottesdienst am 16. Mai 2021 zum ÖKT

Am 16.5.2021, hat das Video für die Region Porta-Süd aus Möllbergen zum 3. Ökumenischen Kirchentag um 10.00 Uhr bei Youtube auf https://youtu.be/g5dCflikx6E Premiere.

Im Mittelpunkt stehen die Kirchentagslosung „schaut hin“ aus Markus 6,38 und der Predigttext für den Schlussgottesdienst des ÖKT aus Jesaja 51,1-5. Und natürlich dürfen Lieder vom Kirchentag nicht fehlen. Herzliche Einladung!

Danke an Elke Gloerfeld und Michael Zachrai, Jonathan Dräger und Lucas Schierbaum!

Wer mag, kann natürlich auch den Schlussgottesdienst vom ÖKT im ZDF sehen und dann anschließend oder später unseren Gottesdienst auf Youtube genießen.

Zur Kollekte:

An diesem Sonntag wird die Kollekte für Projekte mit Arbeitslosen gesammelt. Nutzt für die Gabe der Kollekte bitte die Onlinemöglichkeit unter https://www.kollekte-online.de/